Glam. Simon Reynolds

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Glam - Simon  Reynolds


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Magie aus den Sphären.« Besonders faszinierend an dieser Bemerkung ist ihre Zweideutigkeit, die sich zwischen entmystifizierenden und mystischen Polen bewegt: Einerseits durchschaut Bolan den Pop-Prozess, doch gleichzeitig lässt er sich von Mystik und Mythen verführen. Seine Aussage legt nahe, Glamour sei selbst ein Trick, auf den wir alle bereitwillig hereinfallen, ein Streich, den wir uns selbst spielen.

      Glamour ist ein Konzept, das Bolans Lieblingsschriftsteller Tolkien nutzte, wenn er über Legenden, Sagen und Märchen schrieb. Die veraltete ursprüngliche Bedeutung des Wortes bezog sich speziell auf visuelle Illusionen, also Flüche, die das Auge verzaubern und täuschen. Oder, wie in Webster’s Dictionary zu lesen ist: »Eine Art Nebel in der Luft, der die Dinge anders aussehen lässt, als sie wirklich sind«. Popularisiert wurde das Wort von Sir Walter Scott, der es in verschiedenen Texten verwendet hatte, etwa in seinem Traktat Letters on Demonology and Witchcraft von 1830: »Diese Art von Hexerei kennt man in Schottland als den Glamour, oder deceptio visus, und sie galt als eine spezielle Fähigkeit der Zigeuner.«

      Gegenüber dem Evening Standard verteidigte Bolan seine Geschichten von katzenmordenden, menschenverspeisenden Magiern: »Es klingt ego, aber es ist wahr!« Die Formulierung ist sonderbar – »ego« als amorphes Adjektiv, vielleicht als Abkürzung für egozentrisch oder egomanisch. Umso aufschlussreichender die Aussage: Magie und Narzissmus hängen eng miteinander zusammen, die Vorstellung von außergewöhnlichen Kräften, ob angeboren oder später durch Bestimmung erlangt, geht Hand in Hand mit einem Überlegenheitskomplex. »Ich habe schon immer gewusst, dass ich anders bin, gleich von meiner Geburt an«, sagte Bolan 1971 dem Melody Maker. Im folgenden Jahr verkündete er: »Als ich jünger war, war ich davon überzeugt, dass ich ein überlegenes Lebewesen wäre. Anderen Menschen fühlte ich mich überhaupt nicht verbunden.«

      Kinderbücher und Jugendliteratur basieren oft darauf, dass sich Leser mit den Helden identifizieren, die anders sind, etwa weil sie einzigartige Fähigkeiten haben, die ihnen zugleich zu Segen und Fluch geraten. Man denke nur an die Harry-Potter-Bücher oder, auf andere Weise, die schweren Missionen, die Bilbo und Frodo in Der Hobbit und Der Herr der Ringe bestehen müssen. Jugendliche und Pre-Teens spricht das aus offensichtlichen Gründen an: Im Angesicht einer Welt, in der man sich unbedeutend und machtlos fühlt, können sie sich durch diese Helden besonders fühlen, während sich ihre eigenen Egos noch in einer zerbrechlichen Aufbauphase befinden. Die Verkaufszahlen von Fantasybüchern und -filmen belegen allerdings, dass manch einer diesen Wunschträumen nie entwächst.

      Magie und Selbstherrlichkeit gehören zusammen. Aleister Crowleys Diktum »tue was du willst, soll sein das ganze Gesetz« thront über der egozentrischen Weltanschauung des aufsässigen Kindes. In Stolen Lightning behauptet O’Keefe sogar, magisches Denken spiele eine wichtige Rolle bei der Entstehung des Egos selbst. Zwar spiegelt sich das neu entstehende Ego zuerst in Bezugspersonen wie Familienmitgliedern, doch setzt sich dieser Prozess später fort, indem das Selbst sich auch in nicht unmittelbarer Umgebung Projektionsflächen sucht, die es dann wiedergibt. »Das Ego muss sich, ›magisch‹, aus anderen Dingen erschaffen« – Helden, Einflüssen, popkulturellen Ikonen und so weiter. »Für sein ganzes Leben sammelt das Ego Gegenstände. Es saugt sie auf wie ein schwarzes Loch.« Dieses gefräßige Selbst neigt dazu, Identifikationsgegenstände zu idealisieren, von der Verehrung von politischen Figuren bis hin zur fanatischen Besessenheit mit Pophelden. Dieser Persönlichkeitskult kann zu einem Schauplatz von Fantasien und Wunschdenken werden, der mehr als nur einen Hauch von Magie in sich trägt.

      1975 beschrieb Bolan – inzwischen in seinen späten Zwanzigern, also eigentlich längst der Adoleszenz entwachsen – sein eigenes Wesen als formbar und leicht zu beeindrucken: »Ich bin nicht vierundzwanzig Stunden lang dieselbe Person, ich verändere mich andauernd. Das ist wie wenn ein Kind einen Cowboyfilm sieht und dann, wenn es aus dem Kino kommt, so tut, als würde es um sich schießen, weil es jetzt ein Cowboy ist.« Aussagen seiner Angehörigen bestätigen das. So spricht Bolans Bruder Harry davon, wie Marc als filmbegeistertes Kind die Charaktere von Filmhelden als eine Form von Selbstschutz annahm. Seine Frau June bezeichnete ihn als »wundervollen, wundervollen Schwamm«.

      In Bezug auf seinen Song »Mirror Freak« bezeichnete Steve Harley, der Cockney-Rebel-Frontmann, Bolan als den »originalen ›Mirror Freak‹«. David Bowie – wie Harley ein Freund Bolans, aber auch ein Rivale – beobachtete, dass Marc »so unglaublich stark auf sein Aussehen bedacht ist […], er ist wirklich in seinem eigenen Image versunken«. Wer im Glashaus sitzt, sollte nicht mit Steinen werfen, mag man sich da denken. Nichtsdestotrotz: Bolans Freude an seinem eigenen Image und Bild – das zuerst nur in Spiegeln und Schaufenstern reflektiert wurde, später auch im audiovisuellen Spiegel seines Publikums – führt uns zur Essenz des Glam.

      1956 begab sich Bolan zum ersten Mal auf die Pfade des Pop: Zu seinem neunten Geburtstag bekam er eine Akustikgitarre geschenkt, aber statt zu lernen, sie zu spielen, hat er »sie nur benutzt, um damit vor dem Spiegel herumzuwackeln« und dabei Elvis’ schlüpfrigen Hüftschwung zu imitieren. »Sobald die ersten Rock-’n’-Roll-Acts auf den Plan traten, haben das alle getan«, sagt Napier-Bell über die ersten britischen Nachahmer von amerikanischen Rockern. »Sie übten vorm Spiegel. Nicht unbedingt aus Narzissmus, aber um das Bild auch richtig hinzukriegen. Der Spiegel war der Vorreiter der Fernsehkamera.«

      Ein paar Jahre später stieß Bolan in einer Stadtbücherei auf ein Buch, das ihn nachhaltig prägen sollte: eine Biografie über Beau Brummell, einen Dandy der Regency-Ära, dessen penibles Augenmerk für Körperpflege und Kleidung Anfang des 19. Jahrhunderts die englische Aristokratie begeisterte, was ihm eine inoffizielle, aber einflussreiche Stelle als »Berater für Eleganz« des Prinzregenten einbrachte. Als er in dessen Gunst gefallen war und hohe Schulden angesammelt hatte, war er gezwungen, nach Calais umzusiedeln, wo er mit der Hilfe einiger loyaler Freunde eine Parodie seines alten Lebensstils auslebte. In Jules Barbey d’Aurevillys Über das Dandytum und Beau Brummell von 1845 ist die Rede davon, wie der in Ungnade gefallene und zunehmend desillusionierte Exilant imaginäre Dinnerpartys veranstaltete, bei denen er die Ankunft von angesehenen, aber nicht wirklich anwesenden Adligen mit einem Trompetenstoß verkündete.

      D’Aurevillys Buch – das Brummell zelebrierte und dessen Eitelkeit, Extravaganz und Frivolität verteidigte – übte starken Einfluss auf Baudelaire und später die französische Dekadenz aus, die sich einer Nostalgie für das nun verblassende Zeitalter der Aristokratie hingab. Baudelaire schrieb, das Dandytum sei so etwas »wie ein Sonnenuntergang«, ein »letzter Funke des Heldentums«. Andere Literaten des 19. Jahrhunderts lehnten das Dandytum ab. Thomas Carlyle dachte an Brummell und seinesgleichen, als er seine Satire Sartor Resartus (1836) schrieb. Carlyle definiert den Dandy als »Mann der Garderobe«, der sich »mit jedem Teil seiner Seele« dem »weisen und gekonnten Tragen von Kleidung« widmet: »So wie Andere sich kleiden, um zu leben, lebt er, um sich zu kleiden.« Für den Dandy dreht sich alles um »den Blick deiner Augen«. Carlyle entdeckt dahinter einen quasi-religiösen Impuls: die »Konfession der Dandys« ist ein an die Gegenwart angepasster Ausbruch »dieses urzeitlichen Aberglaubens der Selbstverehrung«.


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