Die rote Köchin. Anonym

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Die rote Köchin - Anonym


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sich feige zu unterwerfen und sich in ewige Gefangenschaft zu begeben. Auf den Zwiebelkuchen sind wir in Baden gekommen, wo wir uns aufhielten, um einen kulturellen Zirkel, der sich auf die Ideen Moeller van den Brucks bezog, zu »schließen«. Er erinnert sehr an den Speckkuchen, den man hier in Thüringen gern als Brotzeit isst, zu einem Glas Apfelwein. Uns gefällt er als Vorspeise.

      Auf einem Brett einen Mürbeteig (pate à foncer) aus 500 g gesiebtem Mehl, 200 g weicher Butter, einem Ei, einem Eigelb, einem halben Glas Milch, etwas Zucker und 1 TL Salz rühren, eventuell etwas heißes Wasser zufügen. Damit sich die Butter gleichmäßig verteilen kann, die fertige Teigkugel in sechs Stücke, die einzeln eingemehlt werden, zerteilen, bevor man sie wieder zusammenfügt. Den Teig dünn und rund ausrollen und damit eine gebutterte Kuchenform auslegen. Währenddessen zehn große, weiße Zwiebeln in Ringe schneiden, mit 50 g Schweineschmalz anbraten und auf dem Teig ausbreiten. Mit einer Mischung aus drei Eiern, zwei Gläsern frischem Rahm, 100 g mageren, geräucherten Speckwürfeln, 50 g geriebenem Greyerzer, Salz und Pfeffer übergießen. Mindestens 40 min im heißen Ofen backen und sofort servieren. Um ihn knusprig zu machen, könnt Ihr den Teig alleine 15 min vorbacken. Dazu wird er mit einer Gabel mehrfach durchstochen und mit Kichererbsen beschwert. Diese »Blindfüllung« wird nach dem Backen durch die eigentliche Füllung ersetzt.

       Schneehuhnterrine mit Portwein

      Es sind die imperialen Illusionen gewesen, die den Krieg provoziert haben und verloren gehen ließen. Aber in Berlin ist man aus dem 918 Jahre währenden Schlaf noch nicht erwacht. Über den Prachtstraßen der europäischen Kapitale spannen sich Triumphbögen aus weißen und roten Blumen, jeder Gruppe von Soldaten geht eine lärmende Militärkapelle voran. Wir hier in Deutschland müssen jetzt lernen, mit unserer bitteren moralisch-politischen Niederlage weiterzuleben, weiterzumachen unter den blühenden Rosskastanien, dem Gestank der Korruption einer operettenhaften Bourgeoisie, der aufreizenden Arroganz einer Geschichte, die immer diejenigen verachtet hat, die sie doch ausbeutet und die bislang kein Feuer hat ausmerzen können. Wir müssen weitermachen trotz der Sehnsucht nach dem sozialen Zusammenhalt, der wie Schnee in der Sonne geschmolzen ist, nach königlichen Hoheiten, die ihre Schleier lüften für den letzten übrig gebliebenen Gardeoffizier. Wir machen weiter trotz der Kleinbürger, die in ihren winzigen Wohnungen die abgetretenen Teppiche einrollen, um den Shimmy üben zu können. Machen weiter trotz der Polizeistreifen, der lähmenden Ruhe, mit der wir in den alten, verstaubten und düsteren Cafés die Nacht erwarten, trotz der Idioten, die auf mondän und five o’clock tea machen und von amerikanischen Autos träumen. Wir machen weiter, obwohl sich die Flammen einer europäischen Revolution als Strohfeuer erwiesen haben und unsere frierenden Herzen nicht mehr wärmen können. Wir müssen weiterleben mit einem faulen Reformismus, mit den Irrtümern der Nationalisten, mit den Volkstribunen, mit denen, die uns ungefragt ihre Brüder nennen und mit den delirierenden Charismatikern. Wir müssen, wir müssen …

      Aber dann waren alle Flaschen leer getrunken und von unseren Zimmern aus konnten wir sehen, dass auch in der Schule die letzten Lichter gelöscht worden waren. Die Entscheidung war gefallen, unser Lokal hatte einen Namen: Unendliche Nacht! Leonhard hat das ausgegraben, er ist unser Musikspezialist, es stammt aus Igor Stravinskys »Sacre du printemps«, und alle waren sofort begeistert, gerade Wilhelm, den dieses Stück an die Lichter und Schatten seiner Stadt St. Petersburg erinnert. Die Fenster stehen offen, damit der Zigarrenqualm entweichen kann, und plötzlich dringt eine Stimme herein, die die Bajadere von Kálmán singt: »Früher einmal machten es die Wilden / Jetzt gehört’s dazu, um sich zu bilden …« Diese Schneehühner, sagt Martin, sind die Brotkrumen, die wir vom Tisch des Feindes gestohlen haben. Schlichter gesagt sind sie die Frucht seiner Geschäftchen mit ein paar Förstern, die mit ihrem regulären Einkommen nicht zufrieden sind.

      Acht Pastetenformen aus Aluminium rechtzeitig kühl stellen. Sieben Blätter Gelatine in Wasser einlegen (meine Oma hat sie mit Kalbshaxe, Knochen und Speckschwarten noch selbst gemacht). Wenn die Blätter sich aufgelöst haben, mit 1 l Hühnerbrühe aufgießen. Wenn die Masse geronnen ist, die Formen füllen und wieder kalt stellen. Die ausgenommenen, sauberen Schneehühner in einen Topf mit kochendem Salzwasser und Kräuterbouquet geben und 30 min köcheln lassen. Erkalten lassen und Fleisch auslösen. Zusammen mit drei Eigelb, einem Gläschen roten Portwein und dem Rest der Gelatine mit Brühe, einem Glas frischem Schlagobers, 1 TL Muskat, Salz und Pfeffer durch den Fleischwolf geben. Mit der Masse die Formen füllen, ein paar min im Wasserbad kochen und mindestens vier Stunden kalt stellen. Vor dem Servieren die Terrine kurz über der Flamme erwärmen, auf den Teller stülpen, mit gerösteten Pinienkernen und einer Kartoffelkrokette mit Kastanienmehl garnieren.

       Königsberger Klopse

      Was ist passiert? Hannah nahm ihn beim Arm, um ihn ins Licht zu ziehen. Wilhelm zuckte vor Schmerz. Sie legte das Buch aus der Hand, das am Morgen mit der Post gekommen war. Ihr Vater hatte es geschickt, »Psychologische Typen«, ein Essay von Carl Gustav Jung, gerade in Zürich bei Rascher & Co. erschienen. Was ist passiert, fragte sie noch einmal. Dann zog sie seinen Ärmel hoch und sah den blutgetränkten Verband. Messer oder Schuss? Schuss. Ist die Kugel noch drin? Er schüttelte den Kopf. Hat das schon ein Arzt gesehen? War nicht nötig, die Wunde ist sauber. Und die Kopfwunde – war das auch ein Schuss? Ja klar, Gewehr. Wilhelm lächelte. Du bist nicht komisch, sagte Hannah. Setz dich hin, ich mache den Verband neu.

      Die Freunde waren in Chemnitz bei einer Kundgebung gewesen und dort von Freikorps-Leuten angegriffen worden, einige in Offiziersuniform. Nach der ersten Salve hatte es Verletzte gegeben, Panik war ausgebrochen. Die Organisatoren hatten Mühe gehabt, die Ordnung wiederherzustellen und zu reagieren. Am Ende waren zwei Demonstranten tot am Platz geblieben, zahlreiche hatten Verletzungen davongetragen. Unbewaffnet können wir nicht weitermachen, Hannah. Wilhelm war bleich, er hatte die Lippen aufeinander gepresst, die Augen waren rot gerändert vor Müdigkeit. Mühsam versuchte er, sich die Jacke wieder anzuziehen.

      Um Kommunisten zu sein, müssen wir die Idee in ihrer ursprünglichen subversiven Kraft lebendig werden lassen – aber um Revolutionäre zu sein, müssen wir so handeln, dass diese Idee wahr wird. Dazu verfügen wir über kein anderes Instrument als die Praxis. Die, sagt Sergeji Jessenin, muss den Regenbogen im Himmel wie eine Armbrust spannen. Scheiße, Hannah: Wir müssen uns besser bewaffnen und zwar sofort!

      Kurt hat uns erzählt, dass diese Klopse aus Ostpreußen kommen. Seine Großmutter machte sie noch mit Wildschwein, das die Männer von der Jagd mitbrachten.

      300 g Rind, 400 g Schwein und einen entgräteten Hering durch den Fleischwolf geben. Eine fein gewiegte Zwiebel, ein halbes Glas Semmelbrösel, 2 EL frischen Rahm mit einem Spritzer Zitrone, etwas frischen Thymian, zwei Eier, Salz und frisch gemahlenen schwarzen Pfeffer dazugeben. Das Ganze vermengen und zugedeckt beiseite stellen. Nun eine Mehlschwitze zubereiten: 50 g Butter in einer Kasserolle auflösen, kurz vom Feuer nehmen, dann mit 50 g Mehl verrühren. (Während ich das machte, erklärte mir Hans, dass die Stärke des Mehls sich auf diese Weise in Dextrin verwandelt, welches die Eigenschaft besitzt, Flüssigkeiten, denen es zugesetzt wird, einzudicken. Gilt das für alle Arten von Küchen? Er lächelte nur.) Bei niedriger Flamme mit dem Holzkochlöffel rühren, bis die Masse sich hellbraun färbt. 1/2 l Brühe, ein Lorbeerblatt, ein paar Pfefferkörner, eine Handvoll Kapern und einen Strunk Sellerie dazugeben. Aufkochen und bei niedriger Temperatur um ein Drittel reduzieren. Eventuell nachsalzen. Dann mit nassen Händen eigroße Klopse formen, in die Sauce geben und bei geschlossenem Deckel gut 20 min auf kleiner Flamme ziehen lassen. Ab und an leicht am Topf ruckeln, damit die Klopse nicht ankleben. Die fertigen Klopse auf eine vorgewärmte Platte legen, den Fond durch ein Sieb geben und mit ein paar Löffeln Rahm, einem Eigelb und der geriebenen Schale einer halben Zitrone abschmecken, gut durchrühren, eventuell nachsalzen und auf die Klopse geben. Kurz vor dem Servieren mit frischer Petersilie bestreuen. Dazu Pellkartoffeln und Essiggurken reichen. (Nach der Schicht habe ich den Brief wieder zur Hand genommen, der dem Buch beilag. Mein Vater schrieb: »Lies das Buch aufmerksam. Es ist ein weiteres Exempel für die Kultur des Idealismus, die immer allzu geneigt ist, einen gefährlichen Dualismus zu propagieren. Es fängt damit an, dass man Introvertiertes und Extrovertiertes, Denken und Fühlen,


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