Die Olive und wir. Hugo Portisch

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Die Olive und wir - Hugo Portisch


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Ihre ansonsten großen Blätter wurden sichtbar kleiner, und eines Tages stand die ganze Allee von Spini in voller Blüte. Nie zuvor hatten diese wilden Brombeeren geblüht. Aber in ihren Genen war die Information offensichtlich noch vorhanden, dass es auch eine andere Art der Vermehrung gäbe, als Ableger zu treiben. Diese Erbinformation wurde nun mobilisiert, sie blühten, sie trugen kleine Früchte und damit Samen. Diesen Teil des geheimen Lebens der Pflanzen hatte selbst Attenborough für seine Dokumentationen noch nicht entdeckt. So haben die Spini auch durch uns gelernt und nicht nur wir durch sie.

      Doch wer hier einen Grund besitzt, der lernt nicht aus. Und meist lernt er erst durch Fehler. Da hatten wir also das schöne flache Stück Land am Talboden von den Spini gesäubert, aber nun musste damit auch etwas getan werden. Für uns war die Sache klar: Dieses Stück Erde bot sich doch als idealer Weingarten an.

      Doch so, wie die Weinstöcke am Rande der Oliventerrassen wuchsen, schien uns das recht unökonomisch zu sein. Kein Traktor kam da heran, keine Fräse, keine Mähmaschine. Auf diesem flachen Stück Land sollte ein Weingarten entstehen, wie ihn die fortschrittlichen Winzer nördlich der Alpen nach neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen anlegen würden. Lenz Moser, ein bekannter niederösterreichischer Weinhauer, hatte da bahnbrechende Erkenntnisse gewonnen und zu Papier gebracht, ein Lehrbuch, wie Weingärten erfolgreich anzulegen wären. Wir besorgten uns das Lehrbuch, studierten es gründlich und weihten dann unsere bäuerlichen Nachbarn ein – in die von Lenz Moser gepriesene, arbeitssparende und die Erträge steigernde Hochkultur. Die Bauern kannten weder das Wort noch hatten sie von dieser Methode je gehört. Aber sie sind praktische Leute und erkannten die von uns geschilderten Vorteile der Hochkultur: Steher aus Beton würden jene aus Akazienholz ablösen, dies würde es erlauben, die Steher viel weiter voneinander entfernt aufzustellen und zwischen ihnen lange Strecken von Drähten zu spannen. Drähte, an denen sich die Triebe der Weinstöcke praktisch von allein hochranken können. Damit erspart man sich, die Triebe zu binden und auch zurückzuschneiden, zwei aufwendige Arbeitsgänge. Da die Weinstöcke solcherart aber auch viel mehr Bewegungsfreiheit gewinnen, bedanken sie sich dafür mit höheren Erträgen.

      In Italien wird so ziemlich alles, was aus dem germanischen Norden kommt, für technisch überlegen gehalten. Die Lenz Moser’sche Hochkultur, von uns überzeugend vorgetragen, fand bei unseren Nachbarn daher auch bereitwillige Aufnahme. Mit ihrer Hilfe wurde der neue Weingarten angelegt: mit Betonstehern und den langen Drähten zwischen ihnen. Und in der Tat: Die Weinstöcke folgten Lenz Moser aufs Wort, sie rankten sich an den Drähten hoch, mussten nicht gebunden und auch nicht zurückgeschnitten werden.

      Die erste Ernte war enttäuschend klein, doch das sei immer so bei Ersternten, trösteten uns unsere Nachbarn. Doch klein blieb auch die zweite und klein blieb auch die dritte Ernte. Kein Vergleich zu den Erträgen der Weinstöcke auf den Oliventerrassen, deren Reben nach alter toskanischer Art mühsam in runden Bögen mit Weidenruten an das Geflecht von Schilf gebunden wurden. Der Zufall wollte es, dass wir in jenem dritten Erntejahr unseren großen Lehrmeister, Lenz Moser, persönlich trafen. Wir berichteten ihm von unserem neuen Weingarten und wie genau wir seinen Ratschlägen gefolgt wären. Aber wir fügten auch hinzu, dass unsere Ernten im Vergleich zu den alten toskanischen Weinstöcken noch zu wünschen übrig ließen. Lenz Moser konnte es kaum fassen: Wo hätten wir die Hochkultur angelegt? In der Toskana? Mit toskanischen Reben? Falscher hätte man es nicht machen können. Die Art, wie die Toskaner ihre Reben auslegen und binden, sei eine Hochkultur par excellence, angepasst den Boden- und Klimaverhältnissen und solcherart selbstverständlich ertragreicher als die von Lenz Moser dem nördlichen Klima angepasste und von uns in die Toskana transferierte Hochkultur. Statt eines Lobes erhielten wir daher einen verdienten Tadel.

      Die Gefahr, unsere toskanischen Nachbarn könnten sich unsere arbeitssparende Hochkultur zum Vorbild nehmen, bestand von Anfang an nicht. Sie halfen uns zwar, den Weingarten so anzulegen, wie wir es wünschten, aber er gefiel ihnen schon rein optisch nicht. Als wir mit etwas Stolz darauf verwiesen, wie doch die Weinstöcke entlang der Drähte geordnet in Reih und Glied standen, da stimmten sie uns zwar zu, aber diese Zustimmung traf uns hart: „Ja, sie stehen da wie die Soldaten.“ Und ohne unsere ausdrückliche Zustimmung einzuholen, begannen die Bauern jene Weinstöcke zu ersetzen, die am Rande der Oliventerrassen mit der Zeit an Altersschwäche eingegangen waren. Und die neuen Reben wurden wieder so wie die alten in großen runden Bögen ausgelegt und mit Weidenruten an das Geflecht aus Schilf gebunden. Sie tragen heute prächtig. Wir aber haben ohne großes Aufsehen unsere Hochkultur durch einen Jungwald ersetzt.

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