Wahre Verbrechen: Morde am Fließband - Die bekanntesten Kriminalgeschichten aller Länder. Alexis Willibald

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Wahre Verbrechen: Morde am Fließband - Die bekanntesten Kriminalgeschichten aller Länder - Alexis Willibald


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daß ihm Pardon geschenkt werden dürfte, weil er ein so ungewöhnlicher Dieb und Schelm sei.

      Der König und der Ministerrat fanden diesen Grund nicht ausreichend. Nachdem ein kurzes Verfahren über die Identität des Wiedereingefangenen mit dem einst Verurteilten stattgefunden hatte, wurde John Sheppard am 16. November zur Hinrichtung abgeführt.

      Auch an diesem Schreckenstage hatte er die Hoffnung nicht ganz aufgegeben, den Händen der Justiz noch einmal zu entgehen. Jemand hatte ihn mit einem Federmesser versehen. Er steckte es entblößt in seine Tasche, die Spitze nach oben. Seine Absicht, die er einem Vertrauten mitteilte, war, sich in dem Karren vornüber zu lehnen und, die Hände in die Tasche bringend, die Stricke an der Schneide des Messers auf-und niederzustreichen, bis sie entzwei wären. Dann, wenn der Zug an einer der kleinen Quergassen vorbeikäme, in die kein Reiter kann, wollte er sich schnell über den Wagen ins Volk stürzen und in die Quergasse zu entkommen suchen. Vom Volk nahm er an, daß es ihm befreundet sei. Bis die Konstabler aus dem Sattel wären, hoffte er entschlüpft zu sein. Die Geistlichen legten seine Worte, als er den Karren bestieg: »Mein Herz ist jetzt so zufrieden, als ginge ich, um ein Landgut mit zweihundert Pfund Sterling Einkünften in Besitz zu nehmen«, als Büßfertigkeit aus; es ist nicht unmöglich, daß er des Gelingens seines Fluchtversuchs sich für gewiß hielt. Bußfertige Gedanken hatte er überhaupt nie viel gezeigt und nur in Gegenwart des Geistlichen und in der Kapelle den äußern Anstand, der einem Kandidaten solchen Todes ziemt, bewahrt.

      Der Plan scheiterte schon beim Einsteigen in den Karren. Einer der Beamten schnitt sich, als er die Tasche zu rasch durchsuchte, in die Finger. Das Messer ward herausgenommen, Sheppards freilich noch nicht letzte Hoffnung.

      So schwer ward ihm das Scheiden vom Leben, das ihm durch seine raschen Katastrophen so lieb geworden war. Er verabredete mit einigen seiner Bekannten, sie möchten, sobald sein Körper abgeschnitten worden sei, ihn eiligst in ein warmes Bett legen und zur Ader lassen. Er glaube gewiß, daß man ihn unter dieser Behandlung wieder ins Leben zurückbringen könne.

      Auf dem Richtplatz selbst benahm er sich ernst und des Augenblicks würdig. Er räumte alle seine Verbrechen ein, auch diejenigen, wegen deren er von der Jury freigesprochen worden war. Auch beteuerte er nochmals, daß der Spruch, welcher ihm den Tod brächte, auf ein falsches Zeugnis erfolgt sei, denn William Field sei bei dem Einbrüche bei Kneebone nicht zugegen gewesen und habe nichts davon gewußt, als was ihm später darüber mitgeteilt worden sei.

      Sein Todeskampf war lang, das Volk begleitete ihn mit unverkennbaren Zeichen der Teilnahme und des Mitleids. Nach einer Viertelstunde schnitt ein Soldat ihn ab, und seine Freunde empfingen den Körper. Er war und blieb ein Leichnam, und noch am selben Abend wurde er im Kirchhof von St. Martin beerdigt.

      Mit Bestimmtheit sagt der Referent in den Old-Bailey- Akten: »Ich wüßte von keinem Gauner in diesem Königreiche, dessen Abenteuer ein gleiches Aufsehen gemacht haben, als die Sheppards.« Lange Zeit über sprach man in allen Kreisen der Gesellschaft nur von ihm. Schon um die Mitte des vorigen Jahrhunderts waren sechs bis sieben Geschichten seines Lebens veröffentlicht. Man sah darin verschiedene Kupferstiche, welche die Momente seiner Flucht durch das Gitter des Armensünderstübchens und das Kastell von Newgate vorstellten. An einzelnen Porträts, Holz-und Kupferstichen fehlte es auch nicht. Das vorzüglichste war ein in Mezzotinto nach einem Gemälde Sir James Thornhills ausgeführtes; denn auch dieser jener Zeit so berühmte Maler hatte es seiner nicht unwert gehalten, den noch berühmtern Dieb zu porträtieren. Er ward deshalb in dem British Journal vom November 1724 angesungen, daß er einem Räuber ewiges Leben verschafft habe, indem dies Bild

      Der fernsten Zukunft macht bekannt

       Die Wunder deiner Meisterhand,

       Gleich Malern, die im Altertum,

       Noch größern Räubern schafften Ruhm.

      Apelles malte Alexandern,

       Aurelius Cäsarn. Laß die andern.

       In Cilly spiegelt Cromwell sich,

       Doch Sheppard, Thornhill, lebt durch dich.

      Noch im Dezember des folgenden Jahres 1725 erschien in demselben Journal ein Totengespräch nach Lucian zwischen Julius Cäsar und Sheppard, das sehr bewundert wurde. Cäsar entsetzt sich, daß ein solcher Schuft sich ihm zuzugesellen erdreiste. Aber Sheppard erwiderte ihm: »Was wundert Euch das? Ich war auf meinem Felde so ausgezeichnet als Ihr auf Euerem; vielleicht noch ein bißchen mehr. Und da wir uns nun an einem Orte befinden, wo wir recht eigentlich vom Nachruhm zehren müssen, sehe ich nicht ab, warum unser gleiches Verdienst uns nicht zu gleichen Ansprüchen berechtigen sollte.« Mit dem weitern Gespräche wollen wir unsere Leser nicht behelligen, es kommen indes ganz interessante Vergleiche darin vor. So sagt Sheppard unter anderm: »Was ist sträflicher, ein Schloß zu zerbrechen oder eine Verfassung umzustoßen? Sind ein paar Ketten heiliger als die Freiheit eines Volkes? Und ist es schmachvoller, aus den Händen eines Kerkermeisters zu entschlüpfen, als die Gesetze eines Landes zu durchbrechen?« Sheppard zieht zum Schluß die Moral: »Es gibt gar kein persönliches Verdienst, welches getrennt werden könnte von der bürgerlichen Gesellschaft, in der wir leben, und keine ausgezeichneten Eigenschaften, noch sonstige Vollkommenheiten haben Anspruch auf den Namen von Verdienst, wenn das öffentliche Wohl nicht davon Nutzen zieht. Mut, Menschlichkeit, Mäßigung, Weisheit, Kenntnisse und Entschlossenheit sind schöne Dinge, zum Verdienst werden sie aber erst dann, wenn man sie zum Nutzen des Staates und der bürgerlichen Gesellschaft anwendet.« Cäsar muß dem Gauner recht geben und schließt mit dem Wunsche, daß alle Regenten auf der Erde ebenso dächten.

      Schon damals ward Sheppard auch auf die Bühne gebracht. Er erschien in einer Pantomime von Thurmond unter dem Namen Harlequin Sheppard. Sie wurde auf dem königlichen Theater von Drurylane aufgeführt. Auch eine Posse in drei Akten wurde gedruckt und später mit der Oper The Quakers opera verschmolzen und zur Aufführung gebracht. Ainsworths Roman aus diesem Jahrzehnt ist eine ganz willkürliche, grotesk romanhafte Verarbeitung des Gegenstandes.

      Noch mehr! Auch die Kanzel bemächtigte sich seiner. Jemand trat bald nach der Hinrichtung in die Kirche eines abgelegenen Stadtteils, wo er den Prediger in folgender Weise reden hörte:

      »Welche traurige Betrachtung, meine Andächtigen, zu sehen, wie die Leute so große Anstrengungen machen, ihren sterblichen Leib zu erhalten, der doch nur wenige Jahre dauern kann; und zur selben Zeit, wie wenig sorgen sie für ihre kostbare Seele, die bestimmt ist, in Ewigkeit zu dauern. Ein merkwürdiges Beispiel haben wir davon in jenem berüchtigten Übeltäter, wohlbekannt unter dem Namen Jac Sheppard. Welche ungeheuren Schwierigkeiten hat er überwältigt, welche staunenswerten Taten getan, nur für einen jämmerlichen, stinkenden Leib, der kaum des Hängens wert war. Wie geschickt öffnete er das Schloß seiner Kette nur mit einem gekrümmten Nagel! Wie männlich zerriß er seine Ketten, klomm in den Schlot hinauf, riß eine Eisenstange aus, brach durch eine dicke Steinmauer und zersprengte die stärksten Türen, um auf die Dächer seines Gefängnisses zu kommen. Und dann, wie unerschrocken ließ er sich an einem Bettuche hinab auf des Nachbars Dach, wie vorsichtig schlüpfte er die Treppen hinunter und entkam durch die Haustür ins Freie. – Oh, meine Andächtigen, daß ihr doch alle Jac Sheppards wäret! – Versteht mich nicht falsch, meine Brüder, nicht meine ich im Fleische, sondern im Geiste! Geistig fasset es auf. Welche Schmach für uns, hielten wir es nicht für wert, zur Rettung unserer unsterblichen Seele so viel zu wagen, als er gewagt, um seinen sterblichen Leib zu retten. So laßt mich denn euch ermahnen, daß ihr die Schlösser eures Herzens mit dem Nagel der Reue öffnet; zersprengt die Fesseln eurer sündigen Lust; klettert hinauf den Schlot der Hoffnung; ergreift dort die Riegelstange des guten Entschlusses; brecht durch die Steinmauer der Verzweiflung und alle die festen Stangen, Riegel und Schlösser im dunklen Eingänge zum Tale der Schatten und des Todes; erhebt euch auf die Dächer und Giebel des göttlichen Nachdenkens; festigt daran das Bettuch des Glaubens mit der Eisenstange der Kirche; dann laßt euch getrost nieder auf das Haus dessen, der die Herzen wendet und euch Kraft gibt, euch selbst zu bescheiden; steigt hinab die Treppen der Demut. So werdet ihr denn gelangen an die Tür der Befreiung aus dem Gefängnis der Unruhe und Ungerechtigkeit, und entschlüpfen den Klauen des alten Exekutors, des Teufels, der umgeht wie ein brüllender Löwe, aufsuchend, wen er verschlingen möge.«

      Diese


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