Wahre Verbrechen: Morde am Fließband - Die bekanntesten Kriminalgeschichten aller Länder. Alexis Willibald

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Wahre Verbrechen: Morde am Fließband - Die bekanntesten Kriminalgeschichten aller Länder - Alexis Willibald


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daß sich dieser Vorsatz nicht mit ihrer vorgegebenen Religiosität vereinen lasse. Die Natur half selbst. Wenn der Hunger aufs höchste gestiegen war, verlangte sie doch noch etwas Bouillon und Apfelmus. Nur die letzten acht Tage genoß sie gar nichts.

      Die fünf Frauen sagten einstimmig, in der letzten Zeit sei die Gottfried immer schlechter geworden, immer »gallichter«, »häßlicher«, »unartiger«. Sie las auch nicht mehr zum Scheine in den Erbauungsbüchern. Sie betete nie und klagte nie über ihre Sünden. Die heuchlerisch-demütige Kreatur ward jetzt, da sie sah, daß alle ihre Verstellung nichts half, frech und bitter gegen die Beamten und Richter: die Bewachung habe ihr ein Gallenfieber zugezogen; es fehle nur, daß man sie auch noch fessele; es sei unausstehlich, wie viele Besuche man zu ihr lasse usw. Sogar noch gegen die fünf Frauen heuchelte sie; denn sie gab jeder einzelnen den Vorzug vor der anderen und schmähte auf die Abwesenden.

      Sie hoffte aufs bestimmteste, noch vor ihrer Hinrichtung aus Schwäche zu sterben, und verordnete für diesen Fall, daß man ihr den Mund zubinden solle, damit er nicht so häßlich offen stehe. Dann möchte man ihr den Todesschweiß abwischen und sie mit einem Bettlaken bedecken, daß sie nicht zum Schauspiel würde, wenn man sie die Treppe hinuntertrage. Trotz dieser Todesgedanken und -vorbereitungen hatte sie das feinste Ohr für alles, was im Gefängnis vorfiel; sie horchte durch die Mauern, kannte die Gefangenensprache, interessierte sich aufs lebhafteste für die männlichen Gefangenen und hätte gern die Kupplerin gespielt für ihre Liebschaften; denn auch diese werden in den Kerkermauern gepflogen.

      Ein besonderes letztes Interesse erregte ihr die Gefangensetzung einer anderen Frau, die des Giftmordes an ihrem Gatten beschuldigt war. Sie versuchte durch die Wände den Antworten bei deren erstem Verhör zuzuhören und äußerte dann: »Die teufelt sich davon los. Wenn ich hätte so sprechen können, so wäre ich auch freigekommen.«

      Der Erteilung des Abendmahls wich sie, indem sie Krankheit vorschützte, noch aus, und Doktor Dräseke mußte mehrere Male unverrichteter Sache fortgehen. Im übrigen versuchte sie auch jetzt noch die Fromme zu spielen und prunkte vor allen, die sie besuchten, mit salbungsvollen biblischen Sprüchen, die sie immer zur Hand zu haben schien.

      Am 14. April 1831 wurde ihr das unter dem 6. April ergangene Urteil des Oberappellationsgerichts der vier freien Städte Deutschlands zu Lübeck, welches das Bremer Urteil lediglich bestätigte, eröffnet. Keine sonderliche Bewegung ward an ihr sichtbar; doch ließ sie es sich wiederholen, worauf sie Tränen vergoß und erklärte, ihr Leben sei das wenigste, was sie für so viele Verbrechen geben könne.

      Fest und entschieden erklärte sie, als ihr Verteidiger sie darauf aufmerksam machte, daß sie um Begnadigung beim Senate einkommen dürfe und er gern erbötig sei, ihr Gesuch aufzusetzen, daß sie nicht um Begnadigung bitten wolle, sie gebe gern ihr Leben hin.

      Noch war freilich ihr Vertrauen darauf gerichtet, aus Schwäche vor der Hinrichtung zu sterben. Zusammengekauert lag sie im Bette, stumpfsinnig das Unvermeidliche erwartend. Vom Lesen und Beten mochte sie nichts hören; sie sei zu schwach dazu, und kurz erklärte sie allen, die sie befragten, Gottes Barmherzigkeit sei größer als alle Sünden, und niemand könne mehr tun, als sein Leben hingeben, noch dazu, wenn er es gern gebe.

      Als die Hoffnung, an Schwäche zu sterben, fehlschlug, beschäftigte sie sich nur mit den Äußerlichkeiten der Hinrichtung. Zwar nahm sie nun endlich nach vielem Aufschub das Abendmahl, doch ohne inneres Verlangen, nur durch äußere Rücksichten genötigt. Ihre Toilette war viel wichtiger. Als man ihr im Gefängnis einige Tage vorher zum ersten Male einen Spiegel gab, erschrak sie heftig, wie sie jetzt aussehe und wie sie gealtert sei. Sie wollte nicht wieder hineinsehen. Sie lieh sich eine Haube von der Gefangenenwärterin, und da sie ihr nicht weiß genug war, bat sie die Frau, sie vorher in ihrem Garten noch etwas zu bleichen.

      Am 19. April erfuhr sie, daß sie am nächsten Morgen hingerichtet werden solle. Sie erkundigte sich genau nach dem Ort und der Stunde und versicherte, sie habe alles gestanden und keinen mehr vergiftet, als die auf der Liste ständen; ihr Herz sei ganz rein! Überhaupt kamen nur selbstgefällige Äußerungen über ihre Lippen, ein flüchtiger Scherz mit dem Gefangenenknecht, ein Gelüst nach Johannisbeeren und Apfelsinen.

      Das gleißende Gewand äußerer Leutseligkeit entfiel ihr mehr und mehr, je näher die Todesstunde kam. Sie ward einsilbig und antwortete kaum. Noch bis zur letzten Stunde gab sie die Hoffnung nicht auf, daß sie an dem Gallenerbrechen, das ihre Schwäche erhöhte, sterben möchte. Morgens um fünf Uhr erschien der Geistliche und fand sie noch schlafend. Als man sie endlich weckte, war sie nicht weniger als erfreut über den Besuch, forderte Wein zum Trinken und Einreiben, Kaffee und andere Kleinigkeiten, ohne daß ihr Sinn sich besonders mit dem Prediger beschäftigt hatte.

      Eine neue Angst stieg in ihr auf vor dem offenen Wagen, in dem sie transportiert werden sollte. Sie fürchtete, den Exzessen des Pöbels ausgesetzt zu sein. Man beruhigte sie, indem man ihr sagte, daß ein Polizeidiener neben ihr sitzen werde. Ihr Anzug beschäftigte sie fast allein in der letzten Stunde. Aus ähnlichem Grunde ließ sie den Geistlichen, der einen zweiten Besuch machen wollte, nicht vor. Sie zog sich selbst an und ließ sorgsam den Kragen der Jacke abschneiden, damit Platz zum Schwertstreich werde. Die neuen Schuhe von grober Arbeit, die man ihr hinstellte, wies sie mit Abscheu von sich und gab sich erst zufrieden, als eine Frau ihr ein Paar leichte Zeugschuhe brachte; aber die schwarzen Strümpfe, die ihr geliefert wurden, zog sie über ihre alten grauen, um ihre Waden dadurch mehr hervorzuheben.

      Noch kam ein furchtbarer Moment für das eitle Weib. Man wußte, wie sie sich gegen das übliche Totenkleid, ein weites, weißes Gewand mit schwarzer Einfassung und gleichen Bändern und Schleifen, sträuben würde. Und deshalb ward es ihr erst hereingebracht, als sie schon aufrecht stand, unterfaßt von zwei Dienern der Gerechtigkeit. Ihre Augen verdrehten sich auf furchtbare Weise, als sie das Kleid zu Gesicht bekam, und sie seufzte tief auf, als man es ihr über den Kopf warf, faßte sich aber doch und zupfte es zurecht.

      Schnell und ohne Rührung nahm sie Abschied von den Frauen; als aber Dräseke den Augenblick wahrnahm und plötzlich an sie herantrat, wandte sie sich mit den Worten um: »Ihnen will ich nicht adieu sagen«. – »Und mir willst du nicht adieu sagen?« sprach der Geistliche. Sie antwortete rasch: »Na, dann will ich Ihnen auf ewig adieu sagen.« – »Nein, nicht auf ewig«, erwiderte Dräseke tief bewegt, sprach noch einige Worte der Ermahnung und weinte bitterlich. Jetzt stürzten auch ihre Tränen hervor; sie hielt ihr weißes Tuch vor das Gesicht und wankte die Treppe hinunter.

      In äußerlich vollkommener Haltung saß sie während des ganzen Weges zur Richtstatt auf dem Leiterwagen, den sie ohne große Unterstützung bestiegen hatte. Ihre Hände hatte sie schon bald von dem Stricke, der scheinbar darum geschlungen worden war, befreit, und sie hielt während der ganzen Fahrt krampfhaft die Hand des neben ihr sitzenden Polizeidieners.

      Im Angesicht des Marktplatzes war das Schafott aufgeschlagen, elf Fuß hoch, schwarz behangen. Ihm gegenüber, sechs Fuß hoch, stand die ebenfalls schwarze Tribüne zur Hegung des hochnotpeinlichen Halsgerichts. Auf jene hinaufgehoben, hörte sie, dem Gerichte gegenüber, mit sichtbarer Angst, doch ohne Tränen die Vorlesung des Todesurteils. Nachdem von dem Senator der Stab über ihrem Haupte zerbrochen und sie dem Scharfrichter übergeben worden war, reichte sie dem Gerichte zum Abschied ihre Hand, nahm einen guten Trunk Weins und wankte dem Schafott zu. Zierlich faßte sie beim Aufsteigen auf die Treppe das Gewand. Als sie oben den für sie bestimmten Lehnstuhl sah, stierte, so wird uns vom Verteidiger berichtet, »ihr Blick wild umher, ein satanisches Leben, ein Feuer der Hölle blitzte aus dem sonst erloschenen Augapfel hervor«. Da der zur Aufrechterhaltung des Kopfes bestimmte Riemen nicht passen wollte, vergingen noch einige Minuten. Die Knechte stießen den kraftlos übersinkenden Kopf wiederholt durch Stöße unter das Kinn empor, bis ein kräftiger Hieb das Haupt vom Körper trennte.

      Die vorige Stille verwandelte sich in ein lautes Rufen der zahllos Versammelten. Der Scharfrichter nahm das weiße Tuch, welches die Gerichtete auf ihrem Schöße liegen hatte, und wischte damit das Blut vom Schwerte.

      Bei der Sektion des Leichnams – er ward auf dem Schinderkarren fortgefahren – ergab sich eine vollkommen regelmäßige Struktur aller edlen Körperteile und zugleich die völlige Gesundheit der Verbrecherin. Ihre Schwäche war nur die Folge des versuchten


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