Silvy will die Erste sein. Marie Louise Fischer

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Silvy will die Erste sein - Marie Louise Fischer


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aus“, tröstete die Mutter Sie, „hol schnell die Leiter!“

      „Ob wir das überhaupt noch schaffen?“ fragte Leonore. „Um vier kommen die Gäste!“

      „Bis dahin ist noch reichlich Zeit“, meinte Frau Müller.

      Leonore schleppte die Stehleiter herbei und klappte die Holme auseinander. „So ein wackeliges Ding“, sagte sie, „sieh bloß mal, Mutti, die Schraube, die das Gelenk hält, sitzt ganz locker.“

      „Ja, die hätte ich schon längst richten lassen müssen“, gab Frau Müller zu, „aber du weißt ja, wie so etwas ist. Man nimmt es sich immer wieder vor und verschiebt es dann doch.“

      „Das ist ja nicht so schlimm. Du mußt sie nur gut festhalten während ich hinaufklettere.“

      Leonore stieg, das Ende einer Girlande in der Hand, die Leiter hinauf, die Frau Müller festhielt. Sie beugte sich zur Seite, um das bunte Gewinde zu befestigen. Die Leiter schwankte.

      „Halt!“ rief Frau Müller. „Komm runter, Liebling, so geht das nicht. Du kannst anscheinend keine Balance halten. Laß mich hinaufsteigen.“

      Als Leonore wieder festen Boden unter den Füßen hatte, schob Frau Müller die Leiter so zurecht, daß sie genau unter dem Bilderhaken stand, an dem die Girlande befestigt werden sollte; erst dann kletterte sie hinauf. Diesmal gab es keine Schwierigkeiten. Auf die gleiche Weise fuhren Mutter und Tochter fort, das ganze Zimmer zu dekorieren.

      Aber nach einiger Zeit wurde Leonore zappelig. „Es ist gleich vier, Mutti, ich muß mich noch umziehen.“

      „Gut, hören wir auf. Jetzt sieht es ja schon wirklich hübsch aus.“

      „Wieviel haben wir denn noch? Ach, die zwei Lampions können wir auch noch anbringen.“

      Frau Müller sah Leonore kopfschüttelnd an. „Mir scheint, du weißt wirklich nicht, was du willst.“

      Leonore lachte. „Ja, ich bin tatsächlich ganz durcheinander. Aber findest du nicht auch, wir sollten die beiden noch aufhängen? Dann brauche ich nur noch zusammenzukehren, und falls ich noch nicht fertig bin, wenn die ersten Gäste kommen, kannst du sie ja unterhalten.“

      „Donnerwetter, das ist aber eine Ehre!“ sagte Frau Müller.

      Sie entschieden sich dafür, die letzten Lampions an der Dekkenlampe zu befestigen, und schoben die Leiter in die Mitte des Raumes. Frau Müller hatte gerade den einen angebunden, und Leonore reichte ihr den zweiten, als es klingelte, dreimal kurz und heftig hintereinander.

      „Oje, da sind sie schon!“ rief Leonore erschrocken und ließ die Leiter los.

      Frau Müller nahm ihr den Lampion ab. „Zum Glück sind wir gerade fertig.“

      „Ich mache schnell auf!“ Leonore rannte aus dem Zimmer.

      Sie öffnete die Haustür und sah sich ihren vier Freundinnen gegenüber.

      Katrin grinste von einem Ohr zum anderen. „Wir sind ein bißchen früher gekommen, weil wir dachten, daß wir vielleicht helfen könnten.“

      „Falls die Party überhaupt noch stattfindet“, fügte Silvy hinzu.

      „Nett von euch, kommt rein!“ bat Leonore.

      In diesem Augenblick ertönte ein Aufschrei und ein dumpfes Poltern.

      Die Mädchen standen wie versteinert und sahen sich an.

      „Was war das?“ fragte Olga.

      „Meine Mutter!“

      Plötzlich stieg Leonore eine Ahnung auf, was passiert sein konnte. Sie stürzte in das Wohnzimmer, und die Freundinnen, so wie sie waren, in Gummischuhen und Regenmänteln, stürmten hinter ihr her.

      Die Leiter war umgefallen und auseinandergebrochen, und Frau Müller lag mitten auf dem Parkett. Ihr Gesicht war sehr weiß, und der rechte Unterschenkel winkelte sich so vom Knie, als gehörte er gar nicht zu ihr.

      Leonore ließ sich neben ihr nieder. „Oh, Mutti, Mutti“, jammerte sie, „liebe Mutti! Bitte, bitte, mach die Augen auf! Bitte, bitte!“

      „Red keinen Quatsch“, mahnte Katrin mit rauher Stimme. „Sieht doch ein Blinder, daß deine Mutter ohnmächtig geworden ist. Folglich kann sie dich nicht hören, und es hat gar keinen Zweck, ihr etwas vorzujammern. Ein Arzt muß her. “

      „Was für einen Arzt habt ihr?“ fragte Silvy. „Ich werde telefonieren.“

      Aber Leonore war in ihrer Verzweiflung gar nicht mehr ansprechbar; von ihr war keine Auskunft zu bekommen.

      „Nebenan ist Doktor Müllers Arbeitszimmer“, sagte Ruth vernünftig, „vielleicht finden wir die Adresse auf dem Schreibtisch. Oder wir müssen uns einen Arzt aus dem Telefonbuch suchen.“

      Silvy, Ruth und Katrin liefen in das Arbeitszimmer, während Olga bei Leonore blieb und versuchte, sie zu beruhigen.

      Tatsächlich fanden die drei anderen neben dem Telefon einen Merkkasten, auf dessen oberstem Blatt alle wichtigen Nummern – Arzt, Überfall, Feuerwehr und so weiter – aufgeschrieben waren.

      „Ich ruf gleich an!“ rief Silvy eifrig.

      „Doktor Theodor Horn, Geibelstraße fünfzehn“, las Katrin, „das ist ja ganz in der Nähe. Ich laufe lieber hin.“

      „Ph!“ machte Silvy. „Du kannst mir schon zutrauen, daß ich imstande bin zu telefonieren.“

      Aber Katrin war nicht in der Stimmung, sich jetzt auf ein Hick-Hack einzulassen. Sie rannte wortlos auf den Flur hinaus, und Ruth folgte ihr.

      Erste Hilfe

      Katrin und Ruth rasten durch den strömenden Regen. Beide trugen sie hohe Gummistiefel – die Beutel mit ihren guten Schuhen und ihre Geschenkpäckchen hatten sie bei Müllers liegenlassen –, Katrin war in einen Kapuzenmantel verpackt, und Ruth hielt ein Schirmchen, das mit durchscheinendem rosa Plastik bezogen war, über dem Kopf.

      „Wäre es nicht doch vernünftiger gewesen, wir hätten Silvy einfach telefonieren lassen?“ keuchte sie.

      „Nein“, gab Katrin zurück, „oder glaubst du etwa, ich brause zum Spaß durch diese Sintflut? Denk doch mal nach! Jeder praktische Arzt macht nachmittags seine Krankenbesuche. Da müßte Silvy schon viel Glück haben, wenn sie ihn telefonisch erreichen würde.“

      „Und wir? Werden wir ihn denn erwischen?“

      „Klar. Wir laufen einfach so lange herum, bis wir ihn gefunden haben.“

      Bis zur Geibelstraße 15 war es nicht weit. Doktor Horn wohnte in einem hübschen Einfamilienhaus, das große Ähnlichkeit mit dem Müllerschen hatte. Neben der Haustür war ein weißes Emailleschild angebracht, auf dem in dicken schwarzen Buchstaben stand: „Dr. med. Theodor Hom, prakt. Arzt, Sprechstunde montags bis samstags von 9 bis 12 Uhr“.

      „Da hast du es“, sagte Katrin und drückte entschlossen auf die Klingel.

      Sie mußten einige Zeit warten, dann öffnete sich ein Fenster im Erdgeschoß, ein blondes Fräulein in weißem Kittel mit einer dunklen Hornbrille auf der Nase ließ sich blicken und rief ihnen zu: „Der Herr Doktor ist nicht zu sprechen!“

      „Das wissen wir!“ rief Katrin prompt zurück und tippte auf das Schild, „wir sind ja nicht blind!“

      Das blonde Fräulein zögerte noch einen Augenblick, dann sagte sie: „Moment, ich komme.“

      „Du warst aber ganz schön frech“, flüsterte Ruth der Freundin zu.

      „Tatsächlich?“ fragte Katrin ganz erstaunt. „Ich habe bloß versucht, Eindruck zu machen.“

      Trotz der schwierigen Situation mußte Ruth kichern.

      Das blonde Fräulein öffnete die Haustür und fragte, alles andere als freundlich: „Was wollt


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