Damals war ich siebzehn. Marie Louise Fischer
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Damals war ich siebzehn
Roman
SAGA Egmont
Damals war ich siebzehn
Genehmigte eBook Ausgabe für Lindhardt og Ringhof A/S
Copyright © 2017 by Erbengemeinschaft Fischer-Kernmayr, (www.marielouisefischer.de) represented by AVA international GmbH, Germany (www.ava-international.de)
Originally published 1967 by F. Schneider, Germany
All rights reserved
ISBN: 9788711718452
1. Ebook-Auflage, 2017
Format: EPUB 3.0
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1
»Meine Damen und Herren, wir landen in wenigen Minuten auf dem Flughafen Köln-Wahn«, ertönte die klare musikalische Stimme der Stewardess aus dem Lautsprecher, »bitte anschnallen und das Rauchen einstellen!«
Magdalene Rott hörte nichts. Ihr war, als ob Nebel auf sie zuströmte und sie zu ersticken drohte. Erst als ihre Tochter sie sanft berührte, zuckte sie zusammen und fand in die Wirklichkeit zurück.
»Aber, Mama«, sagte Evelyn, »hörst du denn nicht? Wir müssen uns anschnallen!« Sie beugte sich über die Mutter und bemühte sich, ihr beim Anlegen der Gurte behilflich zu sein. Dabei warf sie einen Blick aus dem niedrigen Fenster und sah den Nebel. »Hast du etwa Angst, Mama?« fragte sie in dem nachsichtigen und leicht amüsierten Ton, den junge Mädchen ihren Eltern gegenüber gern anwenden.
»Ja«, sagte Magdalene Rott, »ja, ich fürchte mich.«
»Wovor denn? Glaubst du im Ernst, wir werden abstürzen? Der Pilot wird versuchen, ob er hier landen kann. Und wenn nicht, fliegt er weiter. Das Schlimmste, das uns passieren kann, ist, dass er uns in Frankfurt oder Düsseldorf absetzt.«
Eine der Stewardessen kam zu den Plätzen der beiden Damen, bot mit strahlendem Lächeln Bonbons auf einem Tablett an. »Uns kann nichts passieren, nicht wahr?« fragte Evelyn vertrauensvoll.
»Gewiss nicht«, versicherte die Stewardess, und ihr Lächeln wurde noch strahlender. Aber in diesem Augenblick merkten es alle. Die Maschine, die in den letzten Minuten in einem großen Bogen tiefer und tiefer gekreist war, richtete die Nase wieder hoch und stieg auf.
»Meine Damen und Herren, wir haben leider noch keine Landeerlaubnis!« Die Stimme der Stewardess klang genauso klar und musikalisch wie immer. »Bitte gedulden Sie sich ein wenig. Es besteht kein Grund zur Besorgnis. Wir werden durch Radar völlig sicher auf die Rollbahn dirigiert.«
»Na, siehst du, Mama!« Evelyn lachte, aber es klang nicht mehr ganz so unbekümmert. »Das wäre ja noch schöner! Den ganzen weiten Flug von Bombay her ist nichts passiert, und nun zum Schluss …«
Oberst Rott, der auf dem Fensterplatz vor seiner Frau und seiner Tochter saß, drehte sich um und fragte: »Na, wie fühlt ihr euch?«
»Danke, gut«, behauptete Evelyn rasch.
»Das kann nämlich noch eine ganze Weile dauern.« Der Oberst wandte sich wieder nach vorne.
Die Maschine hielt ihre Höhe und kreiste über dem Nebelfeld. »Ich freue mich riesig auf Deutschland«, sagte Evelyn. »Ein komisches Gefühl, seine Heimat gar nicht zu kennen.«
»Mach dir nur keine Illusionen«, mahnte die Mutter.
»Ich versteh’ dich nicht«, sagte Evelyn, »überall, wo wir gewesen sind – in Nairobi, in Tokio oder in Bombay –, alle Europäerinnen haben bloß immer von ihrer Heimat geschwärmt. Nur du …«
Sie brach ab, denn wieder ertönte die Stimme aus dem Lautsprecher:
»Achtung! Achtung! Wir landen in wenigen Minuten!«
Nachdem Evelyn sekundenlang geschwiegen hatte, wandte sie sich wieder ihrer Mutter zu. »Oder hängt das vielleicht mit deiner indischen Sterndeuterei zusammen? Hast du dir wieder mal von dem alten Singh Ree einen Bären aufbinden lassen? Papa hat ganz Recht, wenn er sagt …«
Magdalene Rott hob den Kopf und erklärte mit unerwarteter Heftigkeit: »Sei still, Evelyn! Bitte, sei still! Du weißt, dass ich über dieses Thema keine Späße liebe!«
Evelyn hatte eine patzige Antwort schon auf der Zunge, doch dann sagte sie: »Okay, Mama, reg dich nur nicht auf!« Sie lehnte sich in ihren Sessel zurück, presste die schmalen, schön geschwungenen Lippen zusammen. Aber Magdalene Rott merkte es gar nicht. Sie starrte auf die Nebeldecke hinunter, die näher und näher zu kommen schien und brauchte alle Kraft, um ihrer Beklemmung Herr zu werden.
Es ist alles schon so lange her, versuchte sie sich einzureden, so unendlich lange her, als ob es in einem anderen Leben gewesen wäre. Vergiss es! Du musst es endlich vergessen!
Aber ihr Wille versagte vor der dumpfen Angst, die ihr das Herz zusammenzog.
Dann schämte sie sich plötzlich ihrer eigenen Kleinmütigkeit. Sie sah auf den schlanken, starken Nacken ihres Mannes, das üppige grau melierte Haar, spürte wieder, wie sehr sie ihn liebte – ihn und ihre Tochter.
Niemals würden die Schatten der Vergangenheit die Kraft haben, dieses Glück zu verdunkeln, dieses Glück, das so wirklich und so nah war, dass sie es berühren konnte.
Sie beugte sich vor, legte ihre eiskalte Hand an die Wange ihres Mannes, fühlte erlöst, wie seine Wärme auf sie überging.
In diesem Augenblick berührte das Fahrgestell des Flugzeuges die Rollbahn.
Seit über einer halben Stunde schon stand die Journalistin Helga Gärtner am Buffet des Flughafens Köln-Wahn. Sie trank eine Tasse Espresso, rauchte eine Zigarette und musterte unverhohlen, was um sie herum vorging.
Es würde sehr merkwürdig sein, Magdalene nach all den Jahren wiederzusehen.
Dann kam die Ansage aus dem Lautsprecher. »Die für elf Uhr fünfundvierzig gemeldete Maschine der Lufthansa LH 063 ist soeben verspätet gelandet. Ich wiederhole …«
Helga Gärtner beeilte sich, ihren Kaffee zu bezahlen, drückte ihre Zigarette aus und eilte zum Luftsteig 3.
Die Propeller der LH 063 waren schon zum Stillstand gekommen. Jetzt schoben zwei Männer vom Bodenpersonal die Gangway an die Tür. Eine Stewardess öffnete von innen, blieb beim Ausgang stehen und ließ die Fluggäste aussteigen.
Helga Gärtner strengte ihre Augen an. Plötzlich überkamen sie Zweifel, ob sie die Freundin überhaupt noch erkennen würde. Immerhin war es fast achtzehn Jahre her, seit sie sich zuletzt gesehen hatten – damals, als sie nach ihrer Flucht aus Ostpreußen eine erbärmliche Unterkunft in Lübeck gefunden hatten. Achtzehn Jahre waren eine lange Zeit, in der sich ein Mensch sehr verändern konnte. Besonders eine Frau.
Unwillkürlich suchte Helga Gärtner ihr eigenes Bild in der spiegelnden Fensterscheibe.
Dann, als sie wieder hochblickte, sah sie Magdalene. In diesem Augenblick wusste sie, dass sie sie unter Tausenden erkannt hätte. Magdalenes Haar war immer noch sehr schön, ihr Gang immer noch elastisch, mit jener leichten Zaghaftigkeit, die ihn so anmutig machte. Sie trug ein kremfarbenes Kostüm – ein wenig zu leicht für den rheinischen Vorfrühling –, ihre Haut wirkte empfindlich zart und zeigte kaum Spuren der vielen in den Tropen verbrachten Jahre.
Das junge Mädchen zu ihrer Rechten musste wohl ihre Tochter sein, die