Harry Piel sitzt am Nil. Gerhard Henschel

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Harry Piel sitzt am Nil - Gerhard Henschel


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Innenministerium eine Polizeiverordnung, in der es hieß: »Frauen dürfen öffentlich nur baden, falls sie einen Badeanzug tragen, der Brust und Leib an der Vorderseite des Oberkörpers vollständig bedeckt, unter den Armen fest anliegt sowie mit angeschnittenen Beinen und einem Zwickel versehen ist. Der Rückenausschnitt des Badeanzugs darf nicht über das untere Ende der Schulterblätter hinausgehen.«

      Dieser »Zwickelerlaß« rief viel Spott hervor, doch man ahnte noch nichts vom Stringtanga. In dem Verbot des Burkini genannten Ganzkörperbadeanzugs, das im Sommer 2016 an zahlreichen französischen Stränden vorübergehend in Kraft getreten war, kann man wiederum ein Zeichen wachsender Intoleranz erkennen. Gerechtfertigt wurde das Verbot mit der Begründung, daß es sich beim Burkini um »ostentative Kleidung« handele, »die auf eine Zugehörigkeit zu terroristischen Bewegungen hinweist, die gegen uns Krieg führen«.

      Frauen das Baden zu verbieten und sie zu Verbrecherinnen zu erklären, weil sie ihre Beine nicht zeigen – ist das des freien Westens würdig?

       *

      In der Mitte des 19. Jahrhunderts wandelte sich die französische Poesie: »Der bisherige Wortschatz wird physischer als bisher benutzt und scatologische, sexuelle, anatomische sowie pathologische Begriffe erweitern den bisherigen lexikalischen Fundus« (Anja Schonlau, »Syphilis in der Literatur«, Würzburg 2005). Dagegen regte sich natürlich Widerstand. Als im Juni 1857 Baudelaires Gedichtband »Die Blumen des Bösen« erschienen war, griff der Journalist Gustave Bourdin den Dichter im Figaro scharf an: »Hier findet man das Niedrige Seite an Seite mit dem Widrigen, das Abstoßende im Verein mit dem Ekelerregenden. Noch nie hat man auf so wenigen Seiten in soviel Brüste beißen und sie gar zerkauen sehen; noch nie hat man einer solchen Heerschau von Dämonen, Fötussen, Teufeln, Chlorosen, Katzen und Gewürm beigewohnt. Dieses Buch ist ein Siechenhaus, das allen Narrheiten des Geistes, allen Fäulnissen des Herzens offensteht; wenn es noch geschähe, um sie zu heilen, aber sie sind unheilbar.«

      Baudelaire war entsetzt. Seinem Verleger Auguste Poulet-Malassis schrieb er:

      Verstecken Sie schnell die ganze Auflage, aber verstecken Sie sie gut; es müssen noch 900 Exemplare in Bogen bei Ihnen liegen. – Bei Lanier befanden sich noch 100; die Herren waren offenbar baß erstaunt, weil ich 50 davon retten wollte. Ich habe sie in Sicherheit gebracht und den Empfang bescheinigt. Bleiben also 50 für die Gefräßigkeit des Zerberus Justiz.

      Das hat man davon, wenn man dem FIGARO Belegexemplare schickt!!!

      Es kam zum Prozeß. Sechs der Gedichte, erklärte der Staatsanwalt Ernest Pinard, der im selben Jahr schon vergeblich versucht hatte, ein Verbot des Romans »Madame Bovary« zu erwirken, verletzten die öffentliche Moral. Dazu gehöre das Gedicht »Les Métamorphoses du Vampire«. In der ersten Strophe windet sich – in der Prosaübertragung von Friedhelm Kemp – ein Weib »wie eine Schlange auf der Glut«, preßt »seine Brüste über dem Gestänge des Mieders« und preist die eigene Erfahrenheit »in allen Lüsten«, woraufhin der Liebhaber, nach vollzogenem Geschlechtsakt, in der zweiten Strophe schaudernd zurückweicht:

      Als sie mir aus den Knochen alles Mark gesogen und ich ermattet mich zu ihr wandte, einen Liebeskuß ihr zu erwidern, sah ich nur einen Schlauch noch, mit verklebten Flanken, ganz von Eiter angefüllt! Ich drückte in kaltem Grauen beide Augen zu, und als ich in der Helle des lebendigen Lichtes sie wieder aufschlug, lagen da anstatt des mächtigen Gliederbalges, der sich mit Blut so reichlich vollgepumpt zu haben schien, zur Seite rasselnd mir nur des Gerippes Reste, die das Kreischen einer Wetterfahne hören ließen und solchen Schildes, wie es an einer Eisenstange im Wind der Winternächte schaukelt.

      »Glauben Sie ernstlich«, fragte Pinard, »daß man alles sagen, alles schildern, alles entblößen darf, wenn man nur anschließend von dem Ekel spricht, den die Ausschweifung erzeugt, und wenn man die Krankheiten beschreibt, die ihre Strafe sind?«

      Das Menschenrecht, die Wollust zu besingen, den Ehebruch zu feiern, Morbides zu dichten, Gott zu lästern und sich überhaupt amoralisch zu äußern, war noch nirgendwo verbrieft. Baudelaires Verteidiger blieb gar nichts anderes übrig, als seinen Mandanten von allen Vorwürfen reinzuwaschen und ihn zum Herold der christlichen Sexualethik zu stilisieren, der seine Leser zur Tugendhaftigkeit erziehen wolle. Er zeige zwar das Laster, so lautete das Argument, »aber er zeigt es Ihnen als verabscheuungswürdig; er schildert es Ihnen in abstoßenden Farben, weil er es verabscheut und weil er Abscheu davor wecken will, weil er es haßt und weil er Haß dagegen einflößen will, weil es es verachtet und weil er will, daß Sie es verachten.«

      Doch es half nichts: Baudelaire und sein Verleger wurden zu einer Geldbuße und zur Erstattung der Gerichtskosten verurteilt, und die Druckplatten der sechs Gedichte mußten vernichtet werden.

      Auf die Nachwelt sind sie trotzdem gelangt.

       *

      1870 wurde Moritz Schauenburg von der Staatsanwaltschaft vor dem Badischen Kreis- und Hofgericht »wegen durch die Presse verübter Herabwürdigung der Religion und Erregung öffentlichen Ärgernisses durch unzüchtige Schriften« angeklagt, weil in seinem Verlag Wilhelm Buschs Bildergeschichte »Der heilige Antonius von Padua« erschienen war. Unzüchtig seien die Zeichnungen, in denen sich der Heilige fleischlichen Versuchungen ausgesetzt sieht, und eine Herabwürdigung der Religion sei in dem Umstand zu erkennen, daß er am Ende gemeinsam mit einem Wildschwein gen Himmel auffährt und von der Jungfrau Maria mit der Bemerkung empfangen wird: »Willkommen! Gehet ein in Frieden! / Hier wird kein Freund vom Freund geschieden. / Es kommt so manches Schaf herein, / Warum nicht auch ein braves Schwein!!«

      »Das Heilige, welches allen christlichen Religionen gemeinsam, ist nirgends berührt oder angetastet worden«, stellte Busch fest, und er bestritt, bei der Darstellung der Schönheiten, die seinen Antonius umgarnen, die Grenze zum Anstößigen überschritten zu haben: »Das Lächerliche und Wollüstige sind geradezu Gegensätze, und es zeigt sich die Übertriebenheit der Anklage darin, daß sie etwas Tadelnswerthes mit Gewalt finden und an den Haaren herbeiziehen will.« Und in der Tat gibt es da nichts Gravierendes zu sehen. Schauenburg, dem drei Monate Gefängnis gedroht hatten, wurde im Jahr darauf freigesprochen; in Preußen und in Hessen blieb das Buch jedoch noch jahrelang verboten und in der Steiermark sogar bis 1929.

      1881 äußerte der Busch sonst gewogene Publizist Friedrich Theodor Vischer in einem Aufsatz über moderne Karikatur sich sehr geringschätzig über »Der heilige Antonius von Padua« und besonders über den darin als Balletdame figurierenden Teufel: Busch habe sich in dieser Bildergeschichte »als ganz gewandter Zeichner« entpuppt, »und zwar im Pornographischen«, was Vischer genauer begründete:

      Unter Pornographie verstanden die Alten, wie man weiß, schamlose Wollustbilder. Das Wort kann auch in weiterem Sinn genommen werden; es brauchen nicht flagrante Momente dargestellt zu sein, und man kann ein Bild doch pornographisch nennen. Es gibt einen pornographischen Strich; es ist eine Art, weibliche Formen, Bewegungen, Mienen zu zeichnen, die sehr verständlich ist; dieser Strich ist nicht deutsch; wer auch nur Journal amusant angesehen, kennt ihn und versteht, was ich meine; die Deutschen haben ihn in der modernen Zeit von den Franzosen gelernt, besonders gelehrig haben sich die Wiener in ihren illustrirten Blätten erwiesen.

      Wilhelm Busch als Pornograph? Wer die harmlosen Zeichnungen betrachtet, wird Mühe haben, darin einen »pornographischen Strich« zu erkennen, aber Vischer war sich seiner Sache sicher:

      Die beißende Satyre kann unter Umständen Bilder des Frechen, des Liederlichen nicht entbehren; niemals aber wird sie dieselben so behandeln, daß der geringste Schein entsteht, als wolle sie dadurch gefallen und vergnügen. – Gröber und gründlich eckelhaft sieht man denselben Strich walten in der Art, wie in den genannten Scenen der Bart des h. Antonius behandelt ist. Davon kein Wort weiter!

      Hier könnte Vischer sich darauf bezogen haben, daß der Bart des Antonius entfernt einem Hodensack ähnelt, doch es ist zweifelhaft, ob Busch das beabsichtigt hat.

      Ein Jammer, daß es Vischer verwehrt blieb, einen Blick in die amerikanischen Undergroundcomics des 20. Jahrhunderts zu werfen. Wie wundervoll hätte er


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