Ich möchte Dir ein Liebes schenken. Rainer Maria Rilke

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Ich möchte Dir ein Liebes schenken - Rainer Maria Rilke


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nicht, was das Leben war –,

      auf einmal war es nur Jahr und Jahr,

      nicht mehr gut, nicht mehr neu, nicht mehr wunderbar,

      wie mitten entzwei gerissen.

      Das war nicht Seine, nicht meine Schuld;

      wir hatten beide nichts als Geduld,

      aber der Tod hat keine.

      Ich sah ihn kommen (wie schlecht er kam),

      und ich schaute ihm zu wie er nahm und nahm:

      es war ja gar nicht das Meine.

      Was war denn das Meine; Meines, Mein?

      War mir nicht selbst mein Elendsein

      nur vom Schicksal geliehn?

      Das Schicksal will nicht nur das Glück,

      es will die Pein und das Schrein zurück

      und es kauft für alt den Ruin.

      Das Schicksal war da und erwarb für ein Nichts

      jeden Ausdruck meines Gesichts

      bis auf die Art zu gehn.

      Das war ein täglicher Ausverkauf

      und als ich leer war, gab es mich auf

      und ließ mich offen stehn.

      ZUM EINSCHLAFEN ZU SAGEN

      Ich möchte jemanden einsingen,

      bei jemandem sitzen und sein.

      Ich möchte Dich wiegen und kleinsingen

      und begleiten schlafaus und schlafein.

      Ich möchte der Einzige sein im Haus,

      der wüsste: die Nacht war kalt.

      Und möchte horchen herein und hinaus

      in Dich, in die Welt, in den Wald.

      Die Uhren rufen sich schlagend an,

      und man sieht der Zeit auf den Grund.

      Und unten geht noch ein fremder Mann

      und stört einen fremden Hund.

      Dahinter wird Stille. Ich habe groß

      die Augen auf Dich gelegt;

      und sie halten Dich sanft und lassen Dich los,

      wenn ein Ding sich im Dunkel bewegt.

      DIE STILLE

      Hörst Du, Geliebte, ich hebe die Hände –

      hörst Du: es rauscht …

      Welche Gebärde der Einsamen fände

      sich nicht von vielen Dingen belauscht?

      Hörst Du, Geliebte, ich schließe die Lider,

      und auch das ist Geräusch bis zu Dir.

      Hörst Du, Geliebte, ich hebe sie wieder …

      … aber warum bist Du nicht hier.

      Der Abdruck meiner kleinsten Bewegung

      bleibt in der seidenen Stille sichtbar;

      unvernichtbar drückt die geringste Erregung

      in den gespannten Vorhang der Ferne sich ein.

      Auf meinen Atemzügen heben und senken

      die Sterne sich.

      Zu meinen Lippen kommen die Düfte zur Tränke,

      und ich erkenne die Handgelenke

      entfernter Engel.

      Nur die ich denke: Dich

      seh ich nicht.

      DU WIRST NUR MIT DER TAT ERFASST

      Du wirst nur mit der Tat erfasst,

      mit Händen nur erhellt;

      ein jeder Sinn ist nur ein Gast

      und sehnt sich aus der Welt.

      Ersonnen ist ein jeder Sinn,

      man fühlt den feinen Saum darin

      und dass ihn einer spann:

      Du aber kommst und gibst Dich hin

      und fällst den Flüchtling an.

      Ich will nicht wissen, wo Du bist,

      sprich mir aus überall.

      Dein williger Evangelist

      verzeichnet alles und vergisst

      zu schauen nach dem Schall.

      Ich geh doch immer auf Dich zu

      mit meinem ganzen Gehn;

      denn wer bin ich und wer bist Du,

      wenn wir uns nicht verstehn?

      DAS VOLKSLIED

      Es legt dem Burschen auf die Stirne

      die Hand der Genius so lind,

      dass mit des Liedes Silberzwirne

      er seiner Liebsten Herz umspinnt.

      Da mag der Bursch sich süß erinnern,

      was aus der Mutter Mund ihm scholl,

      und mit dem Klang aus seinem Innern

      füllt er sich seine Fiedel voll.

      Die Liebe und der Heimat Schöne

      drückt ihm den Bogen in die Hand,

      und leise rieseln seine Töne

      wie Blütenregen in das Land.

      Und große Dichter, ruhmberauschte,

      dem schlichten Liede lauschen sie,

      so gläubig wie das Volk einst lauschte

      dem Gotteswort des Sinai.

      NEIN, ICH VERGESSE DICH NICHT

      Nein, ich vergesse Dich nicht,

      was ich auch werde,

      liebliches zeitiges Licht,

      Erstling der Erde.

      Alles, was Du versprachst,

      hat sie gehalten,

      seit Du das Herz mir erbrachst

      ohne Gewalten.

      Flüchtigste frühste Figur,

      die ich gewahrte:

      nur weil ich Stärke erfuhr,

      rühm ich das Zarte.

      GRAUE LIEBESSCHLANGEN

      Graue Liebesschlangen hab ich aus Deinen

      Achselhöhlen gescheucht. Wie auf heißen Steinen

      liegen sie jetzt auf mir und verdauen

      Lust-Klumpen

      LASS MICH NICHT AN DEINEN LIPPEN TRINKEN

      Lass mich nicht an Deinen Lippen trinken,

      denn an Munden trank ich mir Verzicht.

      Lass mich nicht in Deine Arme sinken,


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