Damals war ich siebzehn. Marie Louise Fischer
Читать онлайн книгу.er ihr enttäuschtes Gesicht sah, fügte er milder hinzu: »Aber vielleicht wird’s im Sommer wahr. Ich habe mir sagen lassen, dass es während der Parlamentsferien in Bonn und Umgebung sehr ruhig sein soll. Sicher können wir dann …«
»Dann ist es zu spät.«
»Was soll das heißen?«
»Bitte, Herbert, lass mich vorübergehend wieder fort. Mich und Evelyn. Vielleicht war der Übergang einfach zu plötzlich. Wir müssen uns erst umgewöhnen.«
Seine Augenbrauen zogen sich wie in unterdrücktem Schmerz zusammen. »Ihr wollt mich also allein lassen?«
»Nur ein paar Monate. Bis wir hier eine Wohnung haben.«
Er beugte sich zu ihr nieder, nahm ihr Kinn in seine Hand, fragte: »Du weißt, was du da von mir verlangst, Magda?«
Ihre Augen füllten sich mit Tränen. »Ich – kann nicht anders, Herbert.«
»Ich werde sehr einsam ohne euch sein.«
»Und ich ohne dich«, sagte sie und schmiegte mit einer impulsiven Bewegung ihre Wange in seine Hand. Er küsste sie auf die Stirn. »Du weißt, ich kann dir nichts abschlagen«, sagte er, »ich habe es nie gekonnt.«
»Wie gut du bist!« sagte sie mit ehrlichem Dank.
Aber gleichzeitig fühlte sie, dass gerade seine Güte es war, die ihr die Befreiung unmöglich machte.
Zu Magdalenes Überraschung zeigte Evelyn sich gar nicht erfreut, als die Mutter sie in ihre Reisepläne einweihte.
»Aber wieso denn? Warum willst du schon wieder weg? Wir sind ja gerade erst gekommen.«
»Das macht doch nichts«, sagte Magdalene mit gespieltem Gleichmut, »wenn wir wollen, können wir ja noch ein ganzes Leben hier bleiben. Aber gerade jetzt – denk doch mal daran, wie nett es für dich wäre, mal an die Riviera zu kommen. Oder nach Paris. Von mir aus auch nach London. Wir fahren hin, wohin du willst. Du brauchst nur zu bestimmen.«
»Ich will aber nicht«, erklärte Evelyn, »ich bin lange genug in der Weltgeschichte ’rumgeschaukelt. Jetzt will ich hier bleiben.«
»Aber sieh mal, wir müssen doch auf alle Fälle im Hotel bleiben, bis wir eine Wohnung haben. Und da ist es doch ganz egal, ob wir …«
Evelyn fiel ihrer Mutter ins Wort. »Eben, weil es ganz egal ist, möchte ich hier bleiben.«
»Das kann nicht dein Ernst sein. Wenn ich das gewusst hätte …«
»Was dann?«
»… hätte ich mir die Auseinandersetzung mit deinem Vater ersparen können.«
Jetzt lachte Evelyn. »Entsetzlich! Du hast also deine Kräfte sinnlos vergeudet! Aber ich will dir mal was sagen, Mama, warum fährst du nicht einfach allein? Wenn dir so viel daran liegt, meine ich.«
»Sei nicht albern! Du weißt genau, dass das unmöglich ist. Was würde denn das für ein Bild geben?«
»Na, dann kann ich dir auch nicht helfen«, sagte Evelyn ungerührt, klemmte nach einem kurzen prüfenden Blick in den Spiegel ihre Handtasche unter den Arm und wollte das Zimmer verlassen.
Magdalene fuhr hoch. »Was hast du vor?«
»Ein bisschen an die frische Luft, wenn du nichts dagegen hast.«
»Unser Gespräch ist durchaus noch nicht beendet!«
»Aber Mama«, sagte Evelyn mit nachsichtigem Spott, »warum regst du dich denn so auf? Du kennst mich jetzt doch schon seit siebzehn Jahren. Ich habe mir noch niemals etwas einreden lassen, was ich nicht wollte. Warum gibst du es nicht endlich auf?«
Magdalene Rott sah ihre Tochter an, bemerkte zum ersten Mal ihre leuchtenden Augen, den voller gewordenen Mund, die bewusster gewordene Haltung. »Jetzt weiß ich, was mit dir los ist«, sagte sie, »ich muss ja blind gewesen sein – jetzt weiß ich es! Du bist verliebt!«
Evelyn hielt dem Blick ihrer Mutter stand. »Du hast Recht, Mama«, sagte sie, »und jetzt kann ich wohl gehen.«
»Nicht, bevor du mir gesagt hast, wer es ist! Leutnant Pannwitz? Graf Skada? Dieser Bankierssohn …«
»Du brauchst dir nicht den Kopf zu zerbrechen, Mama«, sagte Evelyn lächelnd, »Thomas Fritsch ist es auch nicht. Ein Name würde übrigens nichts besagen. Du musst ihn kennen lernen, Mama – wirklich, wenn du ihn erst richtig kennst, wirst du begreifen, warum ich ihn liebe.«
Magdalene Rott starrte ihre Tochter an, einen ganz fremden, plötzlich sehr erwachsen gewordenen Menschen, den sie nie wirklich gekannt hatte. »Es ist dir also – ernst?«
»Ganz ernst, Mama!« Mit unerwarteter Zärtlichkeit schlang Evelyn beide Arme um den Hals ihrer Mutter. »Ach, wenn du wüsstest, wie glücklich ich bin …!«
Magdalene Rott fuhr Stunden später mit dem Taxi von einem Empfang des Verteidigungsministers aus Bonn nach Bad Godesberg zurück.
»Ich muss mit dir über Evelyn sprechen«, sagte sie.
»Ja?« fragte er uninteressiert, in Gedanken immer noch bei einem Gespräch, das er mit einem Kollegen von der Abwehr gehabt hatte. »Sie will nicht mit mir fahren.«
Erst jetzt wurde er aufmerksam, wandte sich seiner Frau zu. »Wovon sprichst du eigentlich?«
»Von Evelyn. Sie will in Godesberg bleiben.«
»Ach so. Aber da hat sie ja völlig Recht. Ich freue mich, dass sie den guten Willen hat, hier heimisch zu werden.«
»Aber darum handelt es sich ja gar nicht, Herbert!«
»Nicht? Entschuldige bitte, anscheinend bin ich heute Abend etwas schwer von Begriff. Aber ich habe einen langen Tag hinter mir.«
»Evelyn hat sich verliebt.«
»Und das macht dir Sorgen?«
»Ja. Große Sorgen.«
Er tastete nach der Hand seiner Frau. »Aber Magda, warum? Das war doch früher oder später zu erwarten. Schließlich ist sie jetzt siebzehn.«
»Eben. Und das ist meiner Meinung nach entschieden zu jung, um eine ernsthafte Liebesgeschichte zu haben.«
Der Druck seiner Hand wurde plötzlich schmerzhaft. »Soll das heißen …?«
»Nein, natürlich nicht«, sagte Magdalene beruhigend. »Sie ist ein gut erzogenes Mädchen.«
»Na also.« Er ließ sie los. »Warum erschreckst du mich dann so?« Seine Erleichterung schlug in Ärger um.
»Weil es dazu kommen könnte! Beobachte sie einmal, Herbert – sie wirkt ganz verändert. Es hat sie wirklich schlimm gepackt.«
»Wer ist es denn?«
»Ich weiß es nicht. Gerade das beunruhigt mich so. Sie behauptet, dass es niemand ist, den ich kenne.«
»Dann werde ich mit ihr sprechen.«
»Ich glaube nicht, dass das einen Sinn hat, Herbert«, sagte Magdalene zögernd.
»Was erwartest du denn sonst von mir?« fragte er gereizt.
»Nichts. Gar nichts. Ich wollte nur mit dir darüber sprechen. Weil ich keinen Rat weiß.«
Er seufzte. »Tut mir Leid, Magda. Ich war ungerecht. Aber ich habe wirklich den Kopf voller Sorgen. Da ist es nicht gerade angenehm, kurz vor dem Schlafengehen mit einer solchen Sache überfallen zu werden.«
»Wann soll ich denn sonst mit dir reden?«
»Ich mache dir keinen Vorwurf. Natürlich kannst du nichts dafür. Es war völlig richtig, dass du es mir gesagt hast – es kommt nur ein bisschen überraschend.«
»Für mich war es ein Schock«, sagte Magdalene.
»Du meinst, dass sie sich völlig verrannt hat?«
»Verrannt.