Seewölfe - Piraten der Weltmeere 611. Fred McMason

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Seewölfe - Piraten der Weltmeere 611 - Fred McMason


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ganz automatisch dort hingeführt, obwohl er wußte, daß das Schott besonders nachts immer verrammelt war.

      Eine hämische Stimme hinter seinem Rücken ließ ihn zusammenfahren. Er sah nur einen vagen Schatten.

      „Na, Mister, du hast wohl die Absicht, ein bißchen zu klauen, was? Aber daraus wird nichts. Wenn du noch einen Schritt weitergehst, dann geht der Kracher in meiner Hand los, und du kriegst ein erbärmliches Begräbnis.“

      „Ich habe nicht die Absicht, etwas zu stehlen“, sagte Wister tonlos. „Mich plagen schwere Träume, Sir, und da wollte ich mir einen klaren Kopf verschaffen.“

      „Schwere Träume, was?“ höhnte der Schatten. „Du träumst davon, ein bißchen zu räubern. Ich kenne euch Bastarde doch. Ihr seid mit nichts zufrieden. Ihr klaut wie die Raben und seid unberechenbar. Willst du wieder freiwillig unter Deck gehen, oder soll ich dich dem Kapitän melden, Mister?“

      Wister war noch nie ein Held gewesen. Er war ein friedlicher Handwerker, der jedem Streit aus dem Wege ging. Er wollte auch nicht unnötig auffallen und im Mittelpunkt stehen.

      „Es ging mir wirklich nur um ein bißchen frische Luft, Mister“, sagte er friedlich. „Die Enge da unten ist bedrückend, die Luft abgestanden und schlecht. Lassen Sie mich noch ein paar Augenblicke hier stehen, dann gehe ich wieder.“

      „Vorhin hast du noch ‚Sir‘ zu mir gesagt“, erklärte die hämische Stimme. „Jetzt nennst du mich ‚Mister‘. Das ist ein bißchen abwertend gemeint, ich höre das genau heraus. Du willst nicht nur klauen, du suchst auch noch Streit.“

      Barry Wister zuckte zusammen. Dieser Kerl wollte ihn ganz offensichtlich provozieren und ein bißchen herumstänkern. Möglicherweise hatte er Langeweile oder war genauso ein hinterhältiger Bastard wie die meisten anderen auf diesem Schiff.

      „Ich will niemandem etwas zuleide tun, Sir“, versicherte er. „Wir haben genug Leid zu ertragen. Aber mit Gottes Hilfe werden wir auch das überstehen.“

      „Dann mußt du dich bei deinem Gott beschweren und solltest hier nicht herumstänkern“, sagte der Mann höhnisch. „Ihr seid doch alle so gottesfürchtig.“

      „Der Herr erlegt uns nur eine Prüfung auf, Sir.“

      „Irrtum“, sagte der Kerl kalt. „Der Herr bestraft euch dafür, daß ihr lausige, verklaute Bastarde seid, sonst wäre er gut zu euch.“

      Wister verzichtete darauf, sich mit dem Mann anzulegen. Er hatte ihn jetzt trotz der Dunkelheit erkannt. Es war ein Decksmann namens Barlow, ein rücksichtsloser und liederlicher Kerl, der etlichen Siedlern schon Geld beim Spielen abgeknöpft hatte und keineswegs ehrlich spielte, sondern genauso betrog wie sein Kapitän Granville.

      „Womöglich haben Sie recht, Sir“, sagte er ausdruckslos. „Die Wege des Herrn sind für uns Sterbliche unerfindlich.“

      „Du hättest Prediger werden sollen“, meinte Barlow verächtlich. „Du quasselst genauso dämliches Zeug wie die Kerle auf der ‚Explorer‘, die sich gegenseitig die Ohren vollabern. Und jetzt verschwinde unter Deck, du Bastard, sonst ziehe ich dir eins über den Schädel.“

      Der Zimmermann fraß die Demütigungen in sich hinein und gab keine Antwort. Er schluckte und wandte sich ab. Stumm und mit gebeugten Schultern ging er in die muffige Kammer zurück. Dort betete er stumm, daß dieser höllische Törn bald ein Ende haben möge und endlich das heißersehnte Land zu sehen sei.

      Darauf mußte er allerdings noch sehr lange warten.

       2.

      Der nächste Tag begann ähnlich wie alle anderen. Zum Glück war der Atlantik ruhig, nachdem er schon ein paarmal seine Krallen gezeigt hatte.

      Der Verband aus drei Pilgerschiffen und der Schebecke der Seewölfe bewegte sich auf einer ruhigen langgezogenen Dünung. Ein paar weit entfernte Wolkenbänke hatten sich in das Himmelsblau geschoben. Ganz achtern, nur als winziger Punkt an der östlichen Kimm zu erkennen, segelte die Karavelle, die dem Verband unbeirrbar folgte. Niemand kümmerte sich mehr um sie. Die Leute hatten mit sich selbst und ihren Sorgen genug zu tun.

      Wie immer jeden Morgen lungerten auch diesmal wieder ein paar Kinder in der Nähe der Kombüse herum, wo der feiste Glatzkopf Kelvin Bascott den mitunter ekelerregenden Fraß kochte. Er nannte das großzügig Porridge, obwohl es mit dem Haferbrei kaum noch etwas gemeinsam hatte.

      In die sechs Kessel wurde wahllos alles hineingefeuert, was Bascott für richtig hielt. Es gab auch keine Abfälle mehr an Bord, denn die wurden mitverwendet, selbst wenn sie noch so matschig waren.

      Ein paar der Kinder und Jugendlichen versuchten immer wieder, sich mit dem gemeinen und tückischen Kerl anzufreunden. Natürlich nur zum Selbstzweck und von der Hoffnung beseelt, daß denn ein Brocken extra für sie abfallen würde. Sie hatten hündische Angst vor ihm, aber sie ließen es sich nicht anmerken, denn ihr Hunger überwog jedes andere Gefühl.

      Aber sich mit Bascott anzufreunden, war weitaus schwieriger, als einen Menschenhai zum Bundesgenossen zu haben. Der Glatzkopf war gemein und tückisch, und für Kinder hatte er nichts übrig als bestenfalls ein abfälliges Grinsen oder einen kräftigen Tritt in die Kehrseite. Hin und wieder hatte es auch von ihm schon kräftige Maulschellen gesetzt.

      Alles das hielt die Kinder jedoch nicht davon ab, weiterhin in Kombüsennähe herumzulungern und mit hungrigen Augen in den finsteren und verrußten Raum zu starren. Der nagende Hunger ließ ihnen die Gerüche lieblich erscheinen.

      Ein zehnjähriges, ausgebufftes Bürschchen hatte bei Bascott Glück gehabt und durfte sich in der Kombüse vollfuttern. Das hatte eine Silbermünze gekostet, die das Bürschchen seinen Eltern stibitzt hatte.

      Als der Kleine heute morgen wieder mit hungrigen Blicken auftauchte, jagte Bascott ihn mit derben Flüchen fort und drohte ihm an, ihn zu schlachten und zu Wurst zu verarbeiten. Der Kleine zog heulend und zähneklappernd ab.

      Auch Jimmy Wister hatte der nagende Hunger heute zu jener Stelle getrieben, wo gekocht wurde. Der Sohn des Zimmermanns war ein hageres Bürschchen mit ernsten Augen. Er war dreizehn Jahre alt und hatte längst das Lachen verlernt, denn sein Leben war bisher sehr entbehrungsreich verlaufen.

      Seine Eltern waren arm, der Vater arbeitslos gewesen, und so hatten sie sich in der größten Not entschlossen, ihre letzte Habe zu verkaufen und vom dem Geld die Passage zu bezahlen. In der Neuen Welt hofften sie, ein besseres Leben führen zu können.

      Jimmy trug eine knielange, mehrfach geflickte Leinenhose und ein Hemd, das ebenfalls viele Flicken aufwies. Schuhe hatte er nicht, wie die meisten anderen auch, die barfüßig herumliefen. Von März bis Oktober brauche man keine Schuhe, wurde ihm erklärt, und im Winter konnte man zu Hause bleiben, wenn es bitterkalt wurde. Und da brauchte man natürlich erst recht keine Schuhe, weil es in der Stube einigermaßen warm war.

      Jimmy starrte an dem Koch vorbei auf den Herd, wo der Dampf aus den Töpfen stieg und sich zum Plafond kräuselte. Jetzt meldete sich der Hunger noch schlimmer bei ihm. Er hielt eine hölzerne Kumme in der Hand und wartete auf seinen Schlag.

      Mittlerweile waren auch die Erwachsenen angetreten, um sich ihr Essen abzuholen. Sie blickten scheu auf den Bootsmann Bruce Watts, der wie ein Schießhund darüber wachte, daß sich niemand einen zweiten Schlag abholte oder sich erneut heimlich unter die Leute mischte und sich ein zweites Mal anstellte.

      Der Bootsmann war ebenfalls ein rüder Kerl mit einem gewaltigen Stiernacken, einer groben Holzhackervisage und riesigen Händen. Wenn er das Maul aufriß, sah er noch schlimmer und gewalttätiger aus, denn oben fehlten ihm die beiden Schneidezähne. Eine gewaltige Faust schien ihn da einmal erwischt zu haben.

      Er betrachtete die Leute finster und bösartig. Nur wenn sein Blick mal auf eine junge Frau fiel, veränderte sich sein Gesichtsausdruck. Dann trat ein unmerkliches Funkeln in seine braunen Augen und ein lüsternes Grinsen erschien auf seiner narbigen Visage.

      Bis zur Essensausgabe dauerte es noch eine halbe Stunde.


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