Die Traumdeutung. Sigmund Freud

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Die Traumdeutung - Sigmund Freud


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in blauem und grünem Papier unter unsere Betten. Die Brüder, die sich also nicht kraft erblicher Übertragung auf Traumdeutung verstehen, erklärten ganz wie unsere Autoren: Dieser Traum ist ein Unsinn. Das Mädchen trat wenigstens für einen Teil des Traumes ein, und es ist wertvoll für die Theorie der Neurosen zu erfahren, für welchen: Dass der Emil ganz bei uns ist, das ist ein Unsinn, aber das mit den Schokoladestangen nicht. Mir war gerade das Letztere dunkel. Die Mama lieferte mir hierfür die Erklärung. Auf dem Wege vom Bahnhof nach Hause hatten die Kinder vor dem Automaten haltgemacht und sich gerade solche Schokoladestangen in metallisch glänzendem Papier gewünscht, die der Automat nach ihrer Erfahrung zu verkaufen hatte. Die Mama hatte mit Recht gemeint, jener Tag habe genug Wunscherfüllungen gebracht, und diesen Wunsch für den Traum übriggelassen. Mir war die kleine Szene entgangen. Den von meiner Tochter proskribierten Teil des Traumes verstand ich ohne Weiteres. Ich hatte selbst gehört, wie der artige Gast auf dem Wege die Kinder aufgefordert hatte zu warten, bis der Papa oder die Mama nachkommen. Aus dieser zeitweiligen Zugehörigkeit machte der Traum der Kleinen eine dauernde Adoption. Andere Formen des Beisammenseins als die im Traum erwähnten, die von den Brüdern hergenommen sind, kannte ihre Zärtlichkeit noch nicht. Warum die Schokoladestangen unter die Betten geworfen wurden, ließ sich ohne Ausfragen des Kindes natürlich nicht aufklären.

      Einen ganz ähnlichen Traum wie den meines Knaben habe ich von befreundeter Seite erfahren. Er betraf ein achtjähriges Mädchen. Der Vater hatte mit mehreren Kindern einen Spaziergang nach Dornbach in der Absicht unternommen, die Rohrer-Hütte zu besuchen, kehrte aber um, weil es zu spät geworden war, und versprach den Kindern, sie ein anderes Mal zu entschädigen. Auf dem Rückweg kamen sie an der Tafel vorbei, welche den Weg zum Hameau anzeigt. Die Kinder verlangten nun, auch aufs Hameau geführt zu werden, mussten sich aber aus demselben Grund wiederum auf einen anderen Tag vertrösten lassen. Am nächsten Morgen kam das achtjährige Mädchen dem Papa befriedigt entgegen: Papa, heut’ hab ich geträumt, du warst mit uns bei der Rohrer-Hütte und auf dem Hameau. Ihre Ungeduld hatte also die Erfüllung des vom Papa geleisteten Versprechens antizipiert.

      Ebenso aufrichtig ist ein anderer Traum, den die landschaftliche Schönheit Aussees bei meinem damals dreieinvierteljährigen Töchterchen erregt hat. Die Kleine war zum ersten Mal über den See gefahren, und die Zeit der Seefahrt war ihr zu rasch vergangen. An der Landungsstelle wollte sie das Boot nicht verlassen und weinte bitterlich. Am nächsten Morgen erzählte sie: Heute Nacht bin ich auf dem See gefahren. Hoffen wir, dass die Dauer dieser Traumfahrt sie besser befriedigt hat.

      Mein ältester, derzeit achtjähriger Knabe träumt bereits die Realisierung seiner Phantasien. Er ist mit dem Achilleus in einem Wagen gefahren, und der Diomedes war Wagenlenker. Er hat sich natürlich tags vorher für die Sagen Griechenlands begeistert, die der älteren Schwester geschenkt worden sind.

      Wenn man mir zugibt, dass das Sprechen aus dem Schlaf der Kinder gleichfalls dem Kreis des Träumens angehört, so kann ich im Folgenden einen der jüngsten Träume meiner Sammlung mitteilen. Mein jüngstes Mädchen, damals neunzehn Monate alt, hatte eines Morgens erbrochen und war darum den Tag über nüchtern erhalten worden. In der Nacht, die diesem Hungertag folgte, hörte man sie erregt aus dem Schlaf rufen: Anna Freud, Er(d)beer, Hochbeer, Eier(s)peis, Papp. Ihren Namen gebrauchte sie damals, um die Besitzergreifung auszudrücken; der Speisezettel umfasste wohl alles, was ihr als begehrenswerte Mahlzeit erscheinen musste; dass die Erdbeeren darin in zwei Varietäten vorkamen, war eine Demonstration gegen die häusliche Sanitätspolizei und hatte seinen Grund in dem von ihr wohl bemerkten Nebenumstand, dass die Kinderfrau ihre Indisposition auf allzu reichlichen Erdbeergenuss geschoben hatte; für dies ihr unbequeme Gutachten nahm sie also im Traume ihre Revanche. Dieselbe Leistung wie bei der jüngsten Enkelin vollbringt dann der Traum kurz nachher bei der Großmutter, deren Alter das des Kindes ungefähr zu 70 Jahren ergänzt. Nachdem sie einen Tag lang durch die Unruhe ihrer Wanderniere zum Hungern gezwungen war, träumt sie dann, offenbar mit Versetzung in die glückliche Zeit des blühenden Mädchentums, dass sie für beide Hauptmahlzeiten »ausgebeten«, zu Gast geladen, ist und jedes Mal die köstlichsten Bissen vorgesetzt bekommt.

      Wenn wir die Kindheit glücklich preisen, weil sie die sexuelle Begierde noch nicht kennt, so wollen wir nicht verkennen, eine wie reiche Quelle der Enttäuschung, Entsagung und damit der Traumanregung der andere der großen Lebenstriebe für sie werden kann. Eingehendere Beschäftigung mit dem Seelenleben der Kinder belehrt uns freilich, dass sexuelle Triebkräfte in infantiler Gestaltung in der psychischen Tätigkeit des Kindes eine genügend große, nur zu lange übersehene Rolle spielen, und lässt uns an dem Glücke der Kindheit, wie die Erwachsenen es späterhin konstruieren, einigermaßen zweifeln. (Vgl. des Verfassers Drei Abhandlungen zur Sexualtheorie, 1905d.). Hier ein zweites Beispiel dafür. Mein zweiundzwanzigmonatiger Neffe hat zu meinem Geburtstag die Aufgabe bekommen, mir zu gratulieren und als Geschenk ein Körbchen mit Kirschen zu überreichen, die um diese Zeit des Jahres noch zu den Primeurs zählen. Es scheint ihm hart anzukommen, denn er wiederholt unaufhörlich: Kirschen sind d(r)in, und ist nicht zu bewegen, das Körbchen aus den Händen zu geben. Aber er weiß sich zu entschädigen. Er pflegte bisher jeden Morgen seiner Mutter zu erzählen, dass er vom »weißen Soldat« geträumt, einem Gardeoffizier im Mantel, den er einst auf der Straße bewunderte. Am Tag nach dem Geburtstagsopfer erwacht er freudig mit der Mitteilung, die nur einem Traum entstammen kann: He(r)man alle Kirschen aufgessen! Es soll nicht unerwähnt bleiben, dass sich bei kleinen Kindern bald kompliziertere und minder durchsichtige Träume einzustellen pflegen und dass anderseits Träume von so einfachem infantilen Charakter unter Umständen auch bei Erwachsenen häufig vorkommen. Wie reich an ungeahntem Inhalt Träume von Kindern im Alter von vier bis fünf Jahren bereits sein können, zeigen die Beispiele in meiner ›Analyse der Phobie eines fünfjährigen Knaben‹ (1909b) und in Jung (1910a). – Analytisch gedeutete Kinderträume siehe noch bei v. Hug-Hellmuth (1911 und 1913), Putnam (1912), van Raalte (1912), Spielrein (1913), Tausk (1913); andere bei Bianchieri (1912), Busemann (1909 und 1910), Doglia und Bianchieri (1910 bis 11) und besonders bei Wiggam (1909), der die Wunscherfüllungstendenz derselben betont. – Anderseits scheinen sich bei Erwachsenen Träume vom infantilen Typus besonders häufig wieder einzustellen, wenn sie unter ungewöhnliche Lebensbedingungen versetzt werden. So berichtet Otto Nordenskjöld in seinem Buch Antarctic (1904) über die mit ihm überwinternde Mannschaft (Bd. I, 336 f.): »Sehr bezeichnend für die Richtung unserer innersten Gedanken waren unsere Träume, die nie lebhafter und zahlreicher waren als gerade jetzt. Selbst diejenigen unserer Kameraden, die sonst nur ausnahmsweise träumten, hatten jetzt des Morgens, wenn wir unsere letzten Erfahrungen aus dieser Phantasiewelt miteinander austauschten, lange Geschichten zu erzählen. Alle handelten sie von jener äußeren Welt, die uns jetzt so fernlag, waren aber oft unseren jetzigen Verhältnissen angepasst. Ein besonders charakteristischer Traum bestand darin, dass sich einer der Kameraden auf die Schulbank zurückversetzt glaubte, wo ihm die Aufgabe zuteilwurde, ganz kleinen Miniaturseehunden, die eigens für Unterrichtszwecke angefertigt waren, die Haut abzuziehen. Essen und Trinken waren übrigens die Mittelpunkte, um die sich unsere Träume am häufigsten drehten. Einer von uns, der nächtlicherweise darin exzellierte, auf große Mittagsgesellschaften zu gehen, war seelenfroh, wenn er des Morgens berichten konnte, ›dass er ein Diner von drei Gängen eingenommen habe‹; ein anderer träumte vom Tabak, von ganzen Bergen Tabak; wieder andere von dem Schiff, das mit vollen Segeln auf dem offenen Wasser daherkam. Noch ein anderer Traum verdient der Erwähnung: Der Briefträger kommt mit der Post und gibt eine lange Erklärung, warum diese so lange habe auf sich warten lassen, er habe sie verkehrt abgeliefert und erst nach großer Mühe sei es ihm gelungen, sie wieder zu erlangen. Natürlich beschäftigte man sich im Schlaf mit noch unmöglicheren Dingen, aber der Mangel an Phantasie in fast allen Träumen, die ich selbst träumte oder erzählen hörte, war ganz auffallend. Es würde sicher von großem psychologischen Interesse sein, wenn alle diese Träume aufgezeichnet würden. Man wird aber leicht verstehen können, wie ersehnt der Schlaf war, da er uns alles bieten konnte, was ein jeder von uns am glühendsten begehrte.« – Nach Du Prel (1885, 231) zitiere ich noch: »Mungo Park, auf einer Reise in Afrika dem Verschmachten nahe, träumte ohne Aufhören von wasserreichen Tälern und Auen seiner Heimat. So sah sich auch der von Hunger gequälte Trenck in der Sternschanze zu Magdeburg von üppigen Mahlzeiten umgeben, und George Back, Teilnehmer der ersten Expedition Franklins, als er infolge furchtbarer Entbehrungen dem Hungertode nahe war, träumte stets


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