Mbappé. Luca Caioli
Читать онлайн книгу.die Straße überqueren, um zum Lycée Madeleine Vionnet zu gelangen, und die Horden von Teenagern auf dem Weg zum Collège Jean Renoir.
Es ist eine Ehre, die Art von Wandgemälde, wie sie normalerweise Persönlichkeiten wie Zinédine Zidane vorbehalten ist, der nach dem Gewinn der WM 1998 mit einem riesigen Porträt an der Place Paul Ricard in Marseille mit Blick auf das Mittelmeer gewürdigt wurde. Oder Diego Armando Maradona, der von Jorit Agoch auf einem Gebäude im neapolitanischen Stadtteil San Giovanni a Teduccio verewigt wurde. Oder Moussa Sissoko, dessen gigantisches Poster die Fassade von Le Galion in Aulnay ziert.
Die riesige Tafel mit Kylians Konterfei wurde von Nike gestiftet, das den jungen Stürmer sponsert, seit er 13 Jahre alt war. Der amerikanische Sportartikelhersteller hat außerdem tief in die Tasche gegriffen, um den Bau einer Sportanlage für die Gemeinde zu finanzieren; sie wurde am 6. September 2017 eröffnet, im Jardin Pasteur, wo Kylian das Dribbeln erlernte und seine ersten Tore schoss. Zwei Symbole, das Fresko und die Sportanlage, auf Wunsch der Familie Mbappé der Stadt zu Ehren, in der Kylian geboren wurde.
Bondy im Département Seine-Saint-Denis (93) in der Region Île-de-France ist ein Vorort nordöstlich von Paris, neun Kilometer von der Porte de Pantin gelegen. Es ist die neuntgrößte Stadt im Département, eine multikulturelle Gemeinde von fast 54.000 Einwohnern, das Gebiet um den Canal de l’Ourcq nicht eingerechnet.
Der Name Bondy erscheint erstmals zwischen 590 und 630 im Testament der Ermentrude, einer reichen Witwe, die der Kirche, die an der Kreuzung der alten römischen Rue Compoise und der Straße von Lutetia nach Meaux erbaut wurde, Land, einen Ochsenkarren, Kleidung und verschiedene Kultgegenstände vermachte. Über den Ursprung des Namens der Stadt gibt es zwei Theorien: Er soll sich entweder von Bonitius herleiten (lateinisch für Sohn des Bonit), dem Eigentümer des Landes in galloromanischer Zeit, oder aber vom gallischen Wort „bon“ für einen kleinen Hügel. Im Laufe der Zeit wurde der Name zu Boniaticus, Boniasensis, Bonisiacus, Boniaticus (8. Jahrhundert), Bulzeia, Bonzeia, (12. Jahrhundert), Bondis und schließlich Bondy (17. Jahrhundert).
Im 17. und 18. Jahrhundert wurde der Name Bondy erstmals mit dem gleichnamigen Wald verbunden, dem Bois de Bondy, damals bekannt als Unterschlupf für Räuber und Banditen. Es war beim dortigen Postamt, dass in der Nacht vom 20. auf den 21. Juni 1791 Pierre-Augustin Fremin, ein Postmeister und zukünftiger Bürgermeister, Ludwig XVI. erkannte, der als Kammerdiener verkleidet aus dem Palais des Tuileries floh. Seine Flucht war von kurzer Dauer: Der König von Frankreich wurde wenig später in Varennes verhaftet. Heute sind vom berühmten Wald nur noch ein paar Hektar ganz im Norden des Départements erhalten, doch erinnert das Wappen der Stadt und ihr Motto „Glücklich in seinem Schatten“ noch an ihn.
Ende des 18. Jahrhunderts hatte Bondy 300 bis 400 Einwohner, die das Land bearbeiteten. Ab 1821 – mit der Vollendung des Canal de l’Ourcq, den Napoleon anlegen ließ, um Wasser in die Stadt zu befördern – erlebte die Stadt eine Phase großer industrieller und urbaner Expansion. Es wurden die ersten Mühlen und Betonfabriken in der Gegend erbaut. Manche behaupten, sie seien dort nicht nur wegen des Bodens und des Wassers errichtet worden, sondern auch wegen des beständigen Nordostwinds, der den Rauch und den Qualm in Richtung der Provinzen und weit fort von den empfindlichen Nasen der hauptstädtischen Bourgeoisie trug. Zwischen 1860 und 1870, mit der Ankunft der Eisenbahn, die Paris mit Straßburg verband, ließen sich zahlreiche aus Elsass und Lothringen stammende Arbeiter, die am Bau der Strecke beteiligt waren, in der Gegend um den Bahnhof nieder. Anfang des 20. Jahrhunderts entstanden südlich der Stadt weitere Wohnviertel, mit Steinhäusern und einem Herrenhaus, wie sie typisch für die Region Paris sind. Richtung Norden bauten Bauern weiterhin Gemüse an, aber mit Beginn des neuen Jahrhunderts veränderte sich alles. Die Automobilindustrie boomte, Arbeiter ließen sich nahe der Fabriken nieder, und Bondy wurde, wie andere Teile des Départements Seine-Saint-Denis, zu einer Arbeiterstadt.
Der Klassenaspekt ist nicht ganz unerheblich, bedenkt man, dass in der Stadt seit 1919 kein rechtsstehender Bürgermeister mehr gewählt worden ist. Die Bürgermeister der Stadt stellten seit jeher die Sozialisten (ausgenommen Henri Varagnat von der Kommunistischen Partei, Bürgermeister von 1935 bis 1939, der wie alle gewählten kommunistischen Amtsträger mit Ausbruch des Zweiten Weltkriegs entfernt wurde). Sylvine Thomassin bildet keine Ausnahme. Sie kam als Kind nach Seine-Saint-Denis, arbeitete als Hebamme auf der Entbindungsstation des Hospitals Jean-Verdier und nahm sich dann der Themen Bildung und Stadterneuerung an, bevor sie im Oktober 2011 zur Bürgermeisterin gewählt wurde. Sie folgte auf Gilbert Roger, der in den Senat gewählt worden war. „Ab den 1950er und 1960er Jahren entstanden im Norden der Stadt neue Viertel und große Wohnsiedlungen als Antwort auf Wohnungsnot und Slums. Damals zogen viele Heimkehrer aus Algerien sowie Immigranten aus dem Maghreb, Subsahara-Afrika und Portugal in die Stadt. Die Bevölkerung von Bondy wuchs von 22.411 im Jahr 1954 auf 51.653 im Jahr 1968. Das war die erste Migrationswelle“, sagt Thomassin, als sie über die jüngere Vergangenheit, die Gegenwart und Zukunft der Stadt spricht.
„Darauf folgte eine zweite, zwischen 1980 und 1990, vor allem aus Ländern südlich der Sahara: Zaire, Kamerun, Kongo und Angola. Die Wohnsiedlungen ermöglichten tausenden Familien hygienische Bedingungen und Zugang zu Trinkwasser und Elektrizität. Kurz gesagt: moderne Annehmlichkeiten. Das Recht auf Wohnraum war garantiert. Arbeiterklasse und Mittelschicht lebten glücklich und zufrieden Seite an Seite. In den Vierteln gab es eine starke und aktive Gemeinschaft; es war ein goldenes Zeitalter. Die Siedlungen bewährten sich bis zum dramatischen Anstieg der Arbeitslosigkeit zwischen 1970 und 1980. Danach zogen die Menschen ganz allmählich nur noch hierher, weil sie keine andere Wahl hatten. Die Siedlungen waren auf 30 Jahre angelegt, aber mittlerweile stehen sie doppelt so lange, und genug ist genug. Wir möchten nicht, dass noch mehr gebaut werden. Es ist eine Situation, die wir zu verändern versuchen mit dem Projekt zur Stadterneuerung (PRU), das 2006 gestartet wurde und nun in seine zweite Phase geht.“
Bondy ist eine Stadt im Aufbau – oder vielmehr im Wiederaufbau. Um zu verstehen, was das bedeutet, muss man nur einmal einen Spaziergang die Rue Jules Guesde hinunter bis zur Place du 11 Novembre 1918 unternehmen. Direkt vor dem Rathaus – ein Gebäude von teils sowjetischer, teils funktionalistischer Bauweise – befand sich einst eine riesige Wohnsiedlung, die sich bis zur RN3 erstreckte. Heute ist der Platz von freundlichen, gepflegten Bauten in unterschiedlichen Tönen von Weiß bis Holzfarben gesäumt. Keines ist höher als fünf Stockwerke, und im Erdgeschoss prangen die Fensterfronten neuer Läden und Geschäfte. Es ist ein Beispiel für Stadtplanung, die die Substanz der Stadt und ihrer Dienstleistungen, Grünflächen, Infrastruktur und Wohnungspolitik von Grund auf verändert. Die Maßnahmen beschränken sich nicht allein auf das Zentrum, sondern erstrecken sich über fünf Viertel, inklusive derjenigen Richtung Norden, die als besonders problematisch gelten.
„Wir möchten das Gesicht der Stadt verändern, einen Ort wiedererschaffen, einen offenen Raum, wo Menschen wohnen und zusammenleben möchten“, fügt die Bürgermeisterin hinzu. Es ist nicht das einzige ehrgeizige Projekt: Die Stadterneuerung umfasst auch ein neues Wirtschaftsmodell und eine tiefgreifende Veränderung der industriellen Strukturen.
„Angefangen mit der Krise in der Mineralölindustrie, haben wir einen Prozess der Deindustrialisierung erlebt. Viele Unternehmen haben ihre Standorte in andere Regionen oder andere Länder verlegt. Nun spekuliert das Département Seine-Saint-Denis darauf, andere Arten von Unternehmen anzulocken. Aber das ist nicht einfach, insbesondere, da der Staat andere Entscheidungen getroffen hat, die eher Paris und den Westen der Hauptstadt bevorzugen“, fährt die Bürgermeisterin fort.
„Aber wir flüchten uns nicht in Selbstmitleid, wir haben die Ärmel hochgekrempelt und uns an die Arbeit gemacht. Bond’innov, das erste Gründerzentrum, ging 2011 an den Start. Es unterhält und unterstützt um die 40 innovative Unternehmer, die Projekte in den Bereichen Biowissenschaften und Biotechnologie entwickeln wollen, insbesondere in den Bereichen digitale Technologien, Umwelt, Sozial- und Solidarwirtschaft, Nord-Süd-Beziehungen, Kooperation und internationale Entwicklung mit Schwerpunkt Afrika.“
Sylvine Thomassin betont: „Wir versuchen, eine stabile und engverbundene Stadt aufzubauen, die in der Lage ist, sich in die Kräftespiele der Region Grand Paris zu integrieren.“
Das mag alles sein, aber was hat Bondy, die Stadt, in der alles möglich ist, mit dem Bild von