Du Unbekannte. Der Roman einer Jugend. Rudolf Stratz
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„Das ist bei dir so die richtige Antwort! Ich halte sie den beginnenden Flegeljahren zugute.“
„Danke, Papa!“
„Aber mach’ auch nicht so ein unglückliches Gesicht, dass du an solch einen alten Esel von Vater geraten bist, Ernst: ich mein’ es gut mit dir! Lauf du meinetwegen in deiner freien Zeit mit dem Keiler und pinsel’ die Vogesen. Die Vogesen haben schon viel durchgemacht. Die können sich nicht wehren! Aber wenn es mal an die Berufswahl geht, dann rede ich auch ein Wort mit, mein Sohn, und zwar gründlich! So . . . uff — da sind wir endlich an der Protzenburg! Na — dem Monsieur aus Mülhausen scheint es wirklich an Kleingeld nicht zu fehlen. Schau’ nur die Teppichbeete!“
Die Blumenschnörkel zu beiden Seiten des Gartenwegs leuchteten buntscheckig wie eine Malerpalette in der Sonne. Aber wenn man näher hinsah, waren es nur die drei Farben blau — weiss — rot, die in verschiedenen Schattierungen immer wiederkehrten: Die Trikolore der französischen Republik jenseits des hinter dem welfchen Schlösschen aufsteigenden Wasgenwalds. Im Dämmern der Türwölbung schimmerte das weisse Häubchen einer öffnenden Jungfer. Der Gelehrte gab ihr seine Karte.
„Bitte fragen Sie Herrn de Dietsch, ob Universitäts- professor Leopold Wachsmuth aus Strassburg ihn einen Augenblick sprechen kann!“
„A votre service, Monsieur le Professeur!“ Der grosse Mülhauser Spinner kam selbst aus dem offenen Gartensaal dem Besucher entgegen. Er war ein grosser, magerer und knochiger Mann mit viereckigen Schultern und langen Beinen. Rötlicher Haarbusch über der starken Stirne. Rötlicher Vollbart. Die an sich barsche und befehlsgewohnte Stimme jetzt geschmeidig höflich, während er den Gast in die kühle Halle geleitete. „Permettez que je vous présente à Madame de Dietsch!“ Er machte eine Handbewegung gegen eine wohlbeleibte Dame in mittleren Jahren, die gezwungen über das ganz weiss gepuderte Gesicht lächelte, und ging in recht gutes Hochdeutsch über. „Meine Frau stammt aus Nancy. Sie spricht leider nur Französisch! Hier — Monsieur Davignon aus Mülhausen — Monsieur Werlé — meine Geschäftsfreunde — nun — man kennt ja im Elsass diese Namen — Madame Werlé — mein Jagdgast: Colonel Le Blond aus Paris — bitte nehmen Sie Plagtz! Ihr berühmter Name ist mir nicht fremd, Herr Professor! Übrigens auch nicht der Ihres Herrn Schwiegervaters — des Ministers! . . . Er entstammte doch einer der ersten bayerischen Familien . . .oh — helfen Sie meinem Gedächtnis nicht — ein Baron Paur — nicht wahr? . . . Paur zu Rain! Nun — sehen Sie! Ich habe auch einige Interessen drüben in der Rheinpfalz! Ich hatte daher während der Amtszeit Seiner Exzellenz öfters mit ihm geschäftlich zu tun . . .“
„Mein Schwiegervater hat längst den Kram hingeschmissen! Der baut jetzt in Ruh’ seinen Kohl auf seinem Gut in Niederbayern!“
„O ja . . . leider . . . und da ist Ihr Sohn . . . Gymnasiast in Strassburg . . . vortrefflich! Und womit kann ich Ihnen dienen, Herr Professor?“
Der Ernst sass stumm da, während sein Vater mit dem Grossindustriellen aus dem Mülhauser Wetterwinkel im letzten Süden des Elsass sprach, und beobachtete, was eben Buben beobachten: — was der Herr de Dietsch für grosse Füsse hatte, in langen, vorn ganz viereckigen Stiefeln, und das weisse Reismehl auf dem Gesicht der Madame de Dietsch, als hätte sie sich mit einer Handvoll Staub von der Chaussee draussen eingerieben, und den martialischen schwarzen Schnurrbart des Pariser Obersten. Es war der erste französische Offizier, den der Gymnasiast sah. Schliesslich schaute er, mit seinem tiefbraunen Gesicht, auch nicht anders aus als andere Leute. Der Colonel redete in schnellem Französisch mit der Dame des Hauses und dem Fabrikanten. Man war mit einem Schlag, hier im Château Geissau, mitten im Elsass, in ein Stück Frankreich versetzt. Nur Monsieur de Dietsch unterhielt sich mit seinem Gast auf deutsch und stand auf.
„Also beglückwünschen wir uns, dass diese Tochter nur leicht blessiert ist! Ah bah — bah — bah — ordnen wir doch diese Bagatelle auf der Stellel Gestatten Sie, dass ich mein Scheckbuch hole!“
„Deswegen bin ich nicht in der Mordshitze herübergelaufen, Herr de Dietsch! Der Vater wird sich schon melden! Ich bin Mann der Wissenschaft! Mich interessiert es, den Hund zu sehen!“
„Den Güstave! Mein Gott — was weiss ich denn von ihm? . . . Er gehört meiner Tochter! . . . Maman: Wo ist Laurienne? Nebenan? Venez, ma petite! Duzwitt! Il y a du monde!“
Eine dreizehnjährige kleine Dame trat herein. Sehr hübsch das rosige altkluge Gesicht, die Gestalt klein und zierlich, mit winzigen, niedlichen Händen und Füssen. Sie hatte das rötlich blonde, gelockte Haar des Vaters und die dunkeln französischen Augen der Mutter. Sie war in ausgezeichnetem Pariser Geschmack, aber noch ganz als Bébé gekleidet, in kurzem, blauem Röckchen über den dünnen, wadenlosen Beinen und einer mächtigen rotweissen Schleife seitlings an der Taille. Sie war schon kokett. Sie spielte die Verwirrte, als sie von dem Unglück hörte. Sie markierte Angst um die kleine Walburg. Sie schlug dann, bei der Nachricht, dass es nichts Gefährliches sei, gefühlvoll die Augen auf: „Dieu merci!“
„Ich werde den Güstave holen!“ sagte sie dann. Ernst sprang auf und lief ihr in den Garten nach.
„Ich komm’ mit!“
„Pourquoi?“
„. . . damit er Ihnen nichts tut!“
„Güstave?“ Sie rundete seelenvoll das Mäulchen: „il est doux comme un mouton!“
„Ich versteh’ kein Französisch! Wir sind hier in Deutschland!“ sagte der Bub trotzig und ging neben ihr her. Nun konnte das kleine Fräulein de Dietsch auf einmal auch Deutsch.
„Diss ist mir tuttmemschos!“ sagte sie. „Sind Sie ein Prüssien?“
„Ein Bayer bin ich!“
„Oh — diss ist besser!“
„Das is auch tuttmemschos — Bayer oder Preuss! Wir sind hier alle Deutsche! Sie auch!“
„Une Alsacienne!“ sagte die Kleine diplomatisch. Alle ihre Worte klangen wie ein Echo aus dem Elternhaus. „Attention!“ sie klatschte in die Hände, „da kommt der Güstave quer über die Beete, wie er mich sieht! Venez — mon ami!“
Ein hochbeiniger Wolfshund sprang mit heraushängender Zunge, vor Freude winselnd, an Laurienne de Dietsch empor. Er legte ihr die Pfoten auf die schmächtigen Schultern. Sein Rachen überhöhte ihr rotblondes Haar. Sie stand unter seiner Last lachend und federnd aufrecht wie eine kleine Tierbändigerin. Ernst Wachsmuth betrachtete sie in stiller Andacht. Sie kraute dem Güstave hinter dem Ohr und gab ihm einen liebevollen Stoss.
„Die Gassebuwe haben ihn irritiert! Sonst ist er das beste Kamerädle von der Welt!“ sagte sie. „Allons! Gustave, mon petit! Präsentier’ dich à Monsieur le Professeur!“
Der Hund stand wedelnd in der Mitte des Saales und schaute aus klugen, glänzenden Augen zu den Menschen empor. Er liess sich mit der Seelenruhe des Familienlieblings durch die forschenden Brillengläser des fremden Herrn anfunkeln.
„In der Tat, Herr de Dietsch,“ sagte der dann, „das Tier macht gesundheitlich einen ganz stubenreinen Eindruck. Aber behalten Sie es jedenfalls der Sicherheit halber die nächsten Wochen hindurch gut im Auge!“
„Nun: um Sie ganz zu beruhigen, werde ich Ihnen seinerzeit noch mit zwei Zeilen ein Bulletin über Monsieur Güstave’s hohes Befinden erstatten! . . . Ha ha! . . . Keinen Dank . . . es war mir eine Ehre, Herr Professor!“
„Güstave — gib dem Herrle hübsch une petite main!“ mahnte das Kind Laurienne. Sie kniete neben dem Tier auf dem Parkett. Der Ernst stand davor und schaute, die erdfeuchte Hundepfote in der Hand, verträumt auf den rotblonden Wirrkopf hinunter und trollte sich dann hinter dem Vater über die Schwelle. Draussen, in freier Sommerhitze und Insektensummen, unter blauem Himmel, zwischen Rebengrün und Weizengold, sagte der Gelehrte, aus seinem aufgestauten Groll heraus, barsch wie im Selbstgespräch: „Und das nennen sie bei uns das Elsass regieren! Kriecherei vor den mit allen Pariser Wassern gewaschenen Notabeln, Hilflosigkeit gegenüber dem ersten besten Dorf-Curé, und gegen das Volk, das eine demokratische