Das Geheimnis der Greta K.. Marie Louise Fischer

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Das Geheimnis der Greta K. - Marie Louise Fischer


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ein Fehler gewesen. Entschlossen nahm sie es ab, faltete es sorgfältig zusammen und ließ es in ihre Tasche gleiten. Sie fuhr sich mit dem Kamm durch das sehr helle, blonde Haar und frisierte sich, so gut es ging. Sofort sah sie verändert aus, sehr viel weicher, lieblicher. Wenn Großmann sie so sah, würde er bestimmt glauben, sich geirrt zu haben.

      Sie telefonierte in den Kassenraum hinauf, um mitzuteilen, dass sie fertig war. Dann nahm sie zwei mit Brillanten gefasste Smaragdohrringe aus dem Etui und einen dazu passenden Anhänger. Sie ließ den Schmuck in ein Wildledertäschchen gleiten, das sie zu diesem Zweck mitgebracht hatte.

      Sie schloss das Etui und stand auf. Aber es war nicht Großmann, der kam, um sie abzuholen, sondern Jürgen Haberl. Ihm konnte sie ein Lächeln schenken, das ihr keine Mühe kostete.

      Nachdem Greta König und Jürgen Haberl im Tresorraum fertig waren, und er die schwere Tür wieder verschlossen hatte, gingen sie die Treppe hinauf und durch den schmalen Gang zurück. Sie blieben nebeneinander stehen; sie waren beide so schlank, dass sie sich nicht behinderten.

      »Hoffentlich habe ich Sie nicht zu lange aufgehalten«, entschuldigte sich Greta.

      Er warf einen Blick auf seine Armbanduhr. »Die paar Minuten. Das macht doch nichts.« Bewundernd fügte er hinzu: »Auf Sie würde ich Stunden warten!«

      Sie lachte. »Das haben Sie nett gesagt!«

      Er begriff, dass er zu weit gegangen war und wechselte rasch das Thema. »Haben wir nicht ein wunderbares Wetter?«

      »Ja, wirklich, wunderbar.«

      »Bei Ihnen draußen muss es noch schöner sein als in der Stadt.«

      »Da haben Sie recht. Wir konnten auch schon den Tennisplatz aufmachen.«

      »Beneidenswert!«

      Greta blieb stehen und sah ihn aufmerksam an. Er wirkte jung und anständig, so eifrig und bemüht und mochte kaum älter als zwanzig sein. Sie wünschte, er würde sich mit Aline befreunden. »Warum kommen Sie nicht einfach mal zu uns raus?« fragte sie.

      »Ist das Ihr Ernst?«

      »Warum nicht? Rufen Sie an, wenn Sie Lust haben. Bringen Sie auch ruhig einen Freund mit.« Nach leichtem Zögern fügte sie hinzu: »Oder eine Freundin.«

      »Das werde ich tun«, versprach er.

      Es war nicht ganz ersichtlich, auf was sich diese Zusage bezog. Aber Greta wollte nicht nachfragen. Sie hoffte, dass er klug genug war, die richtige Entscheidung zu treffen.

      Der Kassenraum hatte sich inzwischen völlig geleert. Sie unterschrieb das Protokoll: den Tag und die Uhrzeit, zu der sie sich den Safe hatte öffnen lassen.

      »Moment«, sagte Jürgen, »ich muss noch Herrn Großmann Bescheid sagen, damit er uns hinauslässt.«

      Er verschwand mit dem Schlüsselbund in einem der Büros und kam gleich darauf in Begleitung des Filialleiters zurück.

      Greta sah ihnen gelassen entgegen. »Habe ich Sie etwa auch aufgehalten, Herr Großmann?« fragte sie.

      »Aber nein. Ich hatte sowieso noch etwas zu tun.«

      »Ich bin erleichtert, das zu hören. Trotzdem werde ich in Zukunft zu einer passenderen Zeit in die Bank kommen.«

      »Das brauchen Sie nicht, gnädige Frau. Wir stehen Ihnen jederzeit zur Verfügung.« Großmann hatte die Hintertür aufgeschlossen, die zu den Parkplätzen führte und ließ Greta und Jürgen Haberl hinaus. »Da übertreiben Sie wohl doch ein bisschen«, sagte sie mit gespielter Sorglosigkeit.

      Jürgen verabschiedete sich und schwang sich auf sein Fahrrad.

      Greta spürte den starken Wunsch, so schnell wie möglich fortzukommen. Aber sie gab ihm nicht nach, sondern blieb neben Großmann stehen und wartete, bis er von außen abgeschlossen hatte.

      Er drehte sich zu ihr um und sah sie an; ihre Haltung und ihr verändertes Aussehen verunsicherten ihn. »Ich glaube, ich habe mich vorhin sehr dumm benommen«, sagte er.

      »Ach was! Ich fand’s ganz lustig.« Sie zuckte die Achseln. »Man erlebt hier ja so wenig.«

      »Erzählen Sie es niemandem!« bat er spontan.

      »Aber warum denn nicht?«

      »Ich muss wie das verkörperte schlechte Gewissen gewirkt haben.« »Machen Sie sich nichts draus. Es spricht für Sie, dass Sie ein Gewissen haben. Aber, na gut …« Sie reichte ihm die Hand. »… ich werde schweigen wie ein Grab.«

      Er zögerte, sich zu verabschieden. »Kann ich Sie irgendwohin bringen?«

      »Sehr nett von Ihnen, aber nicht nötig. Ich bin mit dem Wagen hier.« Außer Großmanns Auto stand nur noch der Kombi der Burg auf dem Parkplatz, und sie merkte, dass er sich darüber wunderte. »Ich hatte größere Einkäufe zu machen, deshalb bin ich mit dem Kombi in die Stadt gefahren. Diese Einkäufe waren übrigens auch der Grund, warum ich so spät gekommen bin.«

      »Ich verstehe.«

      Jetzt fand sie es an der Zeit, die kleine Szene zu beenden. »Also bis dann, Herr Großmann«, sagte sie, »auf Wiedersehen.« Sie wandte sich ab, ging aber nicht auf den Kombi zu, sondern entschlossenen Schritts auf die Straße. Sie wollte noch nicht nach Hause fahren, sondern hatte vor, Aline aus der Schule abzuholen. Aber darüber hatte sie Herrn Großmann keine Erklärung abgeben wollen, weil es ihn nichts anging.

      Als er an ihr vorbeifuhr, hupte er leicht, und sie hob die Hand zum Gruß. Sie lächelte in sich hinein. Für diesmal war die Gefahr gewiss gebannt.

      Mit einem Blick auf ihre Armbanduhr stellte sie fest, dass ihr noch eine gute Stunde Zeit bis zum Unterrichtsschluss blieb. Sie hätte einen Spaziergang in der Stadt unter dem mächtigen Hohenzollernschloss machen können. Das Frühsommerwetter verlockte dazu. Aber die Geschäfte waren schon geschlossen, und sie fand einen Schaufensterbummel hier sehr wenig ergiebig. Kleidung und Accessoires pflegte sie in Stuttgart einzukaufen.

      Also entschloss sie sich, die »Konditorei Maucher« aufzusuchen. Die Bedienung erkannte sie sofort und begrüßte sic mit Namen. Es duftete nach frisch gebackenem Hefekuchen, aber Greta beschränkte sich darauf, ein Kännchen Kaffee und eine Flasche Wasser zu bestellen.

      Während sie wartete, dachte sie darüber nach, wie anders hier in Sigmaringen doch alles war als in den Großstädten, in denen sie früher gelebt hatte. Es schien keine Anonymität zu geben. Sicher würde die Bedienung darüber reden, dass ihr Haar nicht so gepflegt wie üblich war. Dabei war sie, davon abgesehen, wie aus dem Ei gepellt in ihrer makellosen weißen Leinenhose und der langärmeligen grünen Seidenbluse. Sie nahm den grauen Kaschmirpullover ab, den sie sich über die Schultern geworfen hatte und legte ihn auf den Stuhl neben sich.

      Ja, es war wirklich alles ganz anders. Inge Kramer – ihr Mann war der Kompagnon Hans-Philipp Königs – hatte ihr erzählt, dass es hier noch Leute gab, die Spiegel hinter den Fenstern hatten, durch die sie alles beobachten konnten, was auf der Straße vorging, ohne selber gesehen zu werden, sogenannte Spione. Sie hatte es nicht recht glauben können und wusste immer noch nicht, was sie davon halten sollte. Wenn ein Mädchen einen Auswärtigen heiraten wollte, hatte Inge behauptet, würden die Freundinnen der Mutter Geld sammeln, damit eine von ihnen in seine Heimat fahren und sich nach seinen finanziellen Verhältnissen und seinem Leumund erkundigen konnte. Seltsame Geschichten. Vielleicht war Sigmaringen wirklich nicht die richtige Stadt für eine Frau mit Vergangenheit.

      Sie hatte das von Anfang an gewusst. Aber sie hatte nur die Wahl gehabt, Philipps Heiratsantrag abzulehnen oder ihm hierher zu folgen. Um einen Schlussstrich zu ziehen, war es damals aber schon zu spät gewesen, denn sie liebte ihn.

      2

      Fast gleichzeitig mit dem Klingelzeichen, das den Schluss des Unterrichts verkündete, brandete der Lärm junger Stimmen im »Hohenzollern-Gymnasium« auf. Bald darauf stürmten die ersten Jungen und Mädchen aus dem Backsteinbau, gefolgt von einem ganzen Pulk sich schiebender, lachender, Schultaschen und Beutel schwenkender Jugendlicher,


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