Verliebte Ferienreise. Alfred Hein

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Verliebte Ferienreise - Alfred Hein


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aber ein anderes Zimmer frei, sonst müßte ich das der Köchin für ein, zwei Nächte benutzen.

      »Natürlich – ohne lebendes Inventar«, schmunzelte das Falkengesicht des Jägerwirtes. »Oh, wenn die Köchin hübsch ist, bedaure ich es fast«, wurde ich leichthin galant und verhöhnte mich innerlich selbst: Du alter Esel! Wir lachten und wurden in allem Drum und Dran einer solchen Pensionseinweisung bald einig. Frau Kretschmer rief die Mädchen herbei. Sie erschienen, die Anni und die Käthe, und richteten die »7« für »Herrn Kreusler« zurecht.

      »Kommen Sie, ich will Ihnen etwas Nettes zeigen, sagte der Wirt.

      »Da bin ich wirklich neugierig.«

      Mit glücklich leichten Schritten wandelten wir gemach durch den Garten hinter dem Hause. Und schon erfaßte mich kindliches Erstaunen. »Sie haben ein zahmes Reh?«

      »Ja, ein Rehbock soll in den nächsten Wochen hinzukommen.«

      »Haben Sie es schon lange?«

      »Das Hannele? Ja, seit drei Jahren, solange wir das Häusel haben. In dem bösen Winter damals wich es nicht von unserer Tür. Sehen Sie, vielleicht ein Beweis, daß die Tiere in uns Jägern nicht den Feind, sondern den Freund erblicken, der über ihr Leben und über ihren Tod gerecht entscheidet.«

      »Hannele heißt es. Natürlich muß ein schlesisches Reh Hannele heißen«, beteuerte ich. »Aber was Sie vom gerechten Jägersmann sagen, stimmt das wirklich? Ist das nicht nur ein übertünchendes Gefühl für die — nun sagen wir einmal offen — für die Mordlust des Jägers?«

      »Wir lieben unser Wild!« Herr Kretschmer wurde so zornig, daß ich »Verzeihen Sie!« stammelte. Aber dann mußten wir beide wieder lachen. Und nach einer Weile sagte er: »Wissen Sie, im Grunde weiß man überhaupt nicht recht, warum man dies und jenes tut. Ich liebe die Tiere und schieße sie, wenn sie dran sind, geschossen zu werden. Auch uns holt‘s ja, wenn wir dran sind. Vielleicht ist es auch dieses Schicksalspielen, was dem Jäger gefällt.«

      »In welcher Gegend liegt hier Ihre Jagd?«

      »Dort drüben, wo in der Sonne jetzt die Felsen aufblitzen, bei Goldbach. Aber nun muß ich an die Arbeit. Hier ist die Liegewiese. Nehmen Sie sich einen Liegestuhl und ruhen Sie aus. Ich darf mich empfehlen. Und nichts für ungut!«

      »Aber, mein Lieber!« Niemals bisher hatte ich zu einem Menschen nach wenigen Minuten »mein Lieber« gesagt. »Mein Lieber«, wiederholte ich, denn es gefiel mir so, »ich bitte Sie, ohne Formeln und Floskeln stets zu tun, was Ihnen gefällt, und mich als Freund des Hauses zu betrachten. Ich fühle mich hier schon wie zu Hause.«

      »Sie haben sich noch gar nicht das Zimmer angesehen«, rief die Wirtin aus der zu ebener Erde liegenden »7« heraus.

      »Ich weiß, daß es gut ist!« Und wieder lachten wir alle, wenn auch nicht zu laut; denn es war Mittagsstunde der Kurgäste. Die Wirtsleute zogen sich zurück, und ich begab mich zur Liegewiese. Jawohl, ich begab mich. Denn es ist ein Kennzeichen richtiger Ferien, daß alle Handlungen wichtig erscheinen, die man ausführt. Im Alltagskampf gibt es nur die Arbeit. Hier wird jeder Schritt, jede Gebärde, jedes Wort zum Ereignis. So auch jetzt das Heranholen des Liegestuhles. Was für lustige Streifen das Tuch des Stuhles hat! Und damit geht‘s auf die grüne Wiese. Du Junge, flüstert die Seele sich selber zu. Und dreißig Jahre sind wie vergessen. Zwei schlafende Frauen, ein lesender Herr und ein schon lang aus seinen Träumen herüberblinzelndes Mädchen von zwanzig bis dreißig, das Alter weiß man ja heute nie genau bei Frauen, bevölkern die Margeritenwiese. Auch blaue Glockenblumen sind da. Und ganz nah, ganz hoch der Wald.

      »Kreusler«, murmelte ich.

      Die Dame nickte und reichte mir die Hand: »Es wird Ihnen hier gefallen. Sehr schön ist es hier. Und die Menschen alle so nett. Es wird Ihnen gefallen.« Sie sagte es fast beschwörend. Und ich wiederholte beinahe die gleichen Worte, als wollte ich mir auch eindringlich bestätigen, was ich fühlte.

      Vorsichtig tastend begann nun Fräulein Gerda Nöhl das Ausplaudern und Ausfragen. Und nach fünf Minuten wußte ich von ihr fast alles, sie von mir zu ihrem Leidwesen nur das allgemein Belanglose, was aus Fremdenbuch und Trauring hervorgeht. Gerda Nöhl war Laborantin einer Apotheke. Sie hatte auch ein nervöses Herz und vor ein paar Tagen eine böse Ohnmacht gehabt. Die große Hitze war daran schuld gewesen! Nun müsse sie sich von der Ohnmacht erholen. Ach, hier sei es so schön, beteuerte sie immer wieder dazwischen. Warum nur? Aha! Der Urlaub neigte sich dem Ende zu, und sie wollte Nachurlaub haben. Der Arzt meinte zwar, die Ohnmacht hätte weiter nichts auf sich. Aber — »Nicht wahr, Frau Belgardt«, rief sie eine der ruhenden Damen an, »ich sah erschreckend aus? Nun begann Frau Belgardt zu schildern: »Als Fräulein Gerda gerade vom ›Wilden Sprudel‹ trank –«

      »Nein, ich schöpfte den Becher voll.«

      »Richtig, Sie schöpften. Und dann wurde sie blaß —«

      »– und dann wurde ich rot –«

      »– und ich rief: »Fräulein Gerda, was ist Ihnen?«

      »Da war ich auch schon weg!«

      »Oh! Ach!« Und ein bedauerndes Kopfschütteln war alles, was ich dazwischen sagen konnte. In Berlin hätte ich ein solches Gespräch als geisttötend empfunden. Hier ertrug ich es. Denn Fräulein Nöhl gab sich mit diesen Worten maskenlos preis. Ihre Ohnmacht war zweifellos das Ereignis, das sie tagelang beschäftigen wird. Denn Fräulein Nöhl – was hat sie hier zu tun? Noch nach Jahren, wenn sie, hinter dem Ladentisch irgendeiner medizinduftgeschwängerten Apotheke stehend, Pillen und Tropfen an mißmutige Kranke aushändigt, wird sie plötzlich wieder daran denken, an den Augenblick, als sie so interessant war und eine Ohnmacht am Wilden Sprudel bekam. Und niemals wird sie sich eingestehen, daß diese Ohnmacht sie weniger erschreckte als beglückte. Vielleicht war sie unterbewußt herbeigeführt, um das drohende Ferienende wieder fernzurücken.

      Ich beruhigte Fräulein Nöhl mit betulichen Worten, als seien wir schon jahrelang miteinander bekannt. Sie hatte ein ziemlich nichtssagendes Gesicht. Aber die Sehnsucht nach dem bißchen Ferienglück spiegelte sich rührend darin. Wir plauderten noch eine Weile, dann hatte ich Verlangen, in den Bergwald emporzuwandern.

      Allein sein! Ja, dort oben im Wald. Und ich stieg zur »Stillen Liebe« empor. Gott sei Dank, all die Damen durften nicht viel klettern. Sie mußten ihr Herz schonen laut ärztlicher Vorschrift. Ich hatte meinen Berliner Arzt gefragt. Der lachte: »Unbedenklich dürfen Sie mit Ihrem bißchen nervösen Herzen auf die Berge steigen. Nein, keine Bäder! Nicht nötig. Nur Luft und Ruhe und, ja, gerade viel Bewegung.«

      Also machte ich mir Bewegung. Sonst aber tat ich nichts. Ich schritt dahin. Es war der alte Wald, der alte Himmel, der alte Wind, der alte Weg. Ja, auch der alte Weg, obwohl ich ihn zum ersten Male ging. Denn alle Wege, die für mich ins Wunschlose führen, zeigen das gleiche Bild: hohe alte Tannen umfrieden mich, langsam geht‘s bergan, und Waldvögel singen ihr Lied dazu.

      Dann bin ich wie verwandelt, und in dieses neue Leben lehne ich mich hinein und lasse mich tragen wie von einem großen starken Wind, der aus dem Ewigen kommt.

      III

      Ich, der Einsamkeitsfanatiker, sitze tatsächlich im Speisesaal des »Tannhäusels« am Gemeinschaftstisch, zum erstenmal in meinem Leben. Wenn ich mit Paulamarie, meiner Frau, wanderte, dann hielten wir uns stets von diesen Schwatzrunden fern. Es war eine Art geistiger Hochmut, ich gestehe es offen. Zu Hause in Berlin konnte mir Paulamarie noch so gut zureden, es gab Tage, da hielt ich jeden Menschen, der mir über den Weg lief, für einen heimlichen Gegner meiner Pläne und Wünsche. Doch dies hat nur den Grund: jeder möchte in seiner Arbeit auf unbegrenztem Feld möglichst schnell vorankommen. So gibt es meist ganz unbewußte Ellenbogenpüffe, bis den Gemütlichsten ein Verdrießen packt, und schließlich ist er verdrießlich über seine eigene Verdrießlichkeit. Nun, da alles dies in der von der Junisonne verklärten Berglandschaft wie eine letzte Wolke verflogen ist, begreift man sich kaum. Man ist doch im Grunde ein so netter, lieber Mensch. Und auch die andern, die man in einem Berliner Restaurant mißtrauisch anstarren würde mit dem Gedanken: setzen Sie sich bloß nicht an meinen Tisch!


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