Seewölfe - Piraten der Weltmeere 112. Fred McMason
Читать онлайн книгу.einer toten Besatzung über die Meere zu segeln.
„Das ist das Schiff, das wir suchen“, sagte Hasard zu der Chinesin, die klein, zierlich und zerbrechlich auf dem Deck stand.
„Ich freue mich, daß der hohe Herr es gefunden hat“, sagte sie mit einem freundlichen Lächeln.
Hasard konnte ihr den Ausdruck „Hoher Herr“ nicht abgewöhnen, er hatte es auch nach zwei Versuchen wieder aufgegeben. Für sie war er der hohe Herr, weil er das Schiff befehligte, und vielleicht auch, weil er sie gerettet hatte, als sie halbtot auf dem Bambusfloß von einem Fluß ins Meer getrieben worden war.
Ihre Augen lächelten mit, wenn sie etwas sagte, und das verlieh ihrem Gesicht eine gewisse Anmut, und man wußte immer, daß sie ihre Worte ehrlich meinte und daß sie von Herzen kamen.
Hasard beobachtete weiterhin den schwarzen Segler. „Eiliger Drache“ hatte gewendet und lief auf dem gleichen Kurs wie die „Isabella“, nur viel langsamer. An Bord des Schiffes mußte man sie ebenfalls längst bemerkt haben.
„Genau Kurs darauf halten, Pete!“ sagte der Seewolf zu seinem Rudergänger. „Nachher löst Stenmark dich ab, du hast jetzt lange genug am Ruder gestanden.“
„Aye, Sir. Gehen wir längsseits?“
„Ja, der Wind hat etwas abgeflaut, wir können es riskieren. Ich möchte wissen, was die Korsarin bewogen hat, hier tagelang auf uns zu warten.“
Er sah, wie Carberry die Rahen leicht herumholen ließ, und hörte die Kommandos, die Ben Brighton gab, damit sie später bei dem schwarzen Segler längsseits gehen konnten.
Hasard verschränkte die Arme auf dem Rücken. Ab und zu warf er einen Blick auf das schwarze Schiff. Er wollte nicht unken, aber er hatte so eine dunkle Ahnung, daß dort drüben nicht alles in Ordnung war. Etwas schien sich an Bord verändert zu haben.
Etwas später sah er, wie auf dem schwarzen Schiff die Segel ins Gei gehängt wurden. Wieder beschlich ihn das dumpfe merkwürdige Gefühl nahenden Unheils.
2.
Die Leinen flogen herüber und ein paar lahme Begrüßungsworte wurden laut, als die „Isabella“ anlegte.
Hasard hielt vergeblich nach der Roten Korsarin Ausschau.
Dafür stand der Wikinger Thorfin Njal mit einem Gesicht an Deck, als müsse er alle seine Freunde persönlich beerdigen. Sein Gesicht war grimmig verzogen, als er dem Seewolf zunickte und etwas vor sich hin knurrte, das kein Mensch verstand.
Hasard ahnte schon, was passiert war, noch bevor er seine Frage an den Wikinger richtete. Irgend etwas war mit der Roten Korsarin passiert, das spürte er. Seine Spannung griff auch auf die Crew über, die herumstand und Thorfin anblickte.
„Siri-Tong ist entführt worden“, sagte Thorfin schließlich in das lastende Schweigen hinein.
Der Wikinger gab eine kurze Schilderung dessen, was sich unlängst ereignet hatte. Der Seewolf hörte zu, ohne ihn auch nur einmal zu unterbrechen. Danach entstand eine kleine Pause.
Hasards Augen wurden ganz schmal. Er musterte den Wikinger, als sähe er ihn zum ersten Mal in seinem Leben. Thorfin reckte unbehaglich seine breiten Schultern.
„Es ging alles so verdammt schnell“, sagte er, „die Ereignisse überstürzten sich, wir konnten die Kerle nicht verfolgen. Jetzt weiß ich nicht, auf welchem der beiden Schiffe Siri-Tong sich befindet. Genausogut kann man sie auch an Land gebracht haben.“
„Prächtig!“ höhnte der Seewolf. „Da habt ihr euch wieder einmal selbst überboten in eurer verdammten Eile. Warum seid ihr davongesegelt, als wäre der Teufel hinter euch her! Und was hatte dieser plötzliche Kurswechsel zu bedeuten, Mister Njal?“
„Sie hat es befohlen“, murmelte Thorfin Njal. Er wich dem Blick der eisblauen Augen aus und sah auf die Planken.
„Sie hat es befohlen“, wiederholte Hasard verärgert. „Und wir Idioten segeln auf gut Glück hinterher, ohne zu wissen, was los ist! Mir reicht es langsam! Die verdammte Eigenwilligkeit der Korsarin bringt uns immer wieder in schwierige Situationen. Gerade sie ist es doch, die sich hier auskennt und einen klaren Kopf behalten müßte. Aber nein, Madam Siri-Tong weiß alles besser. Das fing damals auf Little Cayman an, das war schon auf Tortuga so, und hier ist es nicht anders.“
„Tu mal was dagegen“, murmelte Thorfin.
Hasards Ärger steigerte sich noch. Thorfin sah es an der Narbe im Gesicht des Seewolfs, die eine leicht dunklere Färbung annahm.
„Hoffentlich war euch das eine Lehre, Mann“, sagte Hasard. „Und ganz besonders wird die Korsarin es sich in Zukunft merken.“
„Bestimmt“, sagte Thorfin, „diesmal hat sie ganz sicher etwas daraus gelernt.“
Er war heilfroh, daß Hasard noch so ruhig blieb. Der Seewolf hatte ja recht, es war schon ein Kreuz mit ihr, die immer spontan und plötzlich handelte, wie es ihr gerade einfiel.
„Du weißt also nicht genau, wo sie steckt“, sagte Hasard.
„Nein. Die Bucht ist kaum einsehbar. Entweder befindet sie sich auf einem der beiden Schiffe, wie ich schon sagte, oder aber an Land.“
„An Land hat man sie sicher nicht gebracht“, meinte Hasard.
Er schritt unruhig auf den Planken hin und her und betrachtete aus schmalen Augen die verkniffenen Gesichter von Thorfins Leuten. Die Kerle standen so belämmert herum, als hätte man jedem einzelnen von ihnen einen Belegnagel über den Schädel geschlagen.
Dabei war Hasard sich selbst nicht darüber im klaren, was sie nun unternehmen sollten. Einfach in die Bucht hineinzusegeln, war ein sinnloses Unterfangen. Dabei kam nicht viel heraus.
„Erkundigungen an Land können wir auch nicht einziehen“, sagte der Seewolf laut überlegend. „Wir sind fremde Teufel, wir fallen überall auf, man wird uns keine Auskunft geben.“
„Außerdem kreuzt hier eine Kriegsdschunke vor der Küste“, sagte der Wikinger ärgerlich. „Die haben uns auch verboten, hier weiter herumzusegeln. Anderenfalls will man uns wie Piraten behandeln. Das heißt“, er fuhr sich mit der Hand an den Hals und deutete das Hochziehen eines Stricks an, „man wird uns aufknüpfen, wenn wir hier erscheinen. Natürlich decken sich diese schlitzäugigen Kerle gegenseitig.“
„Dann sitzt die Korsarin wirklich in der Klemme.“
Hasards Blick fiel auf „Flüssiges Licht“, die still und bescheiden im Hintergrund stand und sich zurückhielt. Die meisten der anderen Crew hatten sie noch gar nicht bemerkt. Er gab dem Chinesenmädchen mit den Augen einen Wink, das zögernd näher trat.
Carberry grinste sich eins, als er den Wikinger sah, auf dessen Gesicht sich ungläubige Überraschung malte. Und dann passierte das, was der Profos schon insgeheim befürchtet und erwartet hatte.
Thorfins gekrümmter Zeigefinger fuhr andächtig hoch, berührte den Kupferhelm und kratzte ihn ausgiebig – wie immer, wenn er äußerst verblüfft war. Er starrte von einem zum anderen, sah das Mädchen an, dann den Seewolf, dann Carberry. Dann kratzte er erneut seinen Helm, diesmal etwas mehr zur Mitte hin.
Sein Blick war eine einzige Frage.
„Das ist die Braut des Gelben Grafen“, erklärte Carberry dem verdatterten Nordmann trocken.
„Braut des Gelben Grafen?“ Thorfin staunte. „Eine Adlige etwa?“
Nach und nach begann jeder leicht zu grinsen, bis auf „Flüssiges Licht“, die von der englischen Unterhaltung so gut wie nichts verstanden hatte. Sie konnte sich allerdings eine ganze Menge zusammenreimen.
Auch sie hatte den gewaltigen Mann schon eine ganze Weile unauffällig gemustert. Seine Erscheinung beeindruckte sie. Die Felle, die seine gewaltige Brust bedeckten, der Bart, die Riemensandalen des großen Mannes und schließlich sein „Messer“, wie er es nannte, ein