Fremde in der Nacht. Barbara Sichtermann

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Fremde in der Nacht - Barbara Sichtermann


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fragte nichts; wenn Almut spät nach Hause kam. Ich beobachtete sie, wenn wir miteinander schliefen. War sie wie sonst? Es schien mir so, aber man weiß ja nie. Schließlich vertraute ich mich Leo an. Der rieb sich die Nase. »Du musst sie drauf ansprechen«, sagte er. »Sie erwartet das. Los, Hahn.«

      Ich fasste mir ein Herz, eines Abends, kurz vorm Zubettgehn.

      »Hast du noch was mit Ralph?«

      »Nein, aber Hagen, was denkst du.«

      »Sag nicht, dass es abwegig wäre.«

      »Du weißt, was wir gemacht haben. Ralph und ich waren nie... nie allein im Schlafzimmer.«

      »Ach.«

      »Wirklich - nie.«

      Sie schnitt sich die Fußnägel. Ich guckte weg. Wie war das gemeint? Was hatte die Rückkehr dieses Burschen zu bedeuten? Es musste was zu tun haben, dämmerte mir, mit »weiblichem Exhibitionismus«.

      Da erhob sie sich und ging ein paarmal zwischen Frisiertisch und Fenster hin und her. Ihre schmale Gestalt war in einen Morgenrock aus gelber Seide gehüllt, der gut zu ihren braunen Haaren passte. Am Fenster blieb sie schließlich stehen, äugte kurz fast furchtsam zu mir rüber und sagte dann mit Festigkeit:

      »Hagen, es ist alles zurückgekommen.«

      Gleich darauf verlor sie die Fassung und sank, die Hände vorm Gesicht, aufs Bett, auf den mauvefarbenen Satinüberwurf, den sie selbst hatte anfertigen lassen. Ich fragte dumm, aber zart:

      »Was ist zurückgekommen?«

      Es war die richtige Frage gewesen. Sie hob ihr Gesicht. Und beichtete, stockend und leise, dass ihr Anderssein leider nur vorübergehend, in Paris und noch einige Zeit danach, von ihr gewichen sei. Inzwischen aber sei das alte Verlangen wieder da, und wenn sie und ich miteinander ins Bett gingen, wünschte sie sich leidenschaftlich, dass ein Zuschauer unsere Freuden teile.

      Schweigen kehrte ein. Es dauerte minutenlang. Schließlich seufzte ich:

      »Wie ich diesen Schuh reparieren soll, weiß ich wirklich nicht.«

      Almut war mir dankbar für den kleinen Scherz. Sie fasste Mut weiterzusprechen. In ihrem Unglück, sagte sie, habe sie noch einmal beim Sex-Krisentelefon angerufen. Diesmal sei eine andere Beraterin dran gewesen, aber auch von dieser Dame habe sie sich gleich verstanden gefühlt. Als erstes, sagte die Krisenfrau, reden Sie mit Ihrem Mann. Schenken Sie ihm reinen Wein ein. Und bitten Sie ihn, darüber nachzudenken, ob es denn gar so unvorstellbar sei, dass er auf Ihre Wünsche einginge... Zumal ein passender Dritter, erprobt und diskret, schon zur Verfügung stehe...

      »Ich frage dich also jetzt, Hagen«, sagte sie mit zitternder Stimme und griff nach der Flasche mit Himbeergeist, die sie immer auf ihrem Frisiertisch stehen hatte, »ob es für dich völlig unvorstellbar ist...«

      Plötzlich erschien mir die Ehe als eine komplizierte Verantwortung, die mich restlos überforderte. Ich hatte eine Frau geheiratet, die »anders« war, und war wohl jetzt, als ihr Ehemann, dazu verpflichtet, die Konsequenzen zu tragen. Bedrückt akzeptierte ich einen Himbeergeist. Mit dem kleinen Feuer in der Kehle fühlte ich mich stärker. Fühlte mich gleichwohl wie in der Klinik nach der Diagnose: Ist eine Operation unumgänglich, Herr Doktor, oder kann man mit Medikamenten was ausrichten?

      Meine Frau war für die »Operation«, sie erläuterte mir in ziemlicher Verlegenheit, dass sie darauf aus sei, mit mir im Beisein ihres Freundes Ralph zu schlafen und betonte - sie hatte eine mir bis dahin unbekannte schnurrend-tonlose Weichheit in der Stimme - dass auch auf mich bei einem solchen Beisammensein überraschende Wonnen warteten.

      Der Vorgeschmack, oje, war äußerst bitter.

      Ich war zu guter Letzt gegen Lennart Miller ausgetauscht worden, war der arme Dussel, der diesen Freak ersetzen sollte, und ich warf ihr das wörtlich so hin. Sie antwortete: »Aber nein. Überhaupt nicht.« Mir habe sie ihr Herz geschenkt. Dann genehmigte sie sich noch einen Himbeergeist und sagte, von einem Hustenanfall unterbrochen, denn sie war zu erregt, um ordentlich schlucken zu können:

      »Da gibt’s noch was... ähm ... Was ich mir am meisten wünsche, ist - dass du... - «

      »?«

      »... dass du zuguckst...«

      Ich guckte lange regungslos in ihr Gesicht. Es war schön. Die pechschwarzen Brauen spannten sich wie Vogelschwingen durch diese Landschaft aus heckenrosenfarbenen Pastelltönen. Ihre Augen blickten friedfertig und wie stets ein wenig bittend. Nur ihr Mund verriet, dass sie eben etwas Unerhörtes gesagt hatte, denn sie hielt ihn jetzt fest geschlossen, und das Verzeihung heischende Lächeln, das sie darüberzubreiten versuchte, passte nicht zu dieser festen Geschlossenheit. Schließlich produzierte sie einen regelrechten Hustenanfall, mit Tränen, und wollte mir weismachen, sie habe sich erneut am Himbeergeist verschluckt. Es war aber nur die Bodenlosigkeit ihres Mutwillens, die ihr zusetzte.

      »Du möchtest, dass ich...«

      »Ja, dass du zuguckst -«

      »Während du...«

      »Ja, während ich es mit Ralph tue.«

      Ich bin ein Spießer! - das war das einzige, was ich denken konnte, ein elender Spießer mit lächerlichen Durchschnittsneigungen, der froh sein kann, überhaupt ein Mädchen abgekriegt zu haben; und nun noch eine Exhibitionistin, das ist natürlich etwas ganz Phantastisches, danach lecken sich die Kerls die Finger. Ich habe das große Los gezogen und kann mich nicht dran freuen. Erbarmen! Diese Krisentelefon-Tanten sind ja wohl nicht ganz dicht. Und ich muss jetzt dafür zahlen. Kurz und verzweifelt dachte ich an Scheidung, dann an das »Crystal« und den Jardin de Luxembourg. Almut setzte sich auf die Sessellehne, ließ gelbe Seide auf mein Knie fallen und sprach leise, von kleinen Obstbrandschlucken unterbrochene Worte zu mir. Ich sei ihr von Anfang an so unkonventionell, irgendwie meinerseits »anders« und frei im Geiste vorgekommen, und so sei sie sicher gewesen, ich hätte für alles Verständnis. Irrtümer gibt’s, dachte ich, die sind so kurios, dass es schon nicht mehr drauf ankommt.

      Ich blättere noch ein bisschen in Ascanio Schneiders und Armin Mases Meisterwerk und beschließe, den Schutzumschlag zu erneuern. Vorn im Innendeckel steht der Name des Vorbesitzers: Lothar Schick. Diesen Mann und mich verbindet das Eisenbahnhobby - und sonst nicht viel. Ich lernte ihn bei Flebbe kennen, dem bestsortierten Modellbahn-Fachgeschäft von ganz Berlin, im Wedding gelegen. Er hat mir die »Katastrophen auf Schienen« geliehen und später geschenkt. Ich fahre Spur N, die ja schon zierlich genug ist, es ist die zweitkleinste Größe. Lothar aber ist der totale Pinzettentyp, verfitzelt und pedantisch. Er macht’s mit Spur Z, die so winzig ist, dass man, wie Flebbe sagt, beim Einatmen aufpassen muss. Der mikroskopische Zuschnitt seiner Anlage mag der Grund dafür sein, dass Lothar nach seinen Bastelstunden regelmäßig völlig erschöpft ist - und deshalb auf die Idee kam, sein Hobby als »Sport« zu bezeichnen. Sport! Ich sage einfach: Passion. Das altmodische Wort Steckenpferd fände ich gar nicht so falsch, obwohl es etwas ungut Verniedlichendes hat. Aber es weist auf die Fortbewegung hin, um die es ja geht. Und was seit Menschengedenken dazugehört, ist der Unfall. Zur Zeit der Pferdekutschen war’s noch nicht ganz so dramatisch. Aber seit die Gewalt des Dampfes fürs Vorankommen genutzt wurde, seit ferner die Geschwindigkeit, mit der die motorisierten Menschen sich ins Gelände hineinwerfen, nicht mehr mit natürlicher Kraft zu zügeln ist, folgt das Verhängnis des Unfalls dem Fortschritt des Verkehrs wie ein blutiger Schatten.

      Nun kann man mit der Modellbahn nicht verunglücken, es sei denn, man ist ein Modell-Lokführer. Die Katastrophe hat für uns Modellbahner eine eher spirituelle Bedeutung - und mit Sport hat das Ganze nichts zu tun, weder die funktionierende, noch die aus den Gleisen hüpfende Bahn. Ich streite nicht mit Lothar über diesen Punkt. Ich lache ihn nur aus. Und gucke ihn von der Seite an. Denn er ist ziemlich


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