Wahre Verbrechen: Morde am Fließband - Die bekanntesten Kriminalgeschichten aller Länder. Alexis Willibald

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Wahre Verbrechen: Morde am Fließband - Die bekanntesten Kriminalgeschichten aller Länder - Alexis Willibald


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lange der Kopf der Gottfried in Spiritus, ihr Skelett in einem Schranke aufbewahrt.

      John Sheppard

      1724

       Inhaltsverzeichnis

      Der kühnste Dieb, den London je gesehen hat, war Jac Sheppard. Sein Lebenslauf war kurz; erst zweiundzwanzig Jahre alt, hatte er ihn 1724 schon vollendet: aber sein Angedenken ist von längerer Dauer; es lebt noch heute im Volke, in der Kriminalistik und in der Literatur.

      Für uns besonders hat er Bedeutung als Repräsentant einer großen Gaunerklasse der englischen Hauptstadt; durch Geschick, Witz, Verwegenheit und ein seltenes Glück in den allergefährlichsten Fluchtversuchen erhob er sich schon im Knabenalter über seine Jahre und erwarb sich einen Namen, der der englischen Sittengeschichte angehört. Die Dichtung hat ihn in der Art behandelt, wie sie oft Räuber zu Helden erhob; unsere Aufgabe ist es, diesen geborgten Lustre abzustreifen und die Wirklichkeit, welche aus den erhaltenen Aktenstücken sehr deutlich erhellt, wieder herzustellen. Auch da bleibt noch genug Ungewöhnliches übrig, und das natürliche Bedauern stellt sich ein, daß solche außerordentliche Kraft keine Wege fand, sich für das Gemeinwohl zu äußern.

      Alle seine Diebstähle, Einbrüche, Straßenüberfälle aufzuzählen, liegt außer unserm Zweck; seine Bedeutung erhält er erst durch sein Ende, zu dem wir deshalb in möglichster Kürze hinübereilen wollen.

      Am Strande wohnte ein wohlhabender Tuchhändler, William Kneebone. Im Sommer 1724 erhielt er die heimliche Warnung, daß gefährliche Diebe in seinen Laden einzubrechen beabsichtigten. Solche Warnungen kamen nicht selten vor, zuweilen waren es nur Mystifikationen, hinter denen sich andere Absichten verbargen, zuweilen verriet ein unzufriedener Spießgesell seine Gefährten. Kneebone traf seine Maßregeln. Er ließ seine Leute im Hause wachen, die verkappten Wächter gingen auf der Straße auf und ab. Es blieb still, die Diebe waren gewarnt. Dennoch glaubte gegen Morgen die Magd ein Geräusch an der Tür und die Worte zu hören: »Ist’s heute nicht, so ist’s ein andermal!«, und die Diebe liefen fort.

      Aber sie kamen, als man des Wachens überdrüssig war, nach vierzehn Tagen wieder. Am 13. Juni morgens fand Kneebone seinen Laden erbrochen. Zwei dicke Eichenstangen an der Hintertür waren durchschnitten, eine mit drei Riegeln und starkem Vorhängeschlosse verwahrte Tür war gesprengt, und außer andern Gegenständen von Wert war der größere Teil des Tuchvorrats ausgeräumt. Im Hause hatte niemand das geringste Geräusch gehört.

      Ein so kühner Diebstahl konnte so geschickt, so in der Stille nur von einem Diebe ausgeführt sein – von Jac Sheppard. Kneebone hatte noch andere Gründe, auf ihn zu raten. Er wandte sich an den berühmten Diebesfänger Jonathan Wild, der diesmal mit großer Bereitwilligkeit und Schnelle ans Werk ging, die bekannte Konkubine Sheppards, Edgeworth Beß, in einer Branntweinkneipe aufgriff und ihr mit Drohungen so hart zusetzte, bis sie den Aufenthalt ihres Geliebten verriet. Er ward schon am folgenden Tage von Jonathans Diener Quilt überrascht. Zu seinem Mißgeschick versagte die Pistole, welche er auf Quilts Brust abdrückte; er ward überwältigt und in den unterirdischen Kerker von New-Prison gesetzt, wo er schon am andern Tage nach seiner Verhaftung ein vollständiges Bekenntnis aller seiner Verbrechen ablegte. Ein großer Teil derselben war schon aus frühern Verhören bekannt; waren doch sein Leben und seine Taten bereits stadtkundig.

      John Sheppard (Jac genannt) war der Sohn rechtschaffener Eltern, 1702 geboren. Nachdem sein Vater, ein Zimmermann, früh gestorben war, suchte seine Mutter ihm und seinem altern Bruder Thomas eine möglichst gute Erziehung zu geben, hatte aber wenig Freude an beiden Söhnen. Ein Freund des verstorbenen Sheppard, derselbe Tuchhändler Kneebone, den er nachher bestahl, nahm sich Jacs an, er nahm ihn zuerst in seinem eigenen Hause auf, lehrte ihn selbst schreiben und rechnen und brachte ihn dann beim Zimmermeister Wood in die Lehre.

      Er führte sich hier zuerst gut auf, aber beim Besuch der Alehäuser geriet er in schlechte Gesellschaft, und die Liebschaft mit einer öffentlichen Dirne, Edgeworth Beß, verdarb ihn gänzlich. Indes liebte er diese verworfene Person mit einer fast ritterlichen Zuneigung und Aufopferung, was auf einen bessern Grundcharakter schließen ließe. Er fing an zu stehlen, nicht für sich, sondern für sie, und wenn er auch mit einer ganzen Schar anderer Geliebten später sein ausgelassenes Leben trieb, bewahrte er ihr doch eine Treue, die bis in den Tod dauerte.

      Er stahl und brach ein. Der Verdacht traf ihn, aber durch Keckheit und offenes Wesen wußte er ihn mehrmals zu entfernen. Mit seinem gutmütigen Lehrherrn, der ihn unter Tränen warnte, trieb er sein Spiel. Wenn dieser den Herumtreiber nachts ausschloß, fand er ihn zu seiner Verwunderung des Morgens ruhig in seinem Bette schlafen. Schon war ihm die Kunst, durch alle Türen zu dringen, eine Kleinigkeit. Endlich überwarfen sich beide ernstlich; der Meister war eines solchen Lehrlings, der sich sogar an öffentlichen Orten gegen ihn vergriff, wenn er ihn liebevoll zur Rede stellte und warnte, und er der väterlichen Zuchtrute und des regelmäßigen Lebens überdrüssig.

      Ein so kühner Gesell, von liebenswürdigem Äußern, von tollem Wagesinn, von geschickter Hand, ein ausgelernter Zimmermann, war den Gaunern, mit denen er nun Gemeinschaft schloß, Blueskin, Field, Doling, Sickes, ein willkommener Bruder. Gehörte doch sein eigener Bruder Thomas Sheppard schon zu dieser Bande, die einen Ruf in den Straßen und Tavernen hatte.

      Mit dem Oktober 1723 fing ihr gemeinschaftliches Geschäft an – also nur ein Jahr einer Tätigkeit, die ihm einen unsterblichen Namen verschaffte! Diese Gemeinschaftlichkeit hinderte übrigens nicht, daß nicht ein jeder auf seine Hand und für sich allein tätig war, ja daß nicht einer den andern bestahl und angab.

      Jac war indes immer der Großmütige, der freigebig fortschenkte und für sich den geringsten Anteil behielt. Einst brach er mit seinem Bruder in ein Wirtshaus ein, voraus bedungen war gleiche Teilung; da aber Thomas nachher ein verdrießliches Gesicht machte, überließ ihm Jac das Ganze. Züge der Art, als sie bekannt wurden, erhöhten seinen Ruf. Einen wahrhaft ritterlichen Anstrich gewann er aber, und er ward der erkorene Liebling aller Dirnen der Straße, als er einst seine Beß, die eingesperrt worden war, mit Gewalt befreite, indem er den Büttel niederschlug und die Gefängnistür sprengte.

      Tom Sheppard vergalt später seinem Bruder jene Großmut in schlimmer Weise. Nach einem andern gemeinschaftlichen Einbruch ergriffen, verriet er in der Hoffnung, als Königszeuge zugelassen zu werden, den Bruder. Jac entwich, aber ein anderer Bundesgenosse, James Sikes, überlieferte ihn, während er ihn als Gast zum Trinken eingeladen hatte, den Konstablern. Solcher Verrätereien hat Jac sich nie schuldig gemacht.

      In das Rundhaus von St. Giles gesperrt, zwei Stock hoch, machte er seinen ersten, glücklichen Versuch zu entfliehen. Nur mit seinem Rasiermesser und dem Eisen versehen, das er aus einem Stuhl entnommen hatte, brach er durch die Giebelwand und ließ sich an dem mit den Bettdecken zusammengeknüpften Bettuche in den Kirchhof hinunter. Innerhalb zwei Stunden war er als Gefangener eingebracht und schon entflohen.

      Später wegen eines leichten Vergehens – sein Gefährte wollte an einem schönen Maiabend einem Gentleman die Uhr ausziehen und entfloh, als der Gentleman »Diebe!« rief, und Jac wurde ergriffen – in das Rundhaus von St. Anna gebracht, erhielt er einen Besuch seiner geliebten Beß. Da auch sie verdächtig war und man beide für Mann und Frau hielt, wurden sie zusammen nach New Prison gebracht und dort eingesperrt. Man vergönnte ihnen, Freunde zu empfangen, die ihn heimlich mit allen Werkzeugen, die zur Flucht nötig sind, versahen. Es war seine zweite, gefährlichere Flucht.

      Beide lagen in dem festesten Gefängniszimmer, Sheppard in Ketten und Schlössern von vierzehn Pfund Gewicht. Aber schon fünf Tage nach seiner Gefangennehmung, am 25. Mai, es war der Pfingstmontag, hatte er seine Ketten durchgefeilt. Er brach durch die Mauer, und mit ungewöhnlicher Kraft und großem Geschick löste er eine Eisenstange und zugleich einen neun Zoll dicken Querbalken, welche das Fenster von außen barrikadierten. Aber die Tiefe bis zum Boden betrug noch fünfundzwanzig Fuß. Auch hier wurden Bettuch und Bettdecke zusammengeknüpft, an eine der noch festen Eisenstangen befestigt, und Beß mußte zuerst hinunter. Sie war sehr wohlbeleibt, und die Öffnung schien zu schmal. Sie mußte Rock und Unterrock ablegen und zwängte sich mit großer Mühe


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