Gesammelte Werke von Guy de Maupassant. Guy de Maupassant

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Gesammelte Werke von Guy de Maupassant - Guy de Maupassant


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ihrem Vater und ihrem Mann. Der kurze Weg von der Platane bis ins Zimmer erschien ihr endlos, und unwillkürlich stöhnte sie und verlangte zu sitzen, gequält durch ein unerträgliches Gefühl der Schwere im Leib.

      Des Kindes Ankunft wurde erst Ende September erwartet, es war also noch nicht so weit; aber da sie eine Fehlgeburt fürchteten, wurde schnell angespannt, und der alte Simon fuhr im Galopp davon, um den Arzt zu holen.

      Dieser kam gegen Mitternacht und erkannte auf den ersten Blick die Anzeichen einer Frühgeburt.

      Im Bett hatten die Schmerzen etwas nachgelassen, aber eine furchtbare Angst bedrückte Johanna, eine verzweisiungsvolle Schwache ihres ganzen Wesens, etwas wie ein Vorgefühl des geheimnisvollen Hauchs des Todes.

      Es giebt solche Augenblicke, wo er uns so nahe streift, daß sein Atem uns das Herz erstarren macht.

      Das Zimmer war voll Menschen. Mutting rang nach Atem, in einem Stuhl liegend. Der Baron, dessen Hände zitterten, lief immerfort hin und her und brachte allerlei Gegenstände geschleppt, befragte den Arzt und verlor den Kopf. Julius ging mit verstörter Miene, aber innerlich ganz ruhig auf und ab, und die Witwe Dentu stand am Fußende des Bettes mit einem für die Gelegenheit passenden Gesicht, dem Gesicht einer erfahrenen Frau, die nichts mehr in Verwunderung setzt.

      Als Krankenpflegerin, Hebamme, Totenfrau, die in Empfang nehmend, die ins Leben traten, deren ersten Schrei sie hörte, deren jungen Leib sie mit dem ersten Wasser wusch, die sie in die eisten Windeln wickelte – und mit derselben Ruhe dem letzten Röcheln, dem letzten Schauer derjenigen beiwohnend, die aus dem Leben gingen, die sie mit dem Totenhemd bekleidete, deren verwelkten Leib sie mit Essig wusch, die sie in die letzten Linnen bettete – sah sie mit unerschütterlichem Gleichmut allem entgegen, was Tod und Geburt betraf.

      Die Köchin Ludwine und Tante Lieschen blieben diskret an der Thür im Flur, und ab und zu stieß die Kranke einen leichten Schrei aus.

      Zwei Stunden lang konnte man meinen, daß es noch lange dauern würde, aber gegen Tagesanbruch wurden plötzlich die Schmerzen wieder heftiger bald unerträglich, und Johanna, der, wie sehr sie auch dagegen ankämpfte, zwischen den zusammengepreßten Zähnen ein Schmerzensschrei entfloh, dachte unausgesetzt an Rosalie, die nicht gelitten hatte, kaum gestöhnt, und deren Kind, der Bastard, mühelos und ohne Schmerz in die Welt getreten war.

      In ihrer armen, gequälten Seele zog sie immerfort Vergleiche und fluchte Gott, den sie bisher für gerecht gehalten. Sie war empört über die sündhafte Ungerechtigkeit des Schicksals und die verbrecherischen Lügen derer, die von Gerechtigkeit und Güte predigen.

      Ab und zu ward der Anfall so stark, daß ihr die Gedanken ganz schwanden. Sie hatte keine Kraft mehr, kein Leben in sich, sie wußte nur, daß sie furchtbar litt.

      In den Augenblicken, wo sie etwas ruhiger wurde, mußte sie immer Julius ansehen, und ein anderer Schmerz, ein seelischer, packte sie, wenn sie an den Moment dachte, wo ihr Mädchen zu Füßen desselben Bettes niedergesunken war, das Leben gebend dem Bruder des Wesens, das sie so leiden machte. Peinlich genau erinnerte sie sich der Blicke, der Worte, der Bewegungen ihres Mannes gegenüber dem Mädchen, das dort gelegen, und nun las sie auf seinen Zügen, als ob seine Gedanken ihm auf der Stirn geschrieben stünden. Sie las dieselbe Langeweile, dieselbe Gleichgiltigkeit in ihnen, für sie, wie für jene andere, dieselbe Sorglosigkeit des Egoisten, den die Vaterschaft nervös macht.

      Aber da packte es sie wieder fürchterlich, ein so heftiger, grausiger Krampf, daß sie sich sagte: »Ich sterbe, ich sterbe.«

      Nun kam eine fürchterliche Empörung über sie: der Wunsch allen zu fluchen, ein wütender Haß gegen diesen Mann, der sie so behandelt, und gegen dieses Kind, das sie tötete.

      In höchster Anstrengung streckte sie sich, um die Last von sich zu stoßen, und plötzlich war es ihr, als ob ihr Inneres sich gewaltsam entleere und der Schmerz ließ plötzlich nach.

      Die Wärterin und der Arzt standen über sie gebeugt, damit beschäftigt, etwas fort zu nehmen, und bald zuckte sie zusammen unter jenem Geräusch, das sie schon einmal gehört. Dann bohrte sich ihr der kleine Weheruf, das zarte Wimmern eines neugeborenen Kindes in die Seele, in ihren geschwächten Körper, in ihr Herz, und sie wollte in unwillkürlicher Bewegung die Arme ausstrecken.

      Sie war so glückselig. War es nicht ein neuer Ruf zum Glück, den sie gehört? Und befreit, beruhigt, fühlte sie sich im Augenblick glücklich wie nie in ihrem Leben, Herz und Leib erwachten wieder: sie war Mutter. Sie wollte ihr Kind sehen. Es hatte keine Haare, keine Nägel, da es zu früh geboren war. Aber als sie dieses Menschenlärvchen sich bewegen sah, sah, daß der Mund sich öffnete, daß es sich regte, daß dieses welke Geschöpfchen da ein Gesicht schnitt und lebte, kam eine unbändige Freude über sie, und sie fühlte, daß sie gerettet sei, daß sie nun gegen alle Verzweiflung gefeit war, daß sie da in den Händen etwas hielt, das sie lieben konnte, das ihr Leben ausfüllen würde.

      Von nun an hatte sie nur noch einen Gedanken: ihr Kind.

      Sie ward plötzlich eine fanatische Mutter und um so mehr, als sie sich in ihrer Liebe enttäuscht fühlte, in ihren Hoffnungen betrogen.

      Sie mußte immer die Wiege nahe an ihrem Bett haben, und als sie aufstehen konnte, saß sie ganze Tage lang am Fenster, neben dem Bettchen ihres Kindes, das sie wiegte.

      Sie war eifersüchtig auf die Amme, und wenn das kleine dürftige Wesen seine Arme ausstreckte und nach der Brust verlangte, blickte sie, bleich geworden, zitternd die kräftige ruhige Bäuerin an, mit dem Wunsche, ihr den Sohn wegzureißen und diese Brust, an der er gierig trank, zu schlagen und mit den Nägeln zu zerfleischen.

      Dann stickte sie, um ihn zu putzen, die schönsten Sachen selbst, alles mit dem größten Luxus. Er wurde in eine Wolke von Spitzen gehüllt und bekam warme, wundervolle kleine Mützchen.

      Sie sprach nur noch davon und unterbrach plötzlich die Unterhaltung, um irgend ein Spitzchen, ein Lätzchen oder ein besonders schön benähtes Band zu zeigen.

      Sie hörte nichts von dem, was um sie herum vorging, begeisterte sich über jedes Stückchen Wäsche, das sie selbst lange säumte und in den Händen hin und her wendete, es genau zu betrachten; dann fragte sie wohl plötzlich:

      – Glaubt ihr nicht, daß ihm das stehen wird?

      Der Baron und Mutting lächelten über diese fanatische Zärtlichkeit, aber Julius, dessen Lebensgewohnheiten dadurch gestört wurden und der sich in seiner Wichtigkeit im Hause durch die Ankunft dieses kreischenden, allmächtigen Tyrannen geschmälert fühlte, war unbewußt eifersüchtig auf dieses kleine Menschenkind, das ihm seinen Platz im Hause raubte, und wiederholte oft ungeduldig:

      – Sie ist doch langweilig mit ihrem Wurm!

      Bald war sie so von dieser Liebe in Anspruch genommen, daß sie ganze Nächte an der Wiege saß, zu beobachten wie der Kleine schlief. Da sie aber bei dieser leidenschaftlichen, krankhaften Bewunderung selbst die Kräfte verlor, gar keine Ruhe mehr fand, ganz matt und mager wurde, und anfing zu husten, so verlangte der Arzt, daß sie von ihrem Sohn getrennt würde.

      Sie ward böse, weinte, flehte, aber man blieb ihren Bitten gegenüber taub. Die Wiege wurde nun jeden Abend neben das Bett der Amme gestellt, und allnächtlich stand die Mutter mit bloßen Füßen auf und lauschte am Schlüsselloch, um zu hören, ob ihr Kind ruhig schlafe, ob es nicht aufgewacht, ob es nichts brauche.

      So fand sie Julius einmal, als er spät heimkehrte, da er bei Fourvilles gegessen, und von nun ab schloß man sie in ihrem Zimmer ein, um sie zu zwingen, im Bett zu bleiben.

      Die Taufe fand gegen Ende August statt. Der Baron und Tante Lieschen standen Pate, und das Kind bekam die Namen Peter Simon Paul: Paul als Rufname.

      In den ersten Septembertagen reiste sang-und klanglos Tante Lieschen ab, und man bemerkte ihre Abwesenheit eben so wenig, wie ihre Gegenwart.

      Eines Abends erschien der Pfarrer nach Tisch. Er war wie verlegen, als hätte er ein Geheimnis, und nach einer Reihe von Redensarten bat er, die Baronin und ihren Mann einen Augenblick unter vier Augen sprechen zu dürfen.

      Langsamen Schrittes


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