Die Traumdeutung. Sigmund Freud

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Die Traumdeutung - Sigmund Freud


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Journalen gezeigt haben, sind so voll von Unverstand und Missverständnissen, dass ich den Kritikern mit nichts anderem als mit der Aufforderung, dieses Buch noch einmal zu lesen, antworten könnte. Vielleicht dürfte die Aufforderung auch lauten: es überhaupt zu lesen.

      In den Arbeiten jener Ärzte, welche sich zur Anwendung des psychoanalytischen Heilverfahrens entschlossen haben, und anderer sind reichlich Träume veröffentlicht und nach meinen Anweisungen gedeutet worden. Soweit diese Arbeiten über die Bestätigung meiner Aufstellungen hinausgehen, habe ich deren Ergebnisse in den Zusammenhang meiner Darstellung eingetragen. Ein zweites Literaturverzeichnis am Ende stellt die wichtigsten Veröffentlichungen seit dem ersten Erscheinen dieses Buches zusammen. Das reichhaltige Buch von Sante de Sanctis über die Träume (1899), dem bald nach seinem Erscheinen eine Übersetzung ins Deutsche zuteilgeworden ist, hat sich mit meiner Traumdeutung zeitlich gekreuzt, sodass ich von ihm ebenso wenig Notiz nehmen konnte wie der italienische Autor von mir. Ich musste dann leider urteilen, dass seine fleißige Arbeit überaus arm an Ideen sei, so arm, dass man aus ihr nicht einmal die Möglichkeit der bei mir behandelten Probleme ahnen könnte.

      Ich habe nur zweier Erscheinungen zu gedenken, die nahe an meine Behandlung der Traumprobleme streifen. Ein jüngerer Philosoph, H. Swoboda, der es unternommen hat, die Entdeckung der biologischen Periodizität (in Reihen von 23 und 28 Tagen), die von Wilh. Fließ herrührt, auf das psychische Geschehen auszudehnen, hat in einer phantasievollen Schrift (1904) mit diesem Schlüssel unter anderem auch das Rätsel der Träume lösen wollen. Die Bedeutung der Träume wäre dabei zu kurz gekommen; das Inhaltsmaterial derselben würde sich durch das Zusammentreffen all jener Erinnerungen erklären, die in jener Nacht gerade eine der biologischen Perioden zum ersten oder n-ten Mal vollenden. Eine persönliche Mitteilung des Autors ließ mich zuerst annehmen, dass er selbst diese Lehre nicht mehr ernsthaft vertreten wolle. Es scheint, dass ich mich in diesem Schluss geirrt habe; ich werde an anderer Stelle einige Beobachtungen zu der Aufstellung Swobodas mitteilen, die mir aber ein überzeugendes Ergebnis nicht gebracht haben. Bei Weitem erfreulicher war mir der Zufall, an unerwarteter Stelle eine Auffassung des Traumes zu finden, die sich mit dem Kern der meinigen völlig deckt. Die Zeitverhältnisse schließen die Möglichkeit aus, dass jene Äußerung durch die Lektüre meines Buches beeinflusst worden sei; ich muss also in ihr die einzige in der Literatur nachweisbare Übereinstimmung eines unabhängigen Denkers mit dem Wesen meiner Traumlehre begrüßen. Das Buch, in dem sich die von mir ins Auge gefasste Stelle über das Träumen findet, ist 1900 in zweiter Auflage unter dem Titel Phantasien eines Realisten von Lynkeus veröffentlicht worden. Man vgl. ›Josef Popper-Lynkeus und die Theorie des Traumes‹ (1923c).

      Zusatz 1914

      Die vorstehende Rechtfertigung ist im Jahre 1909 niedergeschrieben worden. Seither hat sich die Sachlage allerdings geändert; mein Beitrag zur »Traumdeutung« wird in der Literatur nicht mehr übersehen. Allein die neue Situation macht mir die Fortsetzung des vorstehenden Berichts erst recht unmöglich. Die Traumdeutung hat eine ganze Reihe neuer Behauptungen und Probleme gebracht, die nun von den Autoren in verschiedenster Weise erörtert worden sind. Ich kann diese Arbeiten doch nicht darstellen, ehe ich meine eigenen Ansichten entwickelt habe, auf welche die Autoren sich beziehen. Was mir an dieser neuesten Literatur wertvoll erschien, habe ich darum im Zusammenhange meiner nun folgenden Ausführungen gewürdigt.

      II – Die Methode der Traumdeutung / Die Analyse eines Traummusters

      Die Überschrift, die ich meiner Abhandlung gegeben habe, lässt erkennen, an welche Tradition in der Auffassung der Träume ich anknüpfen möchte. Ich habe mir vorgesetzt zu zeigen, dass Träume einer Deutung fähig sind, und Beiträge zur Klärung der eben behandelten Traumprobleme werden sich mir nur als etwaiger Nebengewinn bei der Erledigung meiner eigentlichen Aufgabe ergeben können. Mit der Voraussetzung, dass Träume deutbar sind, trete ich sofort in Widerspruch zu der herrschenden Traumlehre, ja zu allen Traumtheorien mit Ausnahme der Schernerschen, denn »einen Traum deuten« heißt, seinen »Sinn« angeben, ihn durch etwas ersetzen, was sich als vollwichtiges, gleichwertiges Glied in die Verkettung unserer seelischen Aktionen einfügt. Wie wir erfahren haben, lassen aber die wissenschaftlichen Theorien des Traumes für ein Problem der Traumdeutung keinen Raum, denn der Traum ist für sie überhaupt kein seelischer Akt, sondern ein somatischer Vorgang, der sich durch Zeichen am seelischen Apparat kundgibt. Anders hat sich zu allen Zeiten die Laienmeinung benommen. Sie bedient sich ihres guten Rechts, inkonsequent zu verfahren, und obwohl sie zugesteht, der Traum sei unverständlich und absurd, kann sie sich doch nicht entschließen, dem Traume jede Bedeutung abzusprechen. Von einer dunkeln Ahnung geleitet, scheint sie doch anzunehmen, der Traum habe einen Sinn, wiewohl einen verborgenen, er sei zum Ersatze eines anderen Denkvorganges bestimmt und es handle sich nur darum, diesen Ersatz in richtiger Weise aufzudecken, um zur verborgenen Bedeutung des Traumes zu gelangen.

      Die Laienwelt hat sich darum von jeher bemüht, den Traum zu »deuten«, und dabei zwei im Wesen verschiedene Methoden versucht. Das erste dieser Verfahren fasst den Trauminhalt als Ganzes ins Auge und sucht denselben durch einen anderen, verständlichen und in gewissen Hinsichten analogen Inhalt zu ersetzen. Dies ist die symbolische Traumdeutung; sie scheitert natürlich von vornherein an jenen Träumen, welche nicht bloß unverständlich, sondern auch verworren erscheinen. Ein Beispiel für ihr Verfahren gibt etwa die Auslegung, welche der biblische Josef dem Traume des Pharaos angedeihen ließ. Sieben fette Kühe, nach denen sieben magere kommen, welche die ersteren aufzehren, das ist ein symbolischer Ersatz für die Vorhersagung von sieben Hungerjahren im Lande Ägypten, welche allen Überfluss aufzehren, den sieben fruchtbare Jahre geschaffen haben. Die meisten der artifiziellen Träume, welche von Dichtern geschaffen wurden, sind für solche symbolische Deutung bestimmt, denn sie geben den vom Dichter gefassten Gedanken in einer Verkleidung wieder, die zu den aus der Erfahrung bekannten Charakteren unseres Träumens passend gefunden wird. In einer Novelle Gradiva des Dichters W. Jensen entdeckte ich zufällig mehrere artifizielle Träume, die vollkommen korrekt gebildet waren und sich deuten ließen, als wären sie nicht erfunden, sondern von realen Personen geträumt worden. Der Dichter bestätigte auf Anfrage von meiner Seite, dass ihm meine Traumlehre fremd geblieben war. Ich habe diese Übereinstimmung zwischen meiner Forschung und dem Schaffen des Dichters als Beweis für die Richtigkeit meiner Traumanalyse verwertet. (Der Wahn und die Träume in W. Jensens ›Gradiva‹, Freud, 1907a). Die Meinung, der Traum beschäftige sich vorwiegend mit der Zukunft, deren Gestaltung er im Voraus ahne – ein Rest der einst den Träumen zuerkannten prophetischen Bedeutung – wird dann zum Motiv, den durch symbolische Deutung gefundenen Sinn des Traumes durch ein »es wird« ins Futurum zu versetzen.

      Wie man den Weg zu einer solchen symbolischen Deutung findet, dazu lässt sich eine Unterweisung natürlich nicht geben. Das Gelingen bleibt Sache des witzigen Einfalls, der unvermittelten Intuition, und darum konnte die Traumdeutung mittels Symbolik sich zu einer Kunstübung erheben, die an eine besondere Begabung gebunden schien. Aristoteles hat sich dahin geäußert, der beste Traumdeuter sei der, welcher Ähnlichkeiten am besten auffasse: denn die Traumbilder seien, wie die Bilder im »Wasser, durch die Bewegung verzerrt, und der treffe am besten, der in dem verzerrten Bild das Wahre zu erkennen vermöge (Büchsenschütz, 1868, 65). Von solchem Anspruch hält sich die andere der populären Methoden der Traumdeutung völlig ferne. Man könnte sie als die »Chiffriermethode« bezeichnen, da sie den Traum wie eine Art von Geheimschrift behandelt, in der jedes Zeichen nach einem feststehenden Schlüssel in ein anderes Zeichen von bekannter Bedeutung übersetzt wird. Ich habe z. B. von einem Brief geträumt, aber auch von einem Leichenbegängnis u. dgl.; ich sehe nun in einem »Traumbuch« nach und finde, dass »Brief« mit »Verdruss«, »Leichenbegängnis« mit »Verlobung« zu übersetzen ist. Es bleibt mir dann überlassen, aus den Schlagworten, die ich entziffert habe, einen Zusammenhang herzustellen, den ich wiederum als zukünftig hinnehme. Eine interessante Abänderung dieses Chiffrierverfahrens, durch welche dessen Charakter als rein mechanische Übertragung einigermaßen korrigiert wird, zeigt sich in der Schrift über Traumdeutung des Artemidoros aus Daldis. Artemidoros aus Daldis, wahrscheinlich zu Anfang des zweiten Jahrhunderts unserer Zeitrechnung geboren, hat uns die vollständigste und sorgfältigste Bearbeitung der Traumdeutung in der griechisch-römischen Welt überliefert. Er legte, wie Th. Gomperz (1866) hervorhebt, Wert darauf,


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