Grosse Schwester Schimmel. Lise Gast

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Grosse Schwester Schimmel - Lise Gast


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gewesen, die Kleinen davon auszuschließen! Ach, wie ihre Augen strahlten, als Großvater der Mutter zuredete, sie mitzunehmen. Es sei doch nur einmal im Jahr Sonnenwende und dazu noch siebzigster Geburtstag! So durften sie wirklich mitgehen.

      Im ehemaligen Klosterpark war der Holzstoß errichtet, und Großvater selbst setzte ihn in Brand, indem er die Fackel hineinstieß. Wunderbar, wie die Funken in einem goldenen Strudel zwischen den hohen Laubbäumen hindurch in den dunkeln Himmel stoben. Schimmel stand neben Uli, der den Arm um ihre Schulter gelegt hatte. Als der Holzstoß schon stark heruntergebrannt war, sprangen sie darüber, zusammen mit den anderen Jungen und Mädels aus dem Dorf, die sich nach und nach eingefunden hatten, und das war für die Kleinen das Signal! Petra wollte auch sofort springen.

      „Komm, wir nehmen dich mit“, sagte einer der Jungen, sie faßten sie an beiden Händen und nahmen Anlauf. Hopp, waren sie drüben. Petras weißes Kleid wehte.

      „Ich auch! Ich auch!“ rief Claudia, und nun wurde auch sie mitgenommen, nachdem die großen Jungen Brita darübergeschwungen hatten. Bei den großen und gewandten Kerlen brauchte man keine Angst zu haben, daß den kleinen Mädeln etwas zustoßen könnte.

      „Und jetzt wir noch einmal“, sagte Uli nach einer Weile des Zuschauens; Schimmel nickte. Sie liefen ein paar Schritte, dann schlug ihnen die Glut ins Gesicht. – „Hopp“! rief Uli halblaut, und dann waren sie darüber weg.

      „Schön“, sagte jemand, als sie um den Kreis der Zuschauenden herum auf ihren Platz zugingen, atemlos und noch erregt von dem Sprung. Es war Großvaters Stimme, die diese Worte gesprochen hatte, es klang verträumt und glücklich.

      III

      Schimmel zählte die Tage bis zu den großen Ferien. Wenn sie es einmal laut tat und unversehens sagte: „Nun sind es nur noch sechzehn“, oder etwas Ähnliches, dann lachten die andern sie aus.

      „Du hast es nötig“, sagte Plisch frech, „du als einzige ohne Schulsorgen!“ Schimmel schwieg. Woher sollten auch die andern wissen, was sie bedrückte; denn außer Johannes war sie ja tatsächlich die einzige, die nicht in die Schule ging. Daß man sich nach der Schule sehnen, daß man sich nichts heißer wünschen kann als wieder in die „Fron“ hineinzukommen, das konnte sich solch ein Kind nicht vorstellen. Daß aber auch Mutter davon überhaupt nichts zu merken schien, das verdachte sie ihr zuweilen.

      Mutter war sehr angespannt, das war kein Zweifel, sie war den ganzen Tag mit Großvater in der Wirtschaft draußen, von früh bis spät, sie war schon kaffeebraun verbrannt, und dünn war sie geworden, trotz der so guten Kost. Schimmel achtete darauf, daß sie früh wenigstens ein Stück Brot einsteckte, wenn sie mit Großvater hinausging; aber meistens brachte sie es wieder mit. Im Grunde hatte sie nur noch die Wirtschaft, das Gut, die Arbeit im Sinn, die die ihre werden würden. Großvater hatte beschlossen, ihr das Gut später zu übergeben, und das war eine große Aufgabe für eine Frau, die zwar auf dem Lande groß geworden, aber doch auf diesem Gebiet nicht besonders ausgebildet war.

      Mutter nahm es ernst. Sie war früh die erste, die wach war, sie kümmerte sich um den Stall und die Futterausgabe, sie war bei der Arbeitsverteilung dabei und saß abends noch über den Büchern, bis selbst Großvater mahnte, Schluß zu machen. Er meinte, man könne nicht alles auf einmal tun, und vieles lerne man unmerklich, einfach durch die Wiederholung jedes Jahr, gerade in diesem Beruf!

      Aber es war ein Wille in ihr, zu lernen und aufzunehmen, der an Fanatismus grenzte. Schimmel bewunderte das, weil sie selber zu solchem Fanatismus neigte. Es hatte manchmal den Anschein, als wenn die Mutter, die mit Vater zusammen ein so glückliches Familienleben geführt hatte, sich bewußt von der Vergangenheit losmachen wollte. Wenn sie sich nur etwas mehr Zeit nähme, sich um die Kinder zu kümmern! Aber das überließ sie ganz ihrem Schimmel, obwohl die Mutter doch natürlich nicht ersetzt werden konnte. Die Kleinen gehorchten der großen Schwester nicht immer so, wie es wohl nötig wäre, in der Schule waren sie auch nicht besonders gut, bis auf Petra, der das Lernen leicht fiel. Aber Claudia war unverantwortlich faul, und auch Brita ließ gern fünf Grade sein, bis auf die Handarbeit, ihr Lieblingsfach, in dem sie die Beste der Klasse, ja, der ganzen Schule war.

      Und abgesehen von der Schule, die auf dem Lande im Sommer manche Unterbrechung erfuhr durch die verschiedenen Ferien, lag auch sonst viel im argen. Die Mädel verwilderten, da gab es keinen Zweifel. Sie waren nicht da, wenn es zum Essen ging, und erschienen zu Haus, wann es ihnen paßte.

      Neuchen, so gern sie vergnügt und freundlich war, hielt sehr genau auf die Tischzeiten. Das muß eine Landfrau ja, sonst läuft die ganze Wirtschaft durcheinander; Schimmel versuchte allerdings dauernd, durch ihre Leistungen in Küche und Haus das wieder auszugleichen, was die Kleinen an Ärger verursachten.

      Seit ein Küchenmädel ganz plötzlich gegangen war, war Schimmel eingesprungen, schon um Neuchen zu zeigen, daß sie nicht nur unnütze Brotesser, sondern sich auch einzusetzen bereit waren. Neuchen war damit ganz einverstanden gewesen. Das hieß nun von früh um 5 bis zum späten Abend bereit zu sein. Dazu kam noch etwas anderes. Schimmel wußte nur zu gut, daß sie in der Schule große Lücken hatte. Nun versuchte sie, abends die Schulbücher vorzunehmen. Sie wollte doch, wenn sie wirklich wieder zur Schule gehen durfte, auch mitkommen. Dazu aber reichte es einfach nicht mehr, denn leider war sie des Abends todmüde und schlief über dem Geschichts- oder Physikbuch nach kurzer Zeit ein. Das war ein großer Kummer. Mit Uli würde sie über das alles reden können, deshalb zählte sie die Tage bis zu seiner Heimkehr. Ihm ihre Schwierigkeiten anvertrauen zu dürfen, wie herrlich würde das sein! Und dann gab es auch Kleidersorgen! Mutter war es gleichgültig, was sie selbst anhatte, und ebensowenig kümmerte sie sich um die Kleidung ihrer Kinder. Aber die Leute auf dem Lande waren gerade in diesem Punkt besonders eigen, sie hielten sehr aufs Äußere. Darum kaufte Schimmel Baumwolle zum Stricken, und Brita setzte sich brav hin und strickte weiße Strümpfe für die Geschwister. Prachtvoll schauten sie aus mit dem Zöpfelmuster, nur anziehen konnte man sie nicht, weil Schimmel – natürlich aus Sparsamkeit – Baumwolle gekauft hatte, die sich nicht dehnte. Das war ein großer Fehler.

      Endlich kam der Tag, an dem Schimmel beim Aufwachen wußte: Heute kommt Uli! Und auch Doktor Gerstenberg! Ob Schimmel sich auf ihn freute? Neuchen hatte erlaubt, Kuchen zu backen, einen großen Streuselkuchen über mehrere Bleche hinweg. Und Beeren sollten an diesem Tag auch gepflückt werden, damit die Jungen sich einmal so richtig daran voll futtern konnten. Das war nett ausgedacht, und Schimmel war froh, daß die Kleinen tüchtig am Pflücken waren. Sie selbst hatte sich den Kuchen vorgenommen, und Neuchen kochte eine Menge Nudelsuppe mit Huhn. Schimmel machte ein solcher Umtrieb Spaß, sie meinte, wenn sie nicht heiraten könnte, würde sie in eine Jugendherberge gehen, um dort zu kochen. Die Jungen sollten in der Scheune schlafen, jedenfalls nicht im Haus, mit Ausnahme von Doktor Gerstenberg. Uli hatte es nun doch so eingerichtet, daß er gleichzeitig mit den Kameraden zusammen fuhr, dafür aber am Schluß der Ferien noch einige freie Tage zu Hause verbringen würde. Sie hatten gerechnet, daß die Bande gegen Mittag kommen würde. Aber die Mittagszeit ging vorbei und niemand erschien. Die Suppe konnte ja warm gestellt und die Beeren aufgehoben werden. Schimmel tat es aber doch mit unruhigem Herzen. Am nächsten Tag war Wäsche, man hatte es nicht anders einrichten können. Wenn die Gesellschaft also heute nicht kam, war das Programm verdorben.

      Endlich abends gegen zehn Uhr waren sie da, leider noch nicht einmal vollzählig, zwei waren wegen einer Panne zurückgeblieben und wurden noch erwartet. Großvater lag schon zu Bett, und Neuchen war gerade im Begriff gewesen, schlafen zu gehen. Die Jungen wurden im Bauernstübchen verpflegt. Das war ein neu ausgebauter, kleiner Raum, in dem die Leute, die auf dem Hof arbeiteten und mit verpflegt wurden, ihr Essen bekamen. Er war ganz bäuerlich eingerichtet mit braunen Deckenbalken, einem klobigen Tisch und bunten Gardinen. Er lag auch ziemlich weit ab von den andern Räumen, so daß man unbesorgt Krach machen konnte. Gerstenberg selbst war so vergnügt und munter, daß es nicht leise zugehen konnte. Er hatte schon gar nicht mehr damit gerechnet, an diesem Tage bis hierher zu kommen, und war nun doppelt aufgeräumt, daß es doch geklappt hatte. Er und Mutter verstanden sich sofort, zumal da er vom Lande stammte und viel Fachliches wissen wollte. Schimmel schmorte etwas auf glühenden Kohlen, als sie die beiden in so eifriger Unterhaltung sah. Sie hatte der Mutter immer noch nichts von ihrem Schulplan verraten.


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