im Schlaraffenland. Heinrich Mann

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im Schlaraffenland - Heinrich Mann


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Das berufene Talent brach sich Bahn.

      Um sich selbst in seinen Hoffnungen zu bestärken, hätte er sie gern laut ausgesprochen. Er sah mehrmals schnell um sich und schnappte vor Erregung nach Luft. Sein Nachbar, der ihn durch einen schwarzumrandeten Kneifer still anblinzelte, sagte verbindlich:

      „Wir sind wohl Kollegen?“

      Andreas stutzte und besann sich.

      „Sie sind auch Schriftsteller?“ fragte er.

      Der andere verbeugte sich.

      „Friedrich Köpf, Schriftsteller.“

      Er sprach mit gespitzten Lippen, als sei es ihm eher peinlich, dies einzugestehen. Andreas wurde im Gegenteil rot vor Vergnügen, während er sich vorstellte. Es war das erste Mal, dass er sich als Literat bezeichnete. Er meinte seine Laufbahn hiermit in aller Form zu beginnen.

      „Ich mache allerdings gerade die ersten Schritte in meinem Beruf,“ setzte er hinzu.

      „O, das berufene Talent bricht sich Bahn,“ versicherte der junge Mann.

      Andreas richtete sich auf und sah ihn drohend an; aber er überzeugte sich, dass der andere ganz harmlos lächelte. Er versetzte darauf:

      „Ich bin bisher bloß Mitarbeiter eines Provinzblattes gewesen.“

      „Ah, Sie sind bereits journalistisch tätig?“

      „Ich habe am Feuilleton mitgearbeitet.“

      Andreas vermied es, das unberühmte Blättchen zu nennen, das seine junge Kraft gewonnen hatte und sein neuer Bekannter war diskret genug, nicht danach zu fragen. Er sagte überhaupt nichts mehr, sondern hörte voll Teilnahme zu, wie Andreas die Gedichte zusammenrechnete, die der „Gumplacher Anzeiger" gebracht hatte, und von dem ermutigenden Erfolge seiner Novelle erzählte.

      Das Gespräch ward unterbrochen. Nach Schluss des Aktes begann Andreas wieder:

      „Aber in Berlin bin ich bisher ganz fremd.“

      „Wirklich?“ sagte Köpf zweifelnd.

      „Ich würde mich ja gern hier journalistisch betätigen, aber es ist so schwer, Anschluss zu finden.“

      „O, was das anbelangt, man wird überall mit offenen Armen aufgenommen.“

      „Wirklich?" fragte Andreas seinerseits.

      Merkwürdig, er wusste niemals, was er aus den Worten des Kollegen machen sollte, obwohl alles, was dieser sagte, ungemein gutmütig klang. Köpf schien das Misstrauen des jungen Mannes zu bemerken und es beseitigen zu wollen. Er versetzte:

      „Ich kann Sie zum Beispiel in das Café Hurra einführen, wenn Ihnen daran liegt.“

      „Café Hurra?“ fragte Andreas.

      „Eigentlich Café Kühlemann, Potsdamerstraße. Sie treffen dort verschiedene Mitarbeiter angesehener Zeitungen.“

      „Ah!“ rief Andreas dankbar und voll Hoffnung. „Das wäre ja außerordentlich freundlich von Ihnen.“

      „Also kommen Sie nächsten Donnerstag. Dann finden Sie mich wahrscheinlich dort.“

      Köpf empfahl sich gleich nach beendeter Vorstellung. Andreas suchte höchst zufrieden und den Schlagring kampfesmutig in der Faust, seine Wohnung in der Linienstraße auf. Der Gumplacher Schulmeister lag weit hinter ihm, es begann ein neues Leben.

      Das Café Hurra

      „Herr....?“ fragte Köpf zögernd.

      „Andreas Zumsee.“

      Köpf stellte der Tafelrunde im Café Hurra den neuen Kollegen vor. Dieser ward mit Wärme aufgenommen. Der angesehenste der Herren ließ ihn an seiner Seite sitzen und zog ihn in die Unterhaltung. Als er den jungen Mann nach Studien und Absichten befragt hatte, sagte Doktor Libbenow mit einem vielleicht bescheidenen, vielleicht auch stolzen Seufzer:

      „Ach ja, ich habe eigentlich seit zehn Jahren kein Buch gelesen.“

      Man schien dies als eine beachtenswerte Leistung anzusehen, und auch Andreas empfand, er wusste nicht warum, Bewunderung für Doktor Libbenow.

      Es war die Rede von den misslichen finanziellen Verhältnissen des Schauspielerpaares Beckenberger. Der Mann war in der Gunst des Publikums rapide gesunken, von seinem Direktor bekam er nur noch ein Taschengeld, und er verschwendete dasjenige, was sich die Frau in arbeitsamen Nächten, gleichfalls ohne Zutun des Bühnenleiters, verdiente. Vor fechs Jahren hatten sie jeder zehntausend Mark gehabt.

      „I wo,“ sagte Doktor Pohlatz.

      „Sie glauben das doch nicht?“ fragte er Andreas.

      Dieser lächelte verbindlich.

      Pohlatz erläuterte:

      „Die Weiber bekommen nämlich überhaupt nie was, darauf gebe ich Ihnen mein kleines Ehrenwort.“

      „Warum denn nicht?“ riefen die anderen.

      „Lizzi Laffé hat noch heute ihre zehntausend, und sie geht auf fünfzig.“

      „Reden Sie doch keine Makulatur!“ versetzte Pohlatz schroff. „Was Lizzi hat, hat sie von Türkheimer.“

      Die Namen, die Andreas hörte, prägten sich ihm ein, alles, was gesprochen wurde, schien ihm bedeutend, am bedeutendsten aber Doktor Pohlatz. Er wusste alles, er widersprach allen, er kannte die Einnahmen jedes Schauspielers besser als dieser selbst. Aber als er endlich fortging, ward es noch gemütlicher. Andreas erlaubte sich die Frage:

      „Welcher Zeitung gehört Herr Doktor Pohlatz an?“

      „Doktor?“ sagte jemand, „der Kerl ist ja zum Sterben zu dämlich.“

      „Einen Cognac und das Adressbuch! rief Doktor Libbenow.

      „Das ist untrüglich,“ sagte er, indem er den Finger auf Pohlatz’ Namen legte. „Hier sind dem Doktor seine Grenzen gesetzt.“

      „Wer ist denn überhaupt noch Doktor?“ bemerkte ein dicker, schäbig aussehender Herr mit wolligem schwarzen Vollbart.

      „Wenn man nur sonst gesund ist,“ fügte er hinzu.

      „Doktor Buhl? Doktor Rebbiner?“

      Ein Doktor nach dem anderen ward im Kalender aufgeschlagen und keiner vertrug die Stichprobe. Nur Doktor Libbenow verschonte man aus Höflichkeit.

      Dass auch Doktor Wacheles vom „Kabel“ und der große Abell ihren Titel nur der Gefälligkeit der Kollegen verdankten, machte auf Andreas immerhin Eindruck, aber gewissermaßen brachte der Umstand sie ihm menschlich näher, indem er ihn mit ihrer Größe aussöhnte.

      Köpf war bereits verschwunden, als die anderen aufbrachen. Doktor Libbenow sagte zu Andreas, der sich von ihm verabschiedete:

      „Nehmen Sie sich vor Golem in Acht. Er will Sie anpumpen.“

      Andreas bemerkte, wie der dicke Schäbige mit dem wolligen, schwarzen Vollbart sich eilig nach der anderen Seite entfernte.

      Zwei Tage später erschien der junge Mann wieder im Café Hurra, und von da an kam er regelmäßig. Es schmeichelte ihm, seine Abende in der Gesellschaft von Mitarbeitern angesehener Zeitungen zu verbringen, und das Urteil seiner neuen Freunde über ihn lautete günstig. Wie er einmal unbemerkt in die Tür trat, hörte er Doktor Libbenow sagen:

      „Der junge Zumsee? Das ist so’n Bengel, der Talent zum Glückmachen hat.“

      Er zeigte gerade genug Naivität, um der Eitelkeit der anderen zu schmeicheln, und gerade genug Scharlatanismus um nicht durch Einfalt zu beleidigen. Er sagte „Och han ich’n Freud gehabt“, wenn er froh war, nannte „Knatsch geck“ jedermann, der ihm missfiel und nahm es nicht übel, wenn man seinen Dialekt belächelte. Zum Lohn dafür durfte er Meinungen, die


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