Seewölfe - Piraten der Weltmeere 204. Roy Palmer

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Seewölfe - Piraten der Weltmeere 204 - Roy Palmer


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gequälten Laut, bezwang sich selbst, indem er sich innerlich wild als einen Schwächling und Dreckskerl beschimpfte, und arbeitete mit dem wütenden Eifer eines Besessenen weiter. Dabei kippte er um, weil die Pfahlkette ihn hemmte und ihm im Weg war.

      Es gelang ihm aber tatsächlich, die Arme bis unter seine Oberschenkel zu schieben. Jetzt zog er seine Waden an und drückte sie mit den Füßen zusammen so fest unter seine Schenkel, daß er die kurze Kette, die seine Hände zusammenhielt, ganz unter den angewinkelten Beinen hindurchbefördern konnte. Ein Ruck noch – er glaubte, seine eigenen Knochen im Leib knacken zu hören – und er hatte die Arme mitsamt seinen Händen vorn.

      Romero lag immer noch auf der Körperflanke, hatte ihn aber über die Schulter hinweg beobachtet. Er schob ihm jetzt den Schlegel und das Scharfeisen zu.

      Morgan Young setzte sich auf und angelte sich die beiden Hilfsmittel mit den Füßen. Er zog sie so dicht zu sich heran, daß er sie greifen konnte, dann trieb er in aller Eile ein Glied der Kette auf, die ihn an den Pfahl gefesselt hielt.

      Es war, wie er es sich ausgemalt hatte: Mit den Händen vor dem Körper konnte er problemlos arbeiten, obwohl die Handschellen und die kurze Kette ihn noch ein wenig behinderten.

      Die Kette am Pfahl sprang unter seinen energischen Hieben auf, er war frei.

      „Morgan“, raunte Romero. „Laß jetzt die Handschellen. Du kannst sie später öffnen. Hilf mir.“

      „Ja“, sagte der Engländer leise. Auf etwas unsicheren Beinen hastete er zu dem Kameraden hinüber, kniete sich neben ihn hin und erlöste ihn zuerst von dem Kugelgewicht und der Kette an den Beinen. Dann öffnete er auch die Pfahlkette. Dies alles ging viel schneller vonstatten als das, was der junge Spanier zuvor vollbracht hatte, denn Young befand sich ja in einer viel günstigeren Arbeitsposition.

      „Ich habe einen Glockenschlag gehört!“ zischte plötzlich einer der Männer. Es war Sullivan, auch einer von Youngs Freunden von der „Balcutha.“

      „Das ist die Wachablösung!“ flüsterte Jonny. „Morgan!“

      „Ja, ich höre dich, Jonny.“

      „Scheiß auf dein Ehrenwort – du kannst mich hinterher befreien!“

      „Hinterher?“ stammelte Young verdattert.

      „Ihr müßt erst diesen elenden Hundesohn von einem Don überwältigen!“ zischte Jonny ihm im Dunkeln zu. „Beeilt euch! Zum Tor! Er tritt gleich ein, und dann fallt ihr über ihn her!“

      „Wir könnten uns auch hinhocken und so tun, als wären wir noch gefesselt“, flüsterte Romero. „Wenn er zu uns tritt, springen wir auf und …“

      „Er schießt, bevor ihr auf den Beinen seid!“ schnitt Jonny ihm das Wort ab. „Glaub es mir, ihr müßt ihn am Tor packen! Schlagt ihn mit euren Handketten nieder! Das könnt ihr schaffen!“

      Morgan Young hatte seine Fassung wiedererlangt. Er richtete sich auf und lief geduckt los. Romero folgte ihm. Sie gelangten beim Tor an und hatten kaum zu beiden Seiten des einzigen großen, grob zusammengezimmerten Flügels Aufstellung genommen, da wurde von außen der Riegel zurückgeschoben.

      Sie hielten den Atem an.

      Das Tor schwang spaltbreit auf, eine Gestalt trat ins Innere der Palisade. Nur schemenhaft war sie in der Finsternis zu erkennen, aber doch gerade gut genug, um ein Angriffsziel zu bieten.

      Der Soldat zog das Tor hinter sich zu – dann stutzte er. Er hatte Morgan Young entdeckt, der sich von rechts her auf ihn zubewegte. Romero handelte jedoch geistesgegenwärtig. Er sprang den Spanier von hinten an und schlang ihm blitzschnell die Kette um den Hals, die auch seine Hände immer noch zusammengebunden hielt.

      Der Spanier taumelte, drohte in den Knien einzuknicken und zusammenzubrechen und gab einen röchelnden Laut des Entsetzens von sich. Er hielt aber seine Muskete noch fest in beiden Händen und trachtete in diesem Augenblick, den Abzug zu betätigen.

      Morgan Young griff ebenfalls an und stellte fest, daß der Hahn der Muskete bereits gespannt war. Sofort packte er zu und versuchte, dem Gegner die Waffe zu entreißen, während Romero die Kette fest um die Gurgel des Mannes zusammenzog.

      Der Wachtposten konnte nicht mehr schreien, nur ein ersticktes Gurgeln drang noch über seine Lippen. Doch trotz Youngs verzweifelter Bemühungen, ihm die Muskete zu entwinden, konnte er seinen Zeigefinger doch noch um den Abzug krümmen.

      Dröhnend löste sich der Schuß, überlaut in der dramatischen Szene des Ringes um Leben und Tod. Pulverqualm hüllte die Gestalten der drei Männer ein. Romero begann zu husten.

      Young riß die Muskete noch an sich, jetzt, da es zu spät war. Der Soldat sank zu Boden. Romero ließ von der schlaffen, jetzt reglosen Gestalt ab, bückte sich und brachte die Pistole in seinen Besitz, die der Soldat im Gurt trug.

      Young warf die Muskete fort, bemächtigte sich des Säbels und des Messers des Spaniers und wollte zu den Kameraden zurückeilen, die darauf warteten, befreit zu werden. Doch vor den Palisaden ertönten das Rufen von Stimmen und das Herantrappeln eiliger Schritte.

      „Wir können die anderen nicht mitnehmen!“ stieß Romero in höchster Erregung aus. „Wir können sie nicht befreien, wir …“

      „Morgan! Romero!“ rief Jonny ihnen zu. „Haut ab! Haltet euch nicht auf und rettet wenigstens eure Haut! Von draußen könnt ihr später immer noch was für uns tun! Los, verschwindet!“

      Young und der junge Spanier zögerten nicht länger, sie drückten das Tor wieder auf und liefen ins Freie.

      Dicht vor ihnen war das Geschrei der spanischen Posten, aus der Finsternis wurden Gestalten sichtbar. Young riß den Säbel hoch, um sie abzuwehren, aber Romero hatte bereits die Pistole in Anschlag auf die anstürmenden Männer gebracht und drückte auf den vordersten von ihnen ab.

      Der Soldat brach mit einem Wehlaut zusammen. Die anderen stutzten, legten selbst mit ihren Musketen und Pistolen an und zielten auf die beiden Sträflinge, deren Körperkonturen sie vor der Palisade erkennen konnten.

      Morgan Young rannte nach links davon, Romero folgte ihm.

      Drei Musketenschüsse krachten, und Young war es so, als schlüge eine Kugel dicht hinter seinen Hacken in den Erdboden. Doch er wurde nicht verletzt, und auch Romero blieb unversehrt. Zu hastig gezielt waren die Schüsse der Soldaten, die alle fehlgingen, zu schlecht waren die Sichtverhältnisse.

      Es krachte noch zwei- und dreimal, und die Kugeln bohrten sich mit plokkenden Lauten in die Pfähle der Palisadenwand, an der die beiden Flüchtlinge wie von tausend Teufeln gehetzt vorbeirannten.

      „Zum Hafen!“ rief Romero seinem Begleiter auf englisch zu.

      „Unmöglich!“ schrie Morgan Young über seine rechte Schulter zurück. „Sie sperren uns den Weg dorthin ab. Sie knallen uns ab, ehe wir eins der Boote erreichen!“

      Er lief weiter, so schnell er konnte, quer über die Lichtung hinweg, die die Kettensträflinge hier in Airdikit dem Dschungel abgerungen hatten. Er hastete zwischen den Hütten hindurch, die das Gros der Offiziere und Soldaten beherbergten, blieb nicht stehen, warf nur noch einmal einen Blick zurück und registrierte, daß der junge Spanier ihm weiterhin folgte.

      Tatsächlich wäre es heller Wahnsinn gewesen, den Durchbruch bis zum Hafen zu versuchen. Das erste, was die Spanier auf den alarmierenden Musketenschuß hin getan hatten, war, den Zugang zum Hafen abzuriegeln, denn sie konnten sich ja ausmalen, daß im Fall eines Ausbruchs die Sträflinge eine der Pinassen oder Schaluppen zu kapern versuchten, die an den hölzernen Anlegern vertäut lagen.

      So blieb Young und Romero nur noch eine Möglichkeit, nämlich in den Busch zu fliehen.

      Young fürchtete bei allem Schneid, den er zu beweisen vermochte, den Dschungel. Das hatte er auch seinen Freunden von der „Balcutha“, Romero, Jonny und den anderen Verschwörern gegenüber offen zugegeben. Denn Morgan Young wußte, welche Gefahren im Urwald von Sumatra lauerten, und jeder andere Mann, der ehrlich seine Meinung aussprach, mußte bestätigen,


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