Wohnt Gott im Gehirn?. Hans Goller

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Wohnt Gott im Gehirn? - Hans Goller


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oder Unsterbliches an ihm gibt. Wie sollte etwas Physisches wie die Chemie einer Droge das Bewusstsein verändern können? Das wäre so, wie wenn man mit Steinen auf Gott werfen könnte. Wenn Bewusstsein etwas ganz Natürliches ist, sagte Alper sich nun, dann geben uns die Naturwissenschaften eine Antwort auf alle unsere Fragen. Den Glauben, den er bisher auf Gott gerichtet hatte, richtete er jetzt auf die Naturwissenschaften. Er eignete sich einen naturalistischen Standpunkt an. Die Wissenschaft könne die Entstehung des Weltalls, des Lebens und des Menschen ohne Gott erklären. Sie werde auch das Rätsel der menschlichen Seele lösen. Es muss eine vernünftige Erklärung für alles geben. Alper gelangte zur Überzeugung, dass das Bewusstsein, von dem er früher annahm, es bilde seine transzendente Seele, nichts anderes ist als die Aktivität seines Gehirns.

      Zehn Jahre lang suchte Alper nach einer Antwort auf die Frage nach Gott in den Naturwissenschaften. Danach bemerkte er ernüchternd, dass die Wissenschaft ihn zwar von seiner psychischen Krankheit befreien und ihm das Universum verständlich machen konnte, aber eine Antwort auf die Frage nach dem Sinn seines Lebens konnte sie ihm nicht geben. Warum bin ich hier? Wozu bin ich hier?

      Bevor er seine Hoffnung blind auf den wissenschaftlichen Fortschritt setzen und sich ein Leben lang auf die Suche nach einer wissenschaftlichen Interpretation der Frage nach Gott begeben wollte, musste er klären, was Wissenschaft ist und wie sie funktioniert. Was ist Wirklichkeit und wie nehmen wir sie wahr? Wie ordnen wir die vielen Reize, die über die Sinnesorgane auf uns einströmen, räumlich und zeitlich? Alper argumentiert mit Kant, demzufolge Raum und Zeit Anschauungsformen unseres Verstandes sind, die wir unabhängig von und vor jeder Erfahrung besitzen. Diese spezifischen Weisen der Wahrnehmung sind angeboren. Sie sind die Art, wie unser Gehirn von Natur aus Informationen verarbeitet und wie wir die Realität interpretieren. Die alles entscheidende Frage betreffe deshalb die Art, wie wir Informationen verarbeiten. Die Antwort auf die Frage nach Gott sei nicht draußen im physischen Universum, sondern in uns, in unserem Gehirn, zu finden. Die Wissenschaft könne Gott nicht erfassen, wohl aber das Gehirn (vgl. Alper 2008, Book I).

      Der Glaube an Gott und an ein Leben nach dem Tod habe einen konkreten Ort im Gehirn. Alper nennt diesen Ort den „göttlichen“ Teil des Gehirns. In allen Religionen gebe es Taufriten, Initiationsriten für den Übergang von der Kindheit zum Erwachsenenalter, Heiratsriten, Bußriten, Sühneriten und Begräbnisriten. Wir Menschen seien von Natur aus dazu prädisponiert, an eine spirituelle Wirklichkeit zu glauben. Alper verweist auf Berichte des Psychiaters Arnold Sadwin über sehr religiöse Menschen, die infolge einer Kopfverletzung religiös indifferent wurden, und über areligiöse Menschen, die nach einer Kopfverletzung hyperreligiös wurden, zwanghaft zu Gott beteten und starke religiöse Gefühle und Bedürfnisse äußerten. Er zieht daraus den Schluss, dass der Glaube an Gott, an eine Seele und an ein Leben nach dem Tod das Produkt unserer kognitiven Evolution sei. Dieser Glaube sei den Anschauungsformen von Raum und Zeit ähnlich. Spiritualität sei ein genetisch bedingtes menschliches Merkmal, das sich evolutionär entwickelt habe, um unser Überleben zu sichern. Für die Entwicklung eines jeden Merkmals gebe es einen vernünftigen Grund. Jedes Merkmal diene dazu, die Überlebenschancen zu vergrößern. Das treffe auch auf die neurobiologischen Grundlagen unseres religiösen Bewusstseins zu. Nur der Mensch habe ein religiöses Bewusstsein entwickelt. Bei allen anderen Arten sei nämlich nichts von Begräbnisriten bekannt (vgl. Alper 2008, Book II, 7).

      Mit dem Homo sapiens sei ein Lebewesen entstanden, das sich seiner selbst bewusst wurde. Wer bin ich? Warum und wozu gibt es mich? Werde ich einmal nicht mehr sein? Der Mensch hat vom Baum des Bewusstseins gegessen. Mit dem Bewusstsein um die eigene Existenz sei auch das Bewusstsein um den eigenen Tod entstanden. Wir wissen nicht nur, dass wir sterben müssen, wir wissen auch, dass der Tod uns jeden Augenblick ereilen kann. Verglichen mit der Situation der primitiven Menschen habe sich daran trotz aller Technik und trotz allen Fortschritts in der Medizin nicht viel geändert. Wir leben mit dem sicheren Wissen um unseren bevorstehenden Tod. Diesem Feind können wir weder entkommen noch können wir ihn besiegen. Ebenso stark wie die Angst vor dem eigenen Tod sei die Angst, jene zu verlieren, die wir lieben. Angesichts des unausweichlichen Todes sei das Leben von existenzieller Sinnlosigkeit. Unser Kampf um das Überleben werde zu einer Übung der Vergeblichkeit. Warum heute kämpfen, wenn wir morgen nicht mehr sind? Unter solchen Bedingungen traf das motivierende Prinzip der Selbsterhaltung, welches das Leben Milliarden von Jahren erhalten hatte, auf unsere Art nicht mehr zu. Was konnte diese schmerzliche und hoffnungslose Situation des Menschen erleichtern? Wenn das menschliche Gehirn sich aufgrund natürlicher Selektion entwickelt habe, dann müsse auch der religiöse Glaube durch denselben Mechanismus entstanden sein. Das Wissen um die eigene Existenz und Nicht-Existenz habe zu einer kognitiven Revolution geführt. Die Natur habe die kognitiven Fähigkeiten derart verändert, dass der Mensch trotz seines Wissens um den eigenen Tod in der Lage sei, zu überleben. Ein neuer Selektionsdruck von innen, aus dem eigenen Gehirn, sei entstanden. Der Mensch musste sich an diese neue innere Umwelt anpassen. Wären die selbstbewussteren Individuen unserer Art verschwunden und hätten nur die weniger todesbewussten Exemplare überlebt, dann hätte die Evolution den Menschen dadurch in einen weniger bewussten Zustand zurückversetzt. Es bedurfte einer neuen Strategie, um den Menschen von seinem lähmenden Wissen um den eigenen Tod zu befreien, ohne dabei seine Intelligenz zu opfern. Welche Individuen überlebten? Es waren jene, deren Gehirn eine genetische Mutation aufwies und denen es deshalb am besten gelang, die aus dem Wissen um den eigenen Tod resultierende Angst zu bewältigen. Diese vorteilhafte Anpassung gaben sie an ihre Nachkommen weiter. Damit entstand die religiöse Funktion, und sie änderte die Art und Weise, wie die Menschen die Wirklichkeit wahrnahmen. Das menschliche Gehirn habe nicht nur eine musikalische, eine linguistische und eine mathematische, sondern auch eine spirituelle Intelligenz entwickelt. Das Gewahrwerden des eigenen unausweichlichen Todes habe einen derart starken Druck auf die Gehirnentwicklung ausgeübt, dass die Natur jene Individuen selektierte, die den Glauben an eine transzendente Wirklichkeit, die den physischen Bereich übersteigt, entwickelten. Der Glaube an die Unsterblichkeit der Seele habe sie weitgehend von der Angst vor dem ewigen Tod befreit, und mithilfe des religiösen Bewusstseins konnten sie ihr Leben einigermaßen in Ruhe fortsetzen.

      Das religiöse Bewusstsein habe für den Menschen eine wichtige Funktion, sonst hätte die Natur es nicht selektiert. Sinn und Zweck der Religion sei es, die Angst des Menschen vor dem Tod zu vermindern. Alper nennt das religiöse Bewusstsein eine Notlüge der Natur, einen natürlichen Abwehrmechanismus gegenüber dem Wissen um den eigenen unausweichlichen Tod. Gott sei keine transzendente Macht, die jenseits und unabhängig von uns existiert, sondern ein Bewältigungsmechanismus, der in Form eines kognitiven Phantoms erscheint, das im Inneren des Gehirns erzeugt wird (vgl. Alper 2008, Book II, 8).

      Wir Menschen sind nach Alper so konstruiert, dass wir durch Tätigkeiten wie Meditieren, Beten, Singen, Yoga, Tanzen und durch religiöse Rituale bestimmte Erlebnisse herbeiführen. Alle Kulturen kennen religiöse Erlebnisse wie das Gefühl der Einheit, der Zeitlosigkeit, der Grenzenlosigkeit, der Heiligkeit, der Ekstase, der Wonne und des tiefen Friedens. Alper nennt außergewöhnliche spirituelle und mystische Erlebnisse, wie den Verlust des Selbstbewusstseins, die Aufhebung der Ich-Grenzen, ein Gefühl der Raum- und Zeitlosigkeit, des tiefen Friedens und der Euphorie. Während derartiger Erlebnisse ziehe der Mensch sich in einen veränderten Zustand zurück, in dem er zwischen Innenwelt und Außenwelt nicht mehr unterscheiden könne. Er fühle sich dann eins mit dem gesamten Universum. Die Tatsache, dass in so vielen Kulturen derartige Erlebnisse mit ähnlichen Worten beschrieben werden, deute darauf hin, dass es sich hier um ein kulturübergreifendes Phänomen, um ein genetisch vermitteltes Merkmal, handelt. Religiöse Erlebnisse werden durch neurophysiologische Mechanismen in unserem Gehirn erzeugt, und man könne sie neurobiologisch erklären.

      Der Mensch habe die Tendenz, religiöse Erlebnisse als Beweis für eine göttliche oder transzendente Wirklichkeit zu betrachten. Forschungsergebnisse aus den Neurowissenschaften widersprechen jedoch dieser Deutung. Sie zeigen, dass religiöse Erlebnisse mit bestimmten neuronalen Aktivitäten einhergehen. Diese Erlebnisse seien weder die Folge eines Kontaktes mit dem Göttlichen noch ein Beweis für die


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