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die Beschaffenheit der Welt allein auf die Autorität der Bibel stützen und ohne jeglichen Bezug auf den Menschen als erkennendes Subjekt formulieren zu können. Hier zeigt sich Hume als engagierter Aufklärer. Die Religion seiner Zeit betrachtet er vorwiegend als eine Quelle für Aberglauben und Unvernunft. Dieser für die menschliche Gesellschaft schädlichen Tendenz setzt er seine eigene Philosophie entgegen, die zu wesentlichen Anteilen in einer Anleitung zum korrekten Vernunftgebrauch und zum Fällen angemessener Werturteile besteht. Spätestens seit er – als Folge des publizistischen Misserfolgs seines Traktats über die menschliche Natur – die Stilform des Essays für sich entdeckt hat, wendet sich Hume in seinen Schriften vorwiegend an ein vergleichsweise breites Publikum, dem er seine Theorien in verständlicher und dennoch kunstvoller Sprache näherzubringen versucht. Auf diese Weise hofft er der Ausbreitung des Aberglaubens entgegenwirken zu können, soweit das im Rahmen philosophischer Theoriebildung eben möglich ist. Besonders wichtig ist Hume dieser Kampf gegen den Aberglauben im [18]Bereich der Moral, die seiner Ansicht nach gänzlich vom schädlichen Einfluss falsch verstandener Religion befreit werden muss.

      In Humes Ablehnung dogmatischen und spekulativen Denkens liegt ein weiterer Grund für seine Hochschätzung der naturwissenschaftlichen Methodik Newtons. Auch Newtons Theorie beruht nicht auf bloßen Spekulationen, sondern ist durch Erfahrung überprüfbar. In den Naturwissenschaften kann man Experimente durchführen, durch die bestimmte Theorien gestützt, andere hingegen eindeutig widerlegt werden. Als Empirist ist Hume von diesem Verfahren fasziniert. Im Untertitel des Traktats charakterisiert er sein Hauptwerk als den Versuch, die experimentelle Methode in den Bereich der Geisteswissenschaften (moral subjects) einzuführen. Dies darf freilich nicht wörtlich verstanden werden, denn Experimente im engeren Sinne lassen sich in den verschiedenen Disziplinen der Geisteswissenschaften in der Regel nicht durchführen. Darüber ist sich auch Hume im Klaren. Sein Ziel ist die Entwicklung einer empirischen, das heißt sich eng am Maßstab der Erfahrung orientierenden Wissenschaft vom Menschen (verstanden als geistiges Wesen). Der in den Naturwissenschaften übliche Einsatz von Experimenten wird in Humes »science of man« durch die genaue Beobachtung der Menschen im Alltag und einen möglichst unparteiischen Blick in die menschliche Geschichte ersetzt.8

      Hier wird deutlich, dass Hume als Theoretiker an mindestens zwei verschiedenen Fronten kämpfen muss. Auf der einen Seite steht er den Dogmatikern und Scholastikern gegenüber, die in den Augen der Aufklärer antiquierten Vorstellungen über die Quellen und Methoden menschlicher Erkenntnis anhängen. Auf der anderen Seite grenzt er sich von den Rationalisten ab, die seiner Ansicht nach der Erfahrung zu wenig Bedeutung beimessen und sich stattdessen durch ihre [19]Berufung auf einen unangemessen starken Vernunftbegriff in haltlosen Spekulationen verlieren. Hume wirft den Rationalisten (und teilweise auch den im Vergleich zu ihm selbst weniger konsequenten Empiristen) vor, ebenso wie ihre scholastischen Vorgänger Begriffe zu verwenden, deren Bedeutung unklar bleibt, da sie bei näherer Betrachtung keinen erkennbaren Bezug zur menschlichen Erfahrung aufweisen.9 Was immer den Anspruch erhebt, eine wissenschaftlich fundierte Tatsachenaussage zu sein, muss sich nach Hume an der Erfahrung messen lassen. Wo uns keine Erfahrungen zur Verfügung stehen, an denen wir eine bestimmte Theorie, ihre begrifflichen Bestandteile und inhaltlichen Ergebnisse überprüfen können, rät Hume dazu, eine skeptische Grundhaltung der Aufstellung spekulativer Hypothesen vorzuziehen. Wer philosophieren will, muss die Grenzen vernünftigen Denkens erkennen und sorgsam darauf achten, sie nicht zu überschreiten. Für Hume bedeutet dies, dass sich nur nach streng empiristischen Prinzipien, also auf der Grundlage der Erfahrung, sinnvoll philosophieren lässt – und dass man, so banal dies auch klingen mag, im Zweifel grundsätzlich Skeptiker10 bleiben sollte.

      Zusammengefasst: Humes Projekt ist die Klärung der Frage nach der Beschaffenheit der menschlichen Natur. Sein Ziel ist die Bekämpfung von Vorurteilen, Dogmen und Spekulationen durch die sorgsame Erforschung der Grenzen menschlicher Erkenntnis vor dem Hintergrund eines gemäßigten Skeptizismus. Und seine Methode ist die eines konsequenten Empiristen. Im Zuge dieses Ansatzes fragt Hume immer wieder danach, was wir mit bestimmten, für unser Selbst- und Weltverständnis zentralen Begriffen eigentlich meinen, welche konkreten Vorstellungen wir mit ihnen verbinden und wie diese Vorstellungen entstehen. Dabei kommt er zu dem Ergebnis, dass viele der traditionell von philosophischen Autoren [20]verwendeten Begriffe keinen erkennbaren Bezug zur Erfahrung aufweisen und somit sinnlos, irreführend und verzichtbar sind. Insbesondere durch diese Kritik fundamentaler philosophischer Begriffe leistet Hume einen bedeutenden Beitrag zum Projekt der Aufklärung.

      [21]Grundbegriffe und Methodik

      Der Schlüssel zum Verständnis einer philosophischen Theorie liegt in der Klärung ihrer zentralen Begriffe.11 Nach der groben Einbettung der Hume’schen Philosophie in ihren geistesgeschichtlichen Kontext gilt es daher als Nächstes, sich Klarheit über die von Hume verwendete Sprache zu verschaffen. Im Gegensatz zu vielen anderen philosophischen Autoren bedient er sich keiner komplizierten Fachsprache, sondern greift überwiegend auf Begriffe der Alltagssprache zurück. Gerade das macht es jedoch oftmals schwer, zu erkennen, welche der von ihm verwendeten Ausdrücke austauschbar sind und welche er als Termini technici verwendet, also als Fachausdrücke, denen er innerhalb seiner Theorie eine ganz bestimmte, vom Alltagsgebrauch mehr oder weniger stark abweichende Bedeutung zuweist.

      Den Ausgangspunkt für Humes gesamte Philosophie bilden die sogenannten Perzeptionen (perceptions).12 Darunter versteht er alle Gefühle, Gedanken, Wahrnehmungen, Wünsche und sonstigen Bewusstseinsinhalte. Der Begriff des Perzipierens umfasst damit all das, was bei Descartes unter den Begriff des Denkens (cogitare) gefasst wird. Wie Descartes geht auch Hume davon aus, dass wir an der Existenz dieser Bewusstseinsinhalte, mithin an der Tatsache, dass es so etwas wie Gedanken, Gefühle und Wahrnehmungen gibt, nicht sinnvoll zweifeln können. Der Rationalist Descartes meint jedoch, die Unbezweifelbarkeit der Existenz von Bewusstseinsinhalten, zum Beispiel des geistigen Aktes des Zweifelns selbst, versichere uns der Existenz eines Ichs, also einer denkenden Substanz als Träger dieser Bewusstseinsinhalte. Daher der berühmte Satz: Cogito, ergo sum. – Ich denke, also bin ich.13 Diesen Schritt geht Hume nicht mit. Unmittelbar einsehbar ist für ihn nur die Existenz konkreter Perzeptionen, [22]nicht jedoch die Existenz von etwas so Allgemeinem wie einer Substanz.

      Die Perzeptionen unterteilt Hume in Eindrücke (impressions) und Vorstellungen bzw. Ideen (ideas). (Vgl. T 1.1.1.1; SBN 1; EHU 2.3; SBN 18.) Unter Eindrücken versteht er Perzeptionen, die unmittelbar und mit großer Lebhaftigkeit erfahren werden. Sie repräsentieren nichts, sondern sind ursprüngliche Entitäten.14 Zu ihnen gehören Gefühle, Wünsche und Sinneswahrnehmungen. Vorstellungen sind hingegen die schwächeren und weniger lebhaften Abbilder von Eindrücken. Von Vorstellungen spricht Hume, wenn wir uns etwa an ein Gefühl erinnern, das nicht mehr gegenwärtig ist, oder uns lediglich vorstellen, einen bestimmten Gegenstand zu sehen.

      Eindrücke und Vorstellungen lassen sich jeweils weiter in einfache (simple) und zusammengesetzte (complex) unterteilen. Während Sie dieses Buch in Händen halten und diese Zeilen lesen, haben Sie nach Hume den komplexen Eindruck eines Buches, der sich aus verschiedenen haptischen und visuellen (einfachen) Eindrücken zusammensetzt. Wenn Sie das Buch weglegen, die Augen schließen und an das Buch denken, ist es Ihrem Geist als eine zusammengesetzte Vorstellung präsent. Aus dieser können Sie einfache Vorstellungen isolieren, indem Sie beispielsweise gezielt daran denken, wie sich das Buch angefühlt hat.

      Humes weitere Unterteilung der Perzeptionen ist einigermaßen komplex, für ein angemessenes Verständnis seiner Philosophie jedoch unverzichtbar. Das folgende Schema mag dabei als grobe Orientierungshilfe dienen:

      [23]Gemäß der von Hume gewählten Reihenfolge gehe ich zunächst auf den Bereich der Vorstellungen ein. Ein zentraler Streitpunkt zwischen Rationalisten und Empiristen ist die Frage, ob es angeborene Ideen gibt. Descartes hält das für erwiesen, der Empirist Locke hingegen bestreitet es.15 Hume gibt im Wesentlichen Locke recht, kritisiert jedoch, dass der Begriff der Idee (idea) bei Locke auch diejenigen Perzeptionen einschließt, die Hume selbst als Eindrücke bezeichnet. Bestimmte Eindrücke, zum Beispiel Emotionen oder das Hungergefühl eines Säuglings, können nach Hume durchaus


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