Susebill tut was sie will. Marie Louise Fischer

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Susebill tut was sie will - Marie Louise Fischer


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und Onkel Daniel keine Kinder haben.“

      Susebill holte tief Luft. „Du machst Witze“, sagte sie.

      „Na also, was habe ich denn gesagt!“ rief Stefanie. „Sie versteht es einfach nicht, sie ist noch zu grün.“

      „Verstehst du das denn?“ fragte Susebill. „Daß ein Mensch, der alles hat, unglücklich sein soll, bloß weil er keine Kinder hat?“ Sie legte den Finger an die Nase. „Nein, mich könnt ihr nicht reinlegen. Das habt ihr euch bloß ausgedacht. Tante Bettina hat ein todschickes Haus, einen himmlischen Wagen, Geld wie Heu, die tollsten Kleider …“

      „Ja, aber sie ist trotzdem unglücklich“, sagte Andrea.

      „Versteh das ein anderer. Als wenn Kinder so was Besonderes wären. Was hat man schon von Kindern? Putzen, waschen, flicken, kochen, saubermachen … nichts als Mühe und Last. Na ja, vielleicht ist es auch von Zeit zu Zeit ganz lustig, aber wenn ich mal verheiratet bin, ich kann auf Kinder leicht verzichten.“

      „Dich nimmt ja niemand, damit fängt es an“, sagte Stefanie.

      Susebill zeigte ihr die Zunge. „Hast du gedacht!“ Plötzlich wurde sie nachdenklich. „Aber wenn’s wirklich so ist, daß sie sich deswegen grämt, dann sollten wir doch eigentlich … besonders lieb zu Tante Bettina sein, nicht wahr?“

      Andrea lächelte. „Das ist das erste vernünftige Wort, das du seit langer Zeit gesagt hast, Susebill!“

      Der erste Eindruck

      Am Samstag nachmittag um zwei Uhr fuhr Dr. Meixner im frisch gewaschenen Auto zum Flughafen, um Tante Bettina abzuholen. Susebill durfte ihn begleiten.

      Es war ein strahlend heller Frühlingstag. Die blanke gelbe Sonne hatte den grauen Dunst des Großstadthimmels durchbrochen. Ein frischer Wind zerrte an Rücken, Haaren und Hüten.

      Das schöne Wetter hatte viele Menschen verlockt, ihre Sommersachen aus dem Schrank zu holen und anzuziehen. Auch Susebill trug ein kurzärmeliges Kleid mit einem lustigen blau-roten Erdbeermuster. Es war ihr neues Sonntagskleid, und sie liebte es sehr. Sie trug weiße Söckchen dazu und Lackschuhe, die ihr schon ein wenig zu klein waren. Die Strickjacke, die die Mutter ihr mitgegeben hatte, trug sie lässig über die Schultern gelegt. Als Dr. Meixner seinen Wagen vor dem Eingang zum Flughafengebäude geparkt hatte, ließ sie die Jacke in einem unbewachten Augenblick auf den Sitz gleiten. Susebill fand sich wesentlich schicker ohne dieses nützliche Kleidungsstück, das sie im vorigen Jahr von Stefanie geerbt hatte.

      Im Flughafengebäude herrschte lebhafter Betrieb. Reisende drängten sich vor den Schaltern der einzelnen Fluggesellschaften, Stewardessen gaben das Gepäck auf riesige Wagen, verteilten Flugkarten, Gepäckscheine und Auskünfte. Worte in fremden Sprachen umschwirrten Susebills Ohren.

      Sie war sehr aufgeregt, hüpfte von einem Bein auf das andere. „Wann kommt Tante Bettina an?“ fragte sie den Vater, der die große Tafel mit den Ankunfts- und Abflugzeiten der Flugzeuge studierte. „Ich meine … wann genau? Mit welchem Flugzeug? Hast du keine Angst, daß wir sie verpassen, Vater? Das Gebäude ist so groß … und die vielen Menschen! Ich weiß gar nicht mehr genau, wie Tante Bettina aussieht!“

      Dr. Meixner verglich seine Armbanduhr mit der großen Wanduhr über der Halle. „Wir haben noch eine halbe Stunde Zeit, Spatz“, sagte er. „Möchtest du gerne die Flugzeuge starten und landen sehen?“

      „O ja!“ schrie Susebill. „Kann man das? Wo denn?“

      „Auf der Aussichtsterrasse“, erklärte Dr. Meixner und nahm seine Tochter beim Arm, damit sie ihm nicht verlorenging.

      Sie mußten sich durch die Drehtür schieben, die erst aufging, nachdem Dr. Meixner ein Geldstück in einen Schlitz geworfen hatte. Dann kletterten sie eine steile steinerne Treppe hinauf, gingen eine Galerie entlang, von der man auf wartende Menschen, rotgepolsterte Bänke und einen Andenkenkiosk hinabsehen konnte. Durch eine große Glastür traten sie auf die Terrasse. Das erste, was Susebill sah, war ein silbern schimmerndes Flugzeug, das sich, noch gar nicht weit von der Erde entfernt, im Gradeausflug höher und höher in die Luft erhob.

      Sie rannte zur Brüstung der breiten Terrasse, kletterte auf den Fußsockel, beugte sich vor – unter ihr lag das riesige Rollfeld. Eine große Maschine, die gerade aufgetankt wurde, stand ganz nahe. Zwei andere standen weiter weg, aber immer noch gut sichtbar. Sie konnte die einzelnen Männer des Bodenpersonals erkennen, die hin und her liefen, einen Wagen mit Verpflegung, aus dem große Behälter in eines der beiden Flugzeuge übernommen wurden, ein kleines gelbes Feuerwehrauto, das mit ziemlicher Geschwindigkeit von einem Ende des Rollfeldes zum anderen fuhr.

      „Vater!“ schrie sie. „Vater! Schau bloß mal! Ist das nicht herrlich?“

      Dr. Meixners kräftige Hand packte sie im Nacken, zog sie vom Geländer zurück. „Sicher“, sagte er ruhig, „aber es lohnt sich trotzdem nicht hinunterzufallen.“

      „Aber das kann man doch gar nicht! Die Terrasse geht doch noch weiter vor, ich könnte höchstens über das Geländer kippen und …“

      „Na danke. Dann wärst du wohl kaum noch in dem Zustand, Tante Bettina zu empfangen.“

      Erschrocken ließ Susebill das Geländer los und trat einen Schritt zurück. Erst jetzt war ihr wieder zum Bewußtsein gekommen, daß sie ja ihr bestes Kleid anhatte. Sie betrachtete ihre Hände – sie waren schwarz. Aber das war nicht das Schlimmste. Quer über ihren Rock zog sich ein dicker grauer Strich.

      „Oh“, sagte sie betroffen und wurde puterrot. Das war gräßlich. Die Tränen stiegen ihr in die Augen.

      Dr. Meixner sah es. „Na, na, na“, sagte er beruhigend, „immer noch kein Grund zur Verzweiflung. Ein schmutziges Kleid ist schließlich kein Beinbruch, und auch der läßt sich heilen. Nein, nicht reiben, Spatz, das wäre ganz verkehrt … Warte mal!“ Er zog ein blütensauberes Taschentuch und begann vorsichtig zu wedeln.

      Der ärgste Schmutz löste sich sofort. Nachher brauchte er nur noch ein bißchen zu tupfen und zu putzen, und nichts war mehr zu sehen.

      „Glück gehabt“, sagte er lächelnd, „jetzt saus aber ab und wasch dir die Hände … Du weißt hoffentlich, wo es ist. Wir sind eben daran vorbeigekommen.“

      Susebill stellte sich auf die Zehenspitzen und gab ihrem Vater einen Kuß. „Danke“, sagte sie, „danke, Väterchen!“ Dann rannte sie davon.

      Während sie ihre Hände im Vorraum der Toilette wusch – mit flüssiger Seife und warmem Wasser –, dachte sie, wie gut der Vater war. Er hatte nicht gesagt: „Hättest du auf Mutter gehört und ein einfaches Kleid angezogen!“ – Und auch nicht: „Wenn man schön angezogen sein will, muß man auf seine Kleider aufpassen!“ Er hatte gar nichts gesagt, überhaupt nicht geschimpft, einfach geholfen.

      Susebills Herz war voll zärtlicher Dankbarkeit.

      Als sie auf die Aussichtsterrasse zurückkam, blieben nur noch zehn Minuten zum Schauen. Susebill nutzte sie aus. Sie ging nicht mehr ans Geländer, sondern hakte sich bei Dr. Meixner ein – erstens aus Liebe und zweitens, weil hier oben ein sehr frischer Wind ging. Sie bereute jetzt, ihre Jacke im Auto gelassen zu haben, und sie wäre sogar bereit gewesen, es offen zuzugeben, wenn sie nicht gefürchtet hätte, daß ihr Vater wieder mit ihr hinuntergehen würde.

      Und auf der Aussichtsterrasse war es doch zu schön! Für das, was man hier alles sehen konnte, lohnte sich ein bißchen Frieren schon.

      Die große Maschine war fertig aufgetankt, Männer in blauen Arbeitsanzügen entfernten den dicken Schlauch, fuhren den Bezinwagen fort – zu einem jener Flugzeuge, die weiter weg standen. Auch der Verpflegungswagen war schon fort.

      Jetzt wurde eine sehr steile, gerade Treppe herbeigerollt und an eine der Flugzeugtüren gelegt. Eine Stewardess – es war die gleiche, die eben mitgeholfen hatte, die Speisebehälter hereinzuholen – erschien in der Öffnung und rief lächelnd etwas nach unten.

      Ein langer Zug von Menschen kam, angeführt von einer anderen Stewardess,


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