Paul Schneider – Der Prediger von Buchenwald. Margarete Schneider

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Paul Schneider – Der Prediger von Buchenwald - Margarete Schneider


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niedergeschlagen. Es gibt hier eine Gegend in der Nähe, Heide, Moor und Birkenbäume in der Nähe des »Hellweges«, einer uralten Straße von Dortmund über Soest nach Osten führend; in dieser Gegend sehen die Bauern hell, und da sehen sie nun schon seit Jahren in einem Talgrund auf- und abziehende Marschkolonnen und Reiter, und aus diesen Gesichten der Bauern und Schäfer hat sich die Sage der letzten Schlacht am Birkenbaum als eine Lieblingssage des Westfalenlandes gesponnen. Das Volk meint auch, sie werde buchstäblich so eintreffen; aber vielleicht ist das, was an der Ruhr vorgeht, schon die letzte Schlacht am Birkenbaum, und die Sage ist nur Ausdruck des Kampftrutzes, der auch dem Feind im eigenen Land die Stirn bietet und Not und Entbehrung dieses Krieges im eigenen Land stellvertretend für die anderen auf sich nimmt. Sicherlich wird auch zur endgültigen Durchfechtung dieses wirtschaftlichen Riesenkampfes die Opferkraft unseres ganzen Volkes noch auf eine furchtbar harte Probe gestellt werden … Was jetzt schon im Einbruchsgebiet geduldet wird und wie man sich wehrt, das lest Ihr ja im Schwabenland genauso wie wir. Es ist doch so eine Art Neugeburt, die sich in weiten Teilen unseres Volkes vollzieht, ein mächtiges Brausen geht durch die Lande.«

      Paul hofft auf einen sozialen Staat als Frucht der Leiden des Ruhrkampfes: »Dieses Leiden legt sich bei der starken Solidarität unserer Arbeiter über die ganze deutsche Arbeiterschaft, schmilzt sie nur umso fester zusammen und wird Deutschland zu einem Arbeitsstaate, und das ist dann der soziale Staat, umschaffen. Wer die Kräfte zu diesem Arbeitswillen allein geben kann, ist klar, und so wird dieser soziale Staat viel mehr von den Kräften des Christentums durchdrungen sein müssen, als es bisher eine Volksgemeinschaft gewesen ist« (Brief vom Februar 1923 an die Schwiegermutter Marie Dieterich). – »Ein dunkler Schatten liegt ja wie über unser aller Leben, so ganz besonders über Deinem Lebensabend, lieber Vater 57: die Not des Vaterlandes; seine seelische Not, die es in dem Stürmen und Brechen der Tage den haltenden Anker noch nicht hat finden lassen. Darum muss die Not vorläufig noch immer höher steigen. Und ob nicht das Deutsche Reich darüber zerbricht? Es berührt einen heute ganz eigen, wenn man sieht, wie die großen Propheten des Alten Testaments der fast völligen Vernichtung ihres Volkes so kalt und entschlossen ins Auge sehen. Gottes Reich über alles. Auch das deutsche Volk nur sein Werkzeug, das er sich für seine Zwecke zubereitet, wie er immer will, das auch nur ein zeitliches, vergängliches, bedingtes Zwischenglied sein kann auf dem Wege zu dem Ziele ›Da er sein Reich groß machen wird und des Friedens auf dem Throne Davids kein Ende und in seinem Königreich‹58. Nein, die tiefste Freude, die Freude in Gott soll auch kein noch so schweres Geschick des Vaterlandes uns rauben dürfen und können, uns, die wir nicht sehen auf das, was sichtbar, sondern was unsichtbar ist. Denn was sichtbar ist, das ist zeitlich, was aber unsichtbar ist, das ist ewig.59 Und wenn es schon den alten Propheten nicht bange wurde, die doch nur auf Hoffnung lebten, die das Heil noch nicht gesehen hatten, wenn sie die Heilshoffnung schon höher achteten als Ruhm und Ehre und Glück ihres Volkes, wie sollte uns bangen, denen das Heil gegeben und versiegelt ist und die wir wissen, dass alles, was nun noch kommt, nur der vollendete Ablauf der Heilsgeschichte ist? Gewiss, wir leben noch in dieser Welt und mit diesem unserem leidenden Volke und teilen auch seine Leiden. Aber wir haben Auftrag und Beruf aus einer anderen Welt, und dort ist unser Bürgerrecht 60. Und wir wissen, diese Welt wird trotz allem einmal siegen, deshalb sind wir fröhlich in Trübsal«61 (Brief vom 11. Juli 1923 an den Schwiegervater Karl Dieterich).

      Die Briefe an die Eltern Dieterich hatten keineswegs nur politischen oder theologischen Inhalt. Der künftige Schwiegersohn hatte offenbar auch Grund, Gretel vor dem pastoralpädagogischen Eifer ihrer Eltern zu bewahren. Diese fühlten die Verpflichtung, ihrer unverbildet natürlich-vitalen Tochter, damit sie eine rechte Pfarrfrau werde, noch allerhand vorbereitende Erziehungsmaßnahmen angedeihen zu lassen. Ihre Mutter, so berichtete M. S., pflegte damals zu ihr zu sagen: »Du unkultiviertes Frauenzimmer«. Dagegen verteidigte sie aus der Ferne ihr Liebster: »Wollt ihr denn wirklich Gretel noch ›dressieren‹? Ich meine, sie passt so gut schon, nicht zu mir – da ist sie schon viel zu gut –, sondern auch zur Pfarrfrau. Fremdes Wesen, was nicht zu ihr passt, wird und soll sie sich doch niemals aneignen. So kann sie doch höchstens in der Weiterbildung des ihr Eigentümlichen ohne Mache und Zwang noch wachsen, und dann muss ihr Herz freudig zu allem Ja sagen dürfen, was noch zu tun bleibt … Will sie noch lernen, so lasst sie doch dahin gehen, wo sie kranke Menschen gesund pflegen darf. Die Diakonissenhäuser rufen ja nach Hilfe … Aber vorläufig ist ja die arme kranke Tante da, und was wäre nächstliegender, als dass Gretel hier so lang hilft, als ihr irgend möglich.«62

      Gretel war dann vier Monate als freiwillige Schwesternhelferin im Krankenhaus in Calw, wo man ihr auch schwere Aufgaben wie Assistenz bei der Operation oder Sterbebegleitung anvertraut hat. Daraufhin hat sie in verschiedenen Familien als Haushaltshilfe gedient.

      Ende Oktober 1923 legte Paul in Koblenz das zweite theologische Examen ab. »Meine wissenschaftliche Hausarbeit: ›Was ist von dem Begriff der Heilstatsachen zu halten?‹ hatte mich diese Frage ganz im positiven Sinn beantworten lassen … Die Arbeit half mir sehr zur theologischen Klärung des eigenen Standpunktes. Du weißt, ich musste mich von dem liberalen Standpunkt dahin durchfinden« (Brief).

      In seiner Hausarbeit zum Thema »Was ist von dem Begriff der Heilstatsachen zu halten?«, die der Kandidat Schneider im Sommer 1923 geschrieben hat, setzt er sich mit dem Theologen Friedrich Daniel Ernst Schleiermacher (1768–1834) auseinander, den er als Begründer jener liberalen Theologie versteht, die »alles Gewicht auf die Erforschung des menschlichen Lebens Jesu« lege. »Die absoluten Heilstatsachen, Kreuz und Auferstehung als Krönung der Heilsgeschichte«, würden dabei wenig in den Mittelpunkt gestellt. »Sein [Schleiermachers] Ausgangspunkt bleibt das menschliche Selbstbewusstsein. Sein Gottesglaube bleibt in einem Gottesbewusstsein stecken. Ein Erlösungswerk Gottes im eigentlichen Sinn kennt Schleiermacher nicht, er braucht es auch nicht, da sich ihm die Sünde ebenfalls in menschliche Bewusstseinsvorgänge auflöst.« Ganz anders sieht P. S. die »positive« oder »kirchliche« Theologie, die er nun, in Soest, bevorzugt. Er nimmt – im Sinn dieser »positiven« Theologie – die Sünde des Menschen ernst. Von daher wird ihm neu der Glaube an den Gott, der sich in seinen Heilstaten, im Kreuzestod Jesu und in seiner Auferweckung offenbart hat, wesentlich. Diese »Theologie der Heilstatsachen« findet er besonders bei dem Theologen Friedrich August Gottreu Tholuck (1799–1877), dem bedeutenden Professor und Studentenseelsorger in Halle. Deutlich ist im Blick auf die Entwicklung P. S.s, dass er sich in Soest, unter dem Einfluss Schlatters und Tholucks, von einem eher liberalen Theologen mehr zum Anhänger einer »positiven« oder, wie er es nennt, »kirchlichen« Theologie gewandelt hat.

      »Die praktisch-wissenschaftliche Arbeit hieß: ›Religions- und Moralunterricht‹. Da war ich in meinem Element. Ich stellte zwei Leitthesen auf! Religionsunterricht kein Moralunterricht und kein Religionsunterricht ohne Gesetzesunterweisung« (Brief).

      Zum Abschluss der Soester Zeit63 möchte ich das Wort eines der Soester Freunde bringen. Er schrieb nach Pauls Tod: »Paul war in unserem Kreis ein Eigenartiger. Wir haben uns alle von ihm hie und da gefallen lassen, was wir uns wohl von keinem andern hätten gefallen lassen. Bei ihm war das anders, weil die Lauterkeit seiner Gesinnung uns über allem Zweifel stand. Wir haben ihm nicht immer alle folgen können, er war einer von denen, die nicht anders können als eigene, auch einsame Wege gehen, aber er hat sicher uns alle in einer heilsamen Unruhe gehalten.«

      Aus Soest »flüchtete« Paul mit der letzten billigen Fahrgelegenheit in den »Berliner Osten«, um in der Stadtmission mitzuarbeiten. »Von Soest schrieb ich noch meinem Vater, dass ich unsere Kirche liebhabe, und fühlte doch zugleich die innere Notwendigkeit, außerhalb ihrer schützenden und stützenden Mauern das Wachsen und Werden des Reiches Gottes kennenzulernen und draußen in freiem Arbeiten für den Herrn innerlich zu erstarken und freier zu werden von jeder fleischlichen Liebe zur Kirche und zur Arbeit in derselben. Du kannst diesen meinen Wunsch begreifen.« – »So bin ich nicht von ungefähr gerade in den Schnepelschen Kreis geraten, der einst in Notzeit, um die Stadtmission zu entlasten, sich finanziell von ihr freigemacht hatte und seit der Zeit auch in äußerer Beziehung, in Sachen des täglichen Brotes, alles nicht mehr auf den Mittelsweg einer Organisation, sondern unmittelbar von dem lebendigen Herrn erwartet, ohne dass sich der Einzelne an ein bestimmtes Gehalt bindet.« »Dass die Auseinandersetzung mit einer Frömmigkeit, deren Ansprüche über


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