Die Ehe des Dr. Jorg - Liebesroman. Marie Louise Fischer
Читать онлайн книгу.aufräume oder dir etwas zu essen mache?“
Er explodierte. „Daß du diesen verdammten Haushalt in Ordnung hältst!“ brüllte er. „Und ich finde, das ist nicht zuviel verlangt! Du hockst den ganzen Tag hier herum, während ich mich abplage, damit ihr ein gutes Leben führen könnt! Und was finde ich, wenn ich nach Hause komme? Ein Durcheinander, daß es einen grausen kann!“
Seine Wut verrauchte so schnell, wie sie ausgebrochen war. Kaum hatte er zu Ende gesprochen, als er schon gar nicht mehr begriff, was in ihn gefahren war. Er hätte gern alles zurückgenommen, aber dazu war es zu spät.
Inge hatte das Kind zu Boden gesetzt und begann hastig, alle Utensilien einzusammeln und in den großen bunten Karton zu stopfen. Dann verließ sie, immer noch schweigend, Evchen an der Hand, das Wohnzimmer. Wenig später hörte er ein Weinen – aber er konnte nicht ausmachen, ob es von seiner Frau oder seinem Kind kam.
Er warf sich in einen Sessel, streckte die Beine weit von sich, zündete eine Zigarette an. Er überlegte, ob er sich bei Inge entschuldigen sollte.
Aber wozu denn? dachte er. Sie ist wirklich die Unordnung in Person. Alles, was ich gesagt habe, war ja vollkommen richtig. Ich bin bisher viel zu nachsichtig mit ihr gewesen. Es war längst an der Zeit, ihr mal die Meinung zu sagen.
Aber es hielt ihn nicht in dem kleinen Zimmer. Er fühlte sich beengt, als wenn die vier Wände ihn erdrücken wollten. Kaum daß er seine Zigarette ausgeraucht hatte, stand er auf und ging in die Küche hinüber.
Inge hatte Brot, Butter, kalten Braten und eine Flasche Bier auf den Tisch gestellt. Sie war gerade dabei, eine Scheibe Braten für Evchen in winzige Stückchen zu schneiden. Das Kind saß mit verweinten Augen auf seinem Stühlchen.
Einen Augenblick sah er auf Inges gesenkten Kopf. Er glaubte, sie gekränkt und verletzt zu haben, und dieses Gefühl tat ihm seltsamerweise wohl, schaffte ihm geradezu eine gewisse Erleichterung.
Aber da sah sie ihn an und lächelte. „Verzeih mir“, sagte sie, „du hattest ganz recht! Ich bin wirklich eine Schlampe, aber ich werde mich bessern . . . großes Ehrenwort!“
Er wußte nicht, was er darauf erwidern sollte, setzte sich wortlos zu Tisch, schenkte sich ein Glas Bier ein.
„Das ist der Braten von heute mittag“, sagte sie, „er ist ein bißchen trocken geworden, weil ich ihn zu lange im Rohr gelassen habe . . . ich dachte ja immer, du müßtest jeden Augenblick kommen.“
„Mach mir nur Vorwürfe!“
„Aber das tue ich doch gar nicht, Richard, ich versuche nur, dir zu erklären . . . Liebster, warum müssen wir uns heute dauernd zanken?“
„Meine Schuld ist es nicht.“
Evchen war noch zu klein, um zu verstehen, was zwischen den Eltern vorging. Aber sie spürte das Unheil, das in der Luft lag. Der böse und gereizte Ton, den sie bisher nie gehört hatte, erschreckte sie. Sie begann wieder zu weinen.
„Evchen“, sagte Inge verzweifelt, „bitte, sei brav . . . iß dein Broti! Papi ist ja nicht böse . . .“
„Zum Kotzen!“ sagte er laut, schob seinen Teller mit einer brüsken Bewegung von sich und sprang auf.
Er stürzte zur Tür hinaus, ohne sich noch einmal umzusehen.
Eine Stunde später saß Inge Jorg im Wohnzimmer vor dem Fernseher. Allein.
Eine Revuesendung lief, und Inge war jung genug, um normalerweise an Tanz und Schlagern Freude zu haben. Aber an diesem Abend nahm sie nichts von dem wahr, was sich vor ihr auf der Mattscheibe abspiegelte.
Sie dachte an Evchen, die sich in den Schlaf geweint hatte, und an ihren Mann, der sich so seltsam benommen hatte. Nie zuvor hatte sie ihn so erlebt, und nie hatte sie sich nur vorgestellt, daß er sich so benehmen könnte.
Es war ihr, als wenn sie mit einem wildfremden Mann verheiratet wäre – nicht mehr mit dem fröhlichen, verliebten, verständnisvollen Richard Jorg, wie sie ihn gekannt hatte, sondern mit einem ganz anderen, von dessen Existenz sie bisher nichts geahnt hatte.
Ihre Mutter und ihre Freundinnen hatten ihr oft erzählt, daß die Männer erst in der Ehe plötzlich ihr wahres Gesicht zeigen – aber es war doch nicht möglich, daß ein Mensch sich an einem einzigen Tag so vollständig änderte! Noch am Morgen war er doch ganz wie immer gewesen. Wie wäre es möglich, daß er jetzt plötzlich so verwandelt war!?
Irgend etwas mußte geschehen sein im Lauf dieses Tages, irgendeine fremde feindliche Macht mußte von ihm Besitz genommen haben.
Dann wurde ihr bewußt, daß der Fernsehapparat noch immer lief. Sie wusch sich im Bad, huschte leise ins Schlafzimmer, schlüpfte in ihr Nachthemd und unter die Decke. Sie lag ganz still und hielt den Atem an.
Richard hatte kein Wort gesagt, aber sie spürte, daß er noch nicht schlief.
„Richard“, flüsterte sie, und ihre Hand tastete zu ihm hinüber.
„Hm“, murmelte er undeutlich.
Sie nahm allen Mut zusammen und rutschte hinüber, schlang ihre Arme um ihn und kuschelte ihren Kopf an seine Brust.
Aber er zog sie nicht wie sonst enger an sein Herz, sondern er lag, ohne sich zu bewegen, still und stumm, wie versteinert.
Sie streichelte ihn mit sanften, zärtlichen Händen. „Richard“, flüsterte sie, „Richard . . . weißt du denn nicht, wie sehr ich dich liebe?“
Sie spürte seine Lippen auf ihrer Stirn, trockene, harte Lippen. „Ich dich auch“, sagte er gepreßt, „aber geh jetzt schön brav wieder in dein Bett. Ich bin furchtbar müde.“
„Bist du mir noch böse?“
„Nein“, sagte er, „aber verschwinde jetzt. Bitte.“ Er rollte sich zur Seite.
Jetzt erst begriff sie, daß es ihm ernst war mit seiner Abweisung. Sie kroch in ihr Bett zurück, tief gedemütigt. Sie preßte die Zähne so fest zusammen, daß ihre Kiefer schmerzten.
Jetzt nur nicht weinen, dachte sie, nur das nicht jetzt noch! Lange lag sie mit weitoffenen Augen im Dunkeln, kaum einen halben Meter entfernt von dem Mann, den sie liebte, und doch durch einen Abgrund von ihm getrennt.
Sie wußte, daß auch er nicht schlief, aber sie wagte es nicht, noch einmal das Wort an ihn zu richten.
Am nächsten Morgen sah alles anders aus.
Der Schlaf hatte Inge Jorg Vergessen und Entspannung geschenkt. Sie mußte über sich selber lächeln, wenn sie daran dachte, welch eine Tragödie sie aus der schlechten Laune ihres Mannes gemacht hatte. Er war einfach übermüdet und erschöpft gewesen, und sie, statt darauf einzugehen und Rücksicht auf ihn zu nehmen, hatte erwartet, daß er genauso munter wie sie selber wäre, die den ganzen Tag nicht viel anderes getan hatte, als auf ihn zu warten.
Sie sprang aus dem Bett, eilte in die Küche, setzte Kaffeewasser auf, deckte den Frühstückstisch. Sie nahm die Pfeife vom Kessel, noch bevor das Wasser kochte, sah sich noch einmal um, ob auch alles in Ordnung war, und eilte dann ins Schlafzimmer. Richard schlief. Das blonde Haar stand verstrubbelt über seiner hohen Stirn, er wirkte im Schlaf wie ein trotziger Schuljunge.
Sie beugte sich über ihn, küßte ihn auf die Augen, die Stirn, die Nase, den Mund. „Richard“, flüsterte sie nahe an seinem Ohr, „aufstehen!“
Als er nur knurrte, fügte sie vergnügt hinzu: „Es ist Zeit zur Schule!“
Er streckte nicht die Arme nach ihr aus wie sonst, machte keinen Versuch, sie an sich zu ziehen, sondern öffnete die Augen und sah sie an – mit einem Blick, der aus unendlicher Ferne zu kommen schien.
„Warum weckst du mich?“
„Es ist gleich sechs. Du mußt aufstehen.“
„Aber ich brauche doch heute gar nicht zum Dienst.“
„Nicht? Davon hast du mir ja kein Wort erzählt. Das ist