Der Bauer in der Au. Rudolf Stratz

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Der Bauer in der Au - Rudolf Stratz


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      „Ach — Ihr seid so gut zu mir! Ihr seid so liebe Leuť!“ sagte die Fanny mit einem weichen Augenaufschlag, während sie alle zusammen aufstanden. „Aber lass mich jetzt gleich ’s Geschirr aufwaschen, Sennerin, dass ich auch was tu’! Ah na — mit G’schirr umgehn — das bin ich ja als Kellnerin gewohnt . . . “

      „Aber heut noch net . . . Heut derfst allein machen, Katrein . . . heut braucht das Fräulein Ruh’!“ Der Vogl-Bauer zündete sich seine Pfeife an und trat vor das Haus. Neben ihm stand der Simon, den Rucksack im Kreuz, den Bergstock in der Hand.

      „Kommst mit abi, Flori?“

      „Jetzt, wo d’ Hand net vor den Augen siehst! Wär’ net schlecht . . . “

      „Dazu hab’ ich die Latern’!“

      „Und ich den Mond!“

      „Da kannst noch a Stund’ warten, bis der übern Berg vorkimmt!“

      „Von wegen meiner!“

      Der Flori hörte die Schritte des Bruders und das Aufsetzen des Bergstocks unten in der Nacht versinken. Er setzte sich wieder auf den Felsblock von vorhin vor der Hütte. Die Funken aus seiner Pfeife verrieten durch die Finsternis seinen Ort. Nach kurzem kam etwas mit leichten Tritten über die Steine heran. Es nahm neben ihm Platz. Er hörte es leise atmen. Er fühlte, Ellbogen an Ellbogen, seine Wärme. Er ruckte von hinten seinen Arm darunter und setzte es sich wie eine Puppe auf die Kniee.

      „Grüss Gott, Fannerl!“

      Es lachte leise.

      „Grüss Gott, Flori!“

      Da sassen sie. Über ihnen am Nachthimmel glitzerten tausend grosse und kleine Lichter. Und tausend feurige Punkte von hellen Fenstern und Reihen von Landstrassenlaternen und farbigen Bahnhofssignalen durchfunkelten endlos, wo Menschen wohnten, tief unter ihnen das verschwimmende Schwarz der weiten bayerischen Hochebene. Ein rötliches Luftgewölk dämmerte über unsichtbaren Städten und Märkten, wie oben zwischen den Sternen der weissliche Nebel der Milchstrasse. Eine Schnur kriechender Glühwürmchen durch die Nacht. Ein Eisenbahnzug . . . . .

      Ein fernes Rollen. Ein ganz schwacher Pfiff. Ein dumpfes Kuhgebrüll von der Alm. Ein verschlafenes Herdenglockengeläute. Das eintönige Plätschern des Quellstrahls in den Tränktrog. Käuzchengekreisch aus der dunklen Masse der Wälder unten: Kiwitt! . . . Kiwitt! . . .

      Komm mit . . . ja . . den Vater hatte es ja geholt . . . auf den Kirchhof hinaus. Eine Weile schwieg der Flori nachdenklich. Es ging ihm wieder alles durch den Kopf — der Hof in der Au — die Sorgen . . . . Dann schwatzte er wieder mit dem Fannerl auf seinen Knieen, ihre Hand in seiner. Nicht viel G’scheites. Halt dies und das . . . .

      Es war jetzt viel wärmer als am Abend. Ein heisser trockener Hauch strich von den Bergzacken über die Matten herab, als hätten sie da oben im Geklüft, zwischen den Schneefeldern, einen riesigen Backofen aufgestellt. Das Mailüfterl schickten sie von da drüben her, die Italiener. Du lieber Gott: Von der Frauenalm hier oben, am äussersten Ende Deutschlands, hatte es ein Vogel durch die Luft über die paar österreichischen Berge hin zur welschen Grenze bald näher als bis nach München.

      Dann wuchs das Wehen des Südwindes aus den Gebirgsgründen hinaus zu einem dumpfen Gebrüll, das den weiten, nächtigen Luftraum zwischen dem dunklen Himmel und der dunklen Erde erschütterte.

      „Jesses — es gibt a Wetter!“ Die Blumetsrieder-Fanny schrak in den Armen des Flori zusammen. Er beruhigte sie durch ein paar kräftige Schmatze auf die vollen, weichen Backen.

      „Nachts geht der Föhn gern laut! Das gibt fei’ gutes Wetter für morgen.“

      „Da kannst Blumen pflücken, Schneckerl!“ Ein Schmatz. „Aber versteig di beileib net!“ Ein Schmatz. „Geh halt gerad’ dahin, wo die Küh’ gehen!“ Ein Schmatz. „Tappiger wie d’ Viecher wirst dich auch net anstellen!“

      „Und zum Stier sagst: Maxl — sei stad!“ Ein Schmatz. „Nachher kennt er di scho! Sell is a guter!“

      „Und wann dir irgendwas abgeht, na haltst di an den Wastl!“ Ein Schmatz. „Dass du gerad’ weisst: die Katrein is a alter Teifi und d’ Marei a junger . . . “

      „Vor Weibsleut’ fürcht i mi net!“ sagte das sanfte Fannerl und lachte.

      „Aber vor Mannsbildern?“

      „Kommt darauf an . .“

      „ . . . als wie vor mir . . . ?“

      „Bei dir“, sprach das Fannerl träumerisch und lehnte das dunkle Köpfchen an seine Schulter, bei dir tut’s Ichon not!

      Der Flori wollte sie wieder küssen und fuhr ärgerlich mit seinem dunkeln Schnurrbart dicht vor ihrem schon zur Schnute gespitzten Mäulchen zurück.

      „Da kimmt er scho’, d’r Teifi, und sucht uns“, knurrte er. „Schau bloss die Katrein da in der Nacht! Da kriegt die alte Hex’ wieder a Leben! Da gedenken ihr wieder all ihre Sünden, wie sie jung war und a Sennerin hier auf der Frauenalm. Da is es hier zugangen — mei’ Grossahndln haben mir, wie ich a Bub war, oft davon erzählt. Da hat’s noch Haberfeldtreiber gegeben, mit schwarzem Kienruss im Gesicht, und an Tabak hast billig kaufen können. Den haben die Pascher nachts aus Tirol herübergebracht — hier an der Hütten vorbei. Und am Sonntag — da haben s’ hier oben auf ’m Hackbrett g’spielt und gejuchzt und getanzt — die Katrein und ihre Freund’! . . . Der Mauser und der Loderer und die all’ . . . Ja — dös muss noch a Zeit g’wesen sein . . . “

      Und plötzlich brach im Vogl in der Au der Geist seiner Väter durch.

      Dös war die Zeit, wo der Bauer noch a Bauer war und Herr auf seinem Hof. Aber jetzt schreiben s’ dir in Berlin heraus, was d’ hier machen sollst, und wann d’ dir gerad’ so a Gesetz hast ausdeutschen lassen, dann haben’s es schon wieder anders umg’schrieben, droben, irgendwo. Ja — da fehlt sich’s weit! Der Bauer ist in Not, Fannerl!“

      Die Ränder der Felszacken hoch oben färbten sich grell schwefelfarben. Hellgelb, mächtig, stieg der Vollmond über dem Höhenkamm empor. Fernhin füllten sich Wände und Halden und Matten mit bläulichem Dämmern. Man konnte hundert Schritt weit sehen. Der Vogl-Bauer und das Fannerl standen in vollem Licht, und von drüben schrie die alte Katrein:

      „Gehn S’ bei, Fräulein! I schliess jetzt d’ Hütten!“

      „Die Hütten wird g’schlossen, bald das Fräulein kimmt, und net eher! Dös sag’ i — der Bauer! Hast verstanden?“. Der Vogl wandte sich zu Fanny und drückte ihr herzlich die Hand. „Also lassen S’ Ihna gut da oben gehn, Fräulein Blumetsrieder! I schau’ eh’ bald wieder mal nach der Alm!“

      In langen Sprüngen setzte er, sich mit dem Bergstock stützend und schnellend, die mondhellen Weiden hinab. Tief im Grund lag vor ihm weiss und still, zur Geisterstunde, der Hof in der Au. Der Vogl hatte die Mondscheibe im Rücken. Es war so hell, dass sein eigener Schatten vor ihm herlief — lang und schwarz wie ein Nachtgespenst, das lautlos, unheimlich auf den einsamen Bergbauernsitz im Tal herniederglitt.

      Ob’s recht war, da oben mit dem Fannerl die Mäuler spitzen, wo der Vater erst so kurze Zeit unter der Erde lag? Der Flori hatte eine Anwandlung von Gewissensbissen. Freilich: der Vater war immer hart und karg gewesen. Der Vater und er hatten einander nie viel zu sagen gehabt. Der Vater hatte jetzt andere Sorgen, im Jenseits, im Fegfeuer. Der Vater brauchte heilige Messen, dass er mählich ’rausruckte aus den Flammen.

      Ob das so richtig war — mit der Höll’ im Jenseits? Der Florian Vogl gehörte zu den Aufgeklärten — zu den jungen Burschen vom Weltkrieg ab und seiner Hölle auf Erden, im Schlachtendonner zwischen Bagdad und Lille. Die draussen gewesen und heimgekommen waren, die hatten zuviel gesehen und erzählten es den Jüngeren.

      Aber es stand doch immer noch der Kirchturm mitten im Dorf. Da wuchs langsam wieder in der neuen Welt der alte Glaube . . .

      Soll fleissig seine Seelenmessen kriegen — der Vater . . . Der Bauer


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