Seewölfe Paket 12. Roy Palmer

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Seewölfe Paket 12 - Roy Palmer


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Gesicht. „Eigentlich ist es unmöglich, daß es sich bei diesen Skeletten um die Besatzung der Galeone handelt. Wie das Wrack aussieht, ist es uralt und muß demnach schon recht lange hier liegen. Ob es ein Sturm hierhergeworfen hat, oder ob es hier angetrieben worden ist – es kann sich unmöglich um die Besatzung handeln, denn die Männer hätten sich bestimmt nicht in dieser versammlungsmäßigen Ordnung zum Sterben auf das Kielschwein gesetzt.“

      „Wahrscheinlich nicht“, sagte Dan O’Flynn und legte die Stirn in Falten. „Aber könnte sie nicht eine Seuche hingerafft haben? Ich meine natürlich, nachdem das Schiff hier angetrieben wurde. Es gibt doch genug Krankheiten, die schon ganze Schiffsbesatzungen ausgelöscht haben.“

      Hasard schüttelte den Kopf. „Das glaube ich nicht, Dan. Wir haben zwar schon miterlebt, was Krankheiten wie Skorbut oder das berüchtigte Wechselfieber alles anrichten können, aber in diesem Fall glaube ich nicht an so etwas. Wie die Männer hier sitzen, müßten sie im Fall einer Seuche alle auf einmal gestorben sein. Und das ist sehr unwahrscheinlich.“

      „So ist es“, ließ sich nun Ed Carberry vernehmen. „Das würde bedeuten, daß sich immer der Nächste, der mit dem Sterben an der Reihe war, zu den bereits Toten auf das Kielschwein gesetzt hätte, um die Schar zu vergrößern. Nein, Sir, so was gibt es nicht.“

      „Warum eigentlich nicht?“ bohrte Dan O’Flynn weiter. „Wenn einer gestorben ist, kann er doch von den noch Lebenden einfach zu den Toten gesetzt worden sein.“

      „Theoretisch schon“, sagte Hasard. „Aber praktisch wohl kaum. Die Überlebenden hätten mit Sicherheit die Toten begraben oder der See übergeben, statt sie in das Wrack zu setzen. Wenn man bedenkt, wie schnell in diesen feuchten und heißen Gegenden der Zerfall einer Leiche eintritt, hätten sie sich damit erst recht Seuchen auf den Hals geladen. Der Gedanke dürfte also nicht haltbar sein, Dan.“

      Der junge O’Flynn wußte darauf im Moment keine Antwort. Was Hasard da sagte, klang logisch und war nicht von der Hand zu weisen.

      Ferris Tucker, der bis jetzt schweigsam und mit fachmännischem Blick die kläglichen Überreste der Galeone gemustert hatte, räusperte sich und fuhr sich nachdenklich durch den dichten roten Haarschopf.

      „Eure Überlegungen mögen ja alle mehr oder weniger richtig sein“, sagte er. „Aber es gibt noch eine weitere Version. Nehmen wir einmal an, es handelt sich bei diesen Gerippen um Schiffbrüchige. Könnten sie hier nicht von irgendwelchen Buschmännern oder Indianern überfallen worden sein? Vielleicht hat man sie mit den berüchtigten Giftpfeilen aus dem Hinterhalt getötet und dann die Leichen einfach in das Schiff gesetzt. Das wäre doch auch eine Möglichkeit.“

      „Ho!“ rief der Profos. „Unser Holzwurm ist ganz schön schlau. Und ich fresse die dickste Taurolle, wenn es nicht so ist, wie er eben gesagt hat.“

      „Na, dann guten Appetit, Ed“, erwiderte Hasard lächelnd. „Meiner Meinung nach kannst du gleich damit beginnen. Schau dir doch mal die Gerippe etwas näher an. Fällt dir da nichts auf?“

      Verdutzt trat der Profos näher und tastete die Skelette mit den Augen ab.

      „Nun ja“, sagte er dann mit wesentlich leiserer Stimme. „Die Kerle scheinen alle ein wenig klein geraten. Zumindest kleiner als wir. Aber wenn es Dons waren, dann ist es ja kein Wunder. Habe ich nicht schon immer gesagt, daß es Zwerge sind?“

      „Nun bleib aber sachlich, Ed“, sagte Hasard. „Es gibt in jedem Volk kleine und große Menschen oder doch zumindest solche, die kleiner und solche, die etwas größer geraten sind. Aber sehen die hier nicht fast alle gleich groß aus?“

      „Genaugenommen schon“, erwiderte Ed Carberry unbehaglich und schnitt ein Gesicht, als habe er sich soeben vorgestellt, wie der Kutscher in seiner Kombüse die größte Taurolle für ihn garkochte. „Meinst du …“

      Der Kapitän der „Isabella“ nickte. „Ja, es sieht ganz danach aus, als handele es sich um die Gerippe einer kleineren Rasse. Vielleicht um Buschmänner oder Indianer. Nur fragt mich nicht, wie die in das Wrack gelangt sind. Einen tieferen Sinn kann ich auch in dieser Theorie nicht erkennen.“

      Die Männer blickten sich an, und ihren braungebrannten, wettergegerbten Gesichtern war deutlich anzusehen, wie es hinter ihren Stirnen arbeitete. Aber niemand schien zur Zeit eine Patentlösung für das Rätsel zu finden, vor dem sie standen. So gingen sie daran, die nähere Umgebung des Wracks abzusuchen.

      „Was mag nur mit der Beplankung geschehen sein?“ fragte Dan O’Flynn den Schiffszimmermann.

      Doch auch Ferris Tucker zuckte mit den Schultern.

      „Wir wissen nicht, in welchem Zustand das Wrack hier angetrieben worden ist“, sagte er. „Was noch übriggeblieben war, kann nach langer Zeit verrottet sein. Aber natürlich kann es auch von Indianern weggetragen worden sein. Eigentlich sieht es mir mehr nach dieser Möglichkeit aus.“

      „Du meinst, es gibt hier in der Nähe Indianer oder Buschmänner?“ Dan hatte sich plötzlich kerzengerade aufgerichtet, als erwarte er jeden Moment einen Angriff aus dem Hinterhalt.

      „Weiter landeinwärts mit Sicherheit“, erwiderte Ferris Tucker. „Hasard kann schon recht haben mit seinen Überlegungen, auch wenn wir im Moment noch keinen Sinn darin sehen.“

      Noch während die Männer von der „Isabella“ die Schiffsreste untersuchten, stieg die Flut und setzte die Sandbank allmählich unter Wasser. Der Wasserspiegel erhöhte sich jedoch nur um zwei Handbreit, so daß das Wrack der Galeone an seinem Platz liegenblieb.

      Gleichzeitig waren einige dunkle Wolken aufgezogen, die sich plötzlich schleusenartig öffneten. Ein kurzer, aber warmer Regenschauer prasselte nieder und hüllte die Umgebung in einen trüben, grauen Schleier. Die Männer konnten kaum noch die Konturen der „Isabella“ erkennen. Kaum hatte der Regen mit der in den Tropen üblichen Plötzlichkeit wieder aufgehört, begann bereits die Dämmerung hereinzubrechen.

      „Schluß für heute!“ rief Hasard und winkte seinen Männern zu. „Es wird bald dunkel sein. Ich denke, es ist besser, wenn wir jetzt zurückpullen. Es dürfte keinen großen Spaß bereiten, in der Dunkelheit von Kaimanen angegriffen zu werden. Wir können uns morgen früh die Umgebung des Wracks noch einmal näher ansehen. Vielleicht finden wir dann des Rätsels Lösung.“

      Wenig später saßen die vier Männer im Beiboot und pullten zur „Isabella“ zurück, begleitet von den Geräuschen und Stimmen, die unablässig aus dem dichten Dschungel drangen.

      Dan O’Flynn drehte sich noch einmal um und warf einen Blick auf das Wrack, als habe er erwartet, daß sich die stumme Gesellschaft der Toten von ihren Plätzen erhebe.

      Die dickbauchige Galeone, deren Name „Esmeralda“ kaum noch zu erkennen war, steuerte eine kleine, versteckte Bucht an. Ihr Kapitän, Alfredo Fernandez, hatte auch allen Grund, vorsichtig zu sein, denn seit zwei Jahren wurde er wegen blutiger Überfälle auf spanische Handelsfahrer von den eigenen Landsleuten gejagt.

      Die „Esmeralda“, die auf Nordwestkurs an der südamerikanischen Atlantikküste entlanggesegelt war, fiel auf Befehl ihres Kapitäns nach Backbord ab und lief in die Bucht ein. Die Segel wurden aufgegeit. Mit der restlichen Fahrt trieb die Galeone nahe an eine langgestreckte Sandbank heran, hinter der der Dschungel wie eine grüne Mauer emporwucherte.

      „Fallen Anker!“ brüllte Alfredo Fernandez.

      Gleich darauf klatschte der Buganker in das blaugrüne Wasser der Bucht.

      Fernandez sah man seinen Beruf nicht auf den ersten Blick an, zumindest im Gegensatz zu seinen Männern. Er liebte es, sich wie ein reicher spanischer Kaufmann zu kleiden. Sein hageres Gesicht mit der scharfkantigen Nase und das glatte, zurückgekämmte Haar verliehen ihm tatsächlich das Aussehen eines Edelmanns.

      Aber der bunt zusammengewürfelte Haufen, der an Bord der „Esmeralda“ fuhr, kennzeichnete die Galeone als das, was sie tatsächlich war: ein Piratenschiff.

      Seit mehr als zwei Jahren war Fernandez mit der „Esmeralda“ unterwegs, um Beute zu schlagen, wo er sie traf.


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