im Schlaraffenland. Heinrich Mann

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im Schlaraffenland - Heinrich Mann


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weil er dies für etwas Besonderes hielt. Er irrte sich, aber Pohlatz, der jeden andere unsanft zurechtgewiesen hätte, begnügte sich damit ihm zu erwidern:

      „Das verstehen Sie nicht, junger Mann, das verstehe ich ja kaum, und ich habe studiert.“

      Bei dieser Gelegenheit erfuhr Andreas den Grund, weshalb das Café Hurra diesen Namen führte. Die Herren von der Tafelrunde hatten früher staatsumwälzenden Grundsätzen gehuldigt, bis im März 1890 sich die Sozialdemokratie als nicht mehr zeitgemäß herausstellte. Damals hatten Alle einem Bedürfnis der Epoche nachgegeben, sie waren ihren freisinnigen Prinzipalen ein Stückchen Weges nach rechts gefolgt und bekannten sich seither zum Regierungsliberalismus und Hurrapatriotismus. Der Name des Lokals bewahrte die Erinnerung an diese Evolution.

      Andreas bewegte sich den ganzen Sommer in diesem Kreise, voll des heiteren Bewusstseins, nunmehr der Berliner Literaturwelt anzugehören. Seitdem er sein Studium aufgegeben hatte, wartete er die Ereignisse ab, um eine neue Arbeit zu beginnen. Bei seinen jetzigen Verbindungen konnte es ihm auf die Dauer gar nicht fehlen. In Vertretung des dicken Golem, der unmäßig faul war, hatte er bereits mehrmals im Gerichtssaal als Berichterstatter fungiert. Wenn er spät abends nach dem Genuss von zwei Tassen schwarzen Kaffee und zwei Cognacs heimging, blickte er in eine glänzende Zukunft gerade hinein. Früher hatte er „geochst“, ohne an etwas zu denken, jetzt tat er nichts und war dabei von hohem Ehrgeiz beseelt.

      Wohl blieben auch trübere, weniger zuversichtliche Stunden nicht aus. Andreas konnte manchmal ein Gefühl der Leere nicht verleugnen, wenn er den Tisch verließ, an dem von zehn bis zwölf Schauspielergehältern und schlecht zahlenden Verlegern gesprochen worden war. Golem verschwand einmal auf acht Tage, und bei seiner Rückkehr erzählte er den erstaunten Kollegen, dass er sein erstes Feuilleton geschrieben habe. Seit zehn Jahren machte er nur Gerichtsberichte, jetzt aber hatte ihn seine Zeitung nach Bayreuth geschickt. Dies hatte nichts auffälliges an sich, über Wagner schrieb nachgerade jeder. Aber Andreas meinte, im „Gumplacher Anzeiger“ zuweilen weniger schlechte Artikel gelesen zu haben.

      Dieser Golem erfüllte ihn überhaupt mit Besorgnis. Doktor Libbenows Voraussicht, dass der Dicke ihn anpumpen werde, war nicht unerfüllt geblieben, und Andreas wagte bisher keine abschlägige Antwort zu geben. Er fürchtete noch zu sehr, das Wohlwollen der Kollegen zu verscherzen. Vielleicht war er nicht kräftig genug der öffentlichen Meinung entgegen getreten, die ihn für einen begüterten Dilettanten zu halten schien. Vorläufig erhielt nun Golem bald fünf und bald zehn Mark. Und in letzter Zeit ging der Unglückliche, den der Gerichtsvollzieher überallhin verfolgte, mit dem Plane um, ein Zimmer zu beziehen, das in Andreas’ Wohnung freistand.

      Auch in anderer Beziehung stellte sich das neue Leben als kostspieliger heraus, als Andreas vorausgesehen hatte. Die Gesellschaft aus dem Café Hurra speiste häufig zusammen zu Abend, hier und da ließ sich jemand, der seine Börse vergessen hatte, von dem jungen Freunde bewirten. Im Theater wäre Andreas jetzt um keinen Preis mehr auf die Galerie gegangen. Aber alle diese Verpflichtungen, die ihm seine gesellschaftliche Stellung auferlegte, überstiegen die Kräfte eines armen Studentenwechsels. So kam es, dass Andreas sich um die Mitte des Monats gewöhnlich in ein vegetarisches Restaurant schlich. Einige Tage später bildete dann der schwarze Kaffee sein hauptsächliches Ernährungsmittel. Das Mittagsessen musste nur zu häufig, wie Pohlatz sich ausdrückte, durch stramme Haltung ersetzt werden.

      Andreas schuldete seit geraumer Zeit die Zimmermiete, und es war ein Glück für ihn, dass es auch mit der Entlohnung der Wäscherin nicht eilte. Er hatte Kredit erlangt dadurch, dass das junge Mädchen, das ihm seine frischen Hemden brachte, sich durch seine Liebe bestechen ließ. Sie bat nur um Freibillets für das Theater, die ein Schriftsteller wie Andreas ihr doch wohl verschaffen könne. Andreas erklärte, dass nichts leichter sei, aber Libbenow sowohl wie Golem, der ihm doch vielfach verpflichtet war, vertrösteten ihn. Als nach vierzehn Tagen noch keine Freikarte zur Stelle war, verließ ihn die junge Wäscherin mit dem Ausdruck ihrer Geringschätzung und nicht ohne die Rechnung auf seinen Tisch zu legen.

      Im Oktober machte Andreas, entgegen seiner Gewohnheit, einsame Spaziergänge im Tiergarten, wo die Blätter fielen. Das Café Hurra vernachlässigte er. Mochten sie doch merken, dass er sie verachtete! Denn nachgerade fühlte er sich hierzu versucht. Waren sie denn eigentlich ein würdiger Verkehr für ihn, diese Leute, die meistens nicht einmal richtig deutsch schrieben — soweit sie überhaupt etwas schrieben. Es ward ihm immer klarer: ihre Blasiertheit, die ihm anfangs als Überlegenheit gegolten hatte, war im Grunde nur der Ausdruck von Unwissenheit und Impotenz. Aber der ganze Berliner Ton kam schließlich bloß von Mangel an Tiefe. Sie ulkten, weil sie zu faul waren, auf die Dinge einzugehen. Er hatte genug davon. Das Café Hurra war für ihn eine Sackgasse, die niemals zu irgendeinem Ziele führen konnte. Keiner der dort kennen gelernten Herren schien genug Einfluss zu besitzen, um ihn journalistisch zu fördern. Am Ende fehlte auch der gute Wille. Außer Golem, dessen schlechter Ruf seine Empfehlungen gefährlich machte, ließ keiner einen Neuling an seine Zeitung herankommen. In sechs Monaten hatte Andreas genau vierzehn Mark und fünfundsechzig Pfennige verdient, was ihm nicht hinreichend zur Begründung einer Zukunft deuchte. Das erste Studienjahr war darüber hingegangen, sein Wechsel lief jetzt noch zwei Jahre. Innerhalb des gegebenen Zeitraumes musste er es zu etwas bringen. Von dieser Notwendigkeit herausgestört, tauchte das Gespenst des Gumplacher Schulmeisters noch einmal vor ihm auf. Er wehrte es entrüstet ab. Aber was dann? Andreas vermochte auf diese Frage nur mit einem Seufzer zu antworten, und er hätte sich zweifellos seiner leichtsinnigen Untätigkeit aufs neue überlassen, wenn nicht eine kränkende Erfahrung ihn vollends aufgerüttelt hätte.

      Er betrat am selben Abend das Café Hurra früher als die anderen und das Haupt umso höher erhoben, je tiefer ihm der Mut stand. Er machte die Runde um das fast leere Lokal und begrüßte das Fräulein am Büffet. Es war eine fade Blondine, Andreas hatte noch nie das Bedürfnis gefühlt, einen Angriff auf sie auszuüben. Heute aber glaubte er dies seiner Würde schuldig zu sein. Kurz entschlossen legte ihr den Arm um die Hüften. Das Mädchen, das sich hierdurch nicht angesprochen fühlen mochte, verzog die die Mundwinkel in böse scharfe Falten, sie versetzte dem jungen Mann einen heftigen Stoß gegen die Schulter und sagte mit Nachdruck:

      „Jüngling, wie kommen Sie mir vor?“

      Andreas sah sie eine Sekunde lang an, er war außerordentlich blass geworden. Darauf pfiff er durch die Zähne, drehte sich auf den Absätzen um und verließ gemessenen Schrittes den Raum.

      Gleich den folgenden Morgen ging er zu Köpf, um sich mit ihm über seine nächsten Schritte zu beraten. Das Café Hurra war ebenso abgetan wie der Gumplacher Schulmeister. Wenn selbst jenes Mädchen, das ein halbes Jahr lang Zeuge seines vertrauten Umganges mit den Mitarbeitern der angesehensten Zeitungen gewesen war, ihm mit solcher empörenden Nichtachtung begegnen konnte, dann mutzte seine gesellschaftliche Stellung weniger glänzend sein, als er gewähnt hatte. Dies aber war dasjenige Bewusstsein, das er am wenigsten zu ertragen vermochte.

      Er musste in Köpfs Zimmer, in der unteren Dorotheenstraße, einige Zeit warten und bemerkte darin eine gewisse Wohlhabenheit. Der breite Schreibtisch von Mahagoni und der bequeme, mit roten Maroquin überzogene Lehnsessel wäre in keinem möblierten Zimmer anzutreffen gewesen. Die Wände wurden von hohen Büchergestellen verdeckt, angefüllt mit einem unglaublichen Plunder, vor dem Andreas staunend stand. Zerfetzte Pappbände und angefressene Lederrücken verbreiteten den Duft aller möglichen Trödlerbutiken. Eine alte Geschichte Ludwigs XIII. von Le Vassor füllte mit den Denkwürdigkeiten von Saint-Simon ein ganzes Fach. Weiterhin standen sogar die Kirchenväter. Andreas begriff nicht, welchen Zweck diese Dinge für jemand haben konnten, der Romane schrieb. Köpf beschäftigte sich, wie Libbenow wissen wollte, mit der Anfertigung von Romanen, die jedoch kein Mensch zu sehen bekam. Weiter wusste man von ihm schlechterdings nichts. Er erschien wöchentlich kaum einmal im Café Hurra, und dieser Umstand flößte Andreas in seiner jetzigen Lage Vertrauen ein, obwohl er es in letzter Zeit Köpf stark verdachte, dass er ihn überhaupt in jenen Kreis eingeführt habe.

      Es fragte sich jetzt nur, was er eigentlich von Köpf wollte. Andreas, den das Warten nervös machte, baute im Voraus einige schöne Sätze.

      „Sie haben an der Entwicklung eines Ihnen völlig Unbekannten gleich anfangs so


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