Seewölfe Paket 1. Roy Palmer
Читать онлайн книгу.du Blödmann, was gaffst du mich dauernd an? Sieh lieber zu, daß du da draußen in der Suppe den verdammten Kahn entdeckst, auf den wir jetzt schon seit unserer Ankunft in der Bucht warten.“
„Was hast du eigentlich, Dan? Hasard hatte recht, wenn er uns hierher schickte. Immerhin sind da draußen auf dem Atlantik, immer noch ganz in unserer Nähe, zwei Karavellen, vielleicht sogar noch eine dritte, denn es sah verdammt nicht danach aus, als wenn wir den Kahn auch zu den Fischen geschickt hätten. Glaubst du, Hasard ist so blöd und läßt sich von diesen Banditen in der Bucht überraschen, noch dazu, wenn sein Schiff jetzt so gut wie wehrlos ist?“
Sie waren insgesamt vier Mann. Zwei auf dieser Seite der Einfahrt, zwei auf der anderen. Es war praktisch unmöglich, daß sich auch nur ein Ruderboot der Einfahrt nähern konnte, ohne daß sie es bemerkten. Allerdings hatte der Nebel, der mit jeder Minute dichter wurde, ihnen einen dicken Strich durch die Rechnung gemacht.
Dan war aufgesprungen. Giftig starrte er Gary Andrews an.
„Hör mal, du Decksaffe: Falls es dir entgangen sein sollte, es ist inzwischen nicht nur dunkel draußen, sondern auch noch neblig dazu. Meine Augen nutzen mir gar nichts. Wenn wirklich eine Karavelle die Bucht ansegeln sollte – und bei diesem Nebel wird sie sich hüten, das zu tun –, dann können wir sie bestenfalls rechtzeitig genug hören. Und das kann ein Mann allein. Ich hätte also ruhig mit Ferris Tucker zum Wrack hinüberfahren können. Klar?“
Gary Andrews, ein hagerer, aber sehr starker und zäher Mann mit hellblondem Haar und nordischem Langschädel, grinste Dan an. Er wußte genau, daß Dan keins seiner Worte wirklich ernst meinte, aber er wußte, wie sauer es dem Jungen geworden war, dem Seewolf zu gehorchen und auf das große Abenteuer in der Piratenbucht zu verzichten.
„Nun reg dich endlich ab, Dan. Damit erreichst du auch nichts. Du kannst Hasard ja später sagen, was für ein Dummkopf er war, weil er nicht gleich gewußt hat, daß es später Nebel geben würde und wir auf deine scharfen Augen also gut hätten verzichten können. Mal sehen, was er dann mit dir anstellt, ich schau es mir bestimmt an.“
Dans Augen blitzten, und gerade wollte er zu einer geharnischten Antwort ansetzen, als sein scharfes Gehör plötzlich etwas wahrnahm, was ihn auf der Stelle zur Salzsäule erstarren ließ.
Er vernahm ein feines Rauschen, hin und wieder ein leichtes Knarren, so wie er es schon oft gehört hatte, wenn schwacher Wind ein Segelschiff langsam durchs Wasser gleiten ließ.
Dann hörte er plötzlich durch den Nebel den fernen Singsang einer Stimme, die in fremder Sprache etwas aussang.
Dan brauchte nur wenige Sekunden, um zu begreifen. Er starrte Gary Andrews aus großen Augen an.
„Gary – eine Karavelle. Die Kerle haben uns gefunden. Jeden Augenblick werden sie in die Einfahrt zur Bucht einlaufen ...“
Er verstummte, horchte in die Dunkelheit hinaus, vernahm wieder jenes hohle Rauschen der Bugwelle. Diesmal schon näher, deutlicher. Und wieder die Stimme des Lotgasten auf der Back, der die Wassertiefe aussang.
Gary Andrews packte Dan an der Schulter.
„Los, Dan, renn, was du kannst. Du mußt auf der „Isabella“ sein, bevor die Kerle in die Bucht einlaufen. Hasard und die anderen dürfen von den Bretonen nicht überrascht werden. Ein Glück, daß der Nebel in der Bucht noch dichter ist als hier. Los, Dan, hau ab, du bist schneller als ich. Ich bleibe hier, bis die Kerle an mir vorbei sind, bis ich genau weiß, daß sie die Einfahrt passiert haben.“
Dan verlor keine Sekunde mehr. Er lief los und entwickelte ein beachtliches Tempo. Er hatte sich für alle Fälle den Weg genau eingeprägt.
Er brauchte bis zur Bucht gut fünf Minuten. Einen Moment blieb er auf dem Felsen hinter der Einfahrt stehen. Er konnte die „Isabella“ nicht sehen, der Nebel in der Bucht war viel zu dicht. Aber Dan wußte, wo das Schiff lag.
Er holte tief Atem, dann sprang er. Das Wasser schlug hochaufspritzend über seinem biegsamen Körper zusammen.
Dan schwamm aus Leibeskräften. Er wußte nicht genau, wie weit die Karavelle noch von der Einfahrt der Bucht entfernt gewesen war. Im Nebel konnte man sich da ganz hübsch täuschen. Er wußte nur eins: die Zeit, die ihm blieb, das Schiff zu erreichen, war verdammt knapp bemessen. Und noch knapper würde es für Hasard werden, die Steuerbordkanonen für den Augenblick feuerbereit zu haben, wenn die Karavelle vor ihre Mündungen lief.
Dan war ein zäher Bursche, aber bei dem Tempo, das er vorlegte, ging sogar ihm die Luft aus.
Aber er hielt durch. Er sah den mächtigen Rumpf der „Isabella“ wie einen Schemen vor sich aufwachsen, nur gerade in den Umrissen zu erkennen. Dann berührten seine Hände auch schon die Bordwand.
Er schwamm am Schiff entlang, hörte, wie Ferris Tucker am Hecks Befehle gab, hörte ebenfalls die Stimme Hasards.
Er gab seine Absicht, aufzuentern, auf und schwamm zum Heck. Neben dem Boot, das unmittelbar unter dem Spiegel der Galeone lag, tauchte er auf.
„Eine Karavelle“, japste er. „Sie läuft in die Bucht ein, ich ...“
Hasard packte zu. Mit einem Ruck zog er den völlig erschöpften Jungen aus dem Wasser.
„Eine Karavelle, Dan?“ fragte er und sah, wie der Junge nach Atem ringend nickte.
Es war unnötig, daß Hasard dem Schiffszimmermann und seinen Gehilfen irgendwelche Befehle gab. Alle Gespräche verstummten sofort. Hasard griff nach einem herabhängenden Tau und enterte zusammen mit Dan auf. Ferris Tucker und die anderen folgten ihm. Eine lautlose, gespenstische Prozession. Und das Boot unter dem Spiegel sahen sie schon nicht mehr, als sie über die Reling der Galerie turnten.
Hasard verlor keine Sekunde. Er lief hinunter zum Hauptdeck und stieß auf Ben Brighton.
„Ben, alle Mann an die Steuerbordgeschütze. Bemannt die Drehbassen vorn und achtern. Eine Karavelle läuft jeden Moment in die Bucht ein.“
Aus schmalen Augen starrte er vor sich in die Dunkelheit, die durch den dichten Nebel völlig undurchdringlich wurde.
Wir können die Karavelle gar nicht sehen, wenn sie an uns vorbeiläuft, dachte er. Und nach Gehör schießen – das ist im Nebel nicht möglich. Sie wissen also gar nicht, daß wir hier sind, sondern kehren in ihren Schlupfwinkel zurück, weil sie wahrscheinlich mit der havarierten Karavelle in ihrem jetzigen Zustand nicht länger auf See bleiben können.
Er hörte die Schritte der herbeieilenden Männer.
„Ben, geschossen wird nur auf meinen ausdrücklichen Befehl. Wenn die Karavelle an uns vorbeiläuft, ohne uns zu bemerken, dann verhalten wir uns ruhig. Absolutes Redeverbot im Schiff. Haltet die Lunten so, daß sie uns nicht verraten.“
Ben Brighton sah Hasard verständnislos an.
„Es wird nicht geschossen?“ vergewisserte er sich. „Aber die Brüder laufen uns doch genau vor die Rohre, und wir ...“
Hasard war mit einem einzigen Schritt bei ihm.
„Ben, ich diskutiere meine Befehle nicht“, erwiderte er scharf. „Aber damit es auch der letzte Mann an Bord kapiert: Der Nebel und die Dunkelheit verhindern ein genaues Zielen. Wenn wir die Karavelle verfehlen, dann haben wir die Kerle auf dem Hals, so oder so. Und vielleicht hat sie so viele Schiffsbrüchige von dem versenkten Schiff an Bord, daß sie uns entern können. Wenn sie aber von unserer Anwensenheit in der Bucht nichts ahnen, dann haben wir die Möglichkeit, das ankernde Schiff im Lauf der Nacht zu überfallen und zu vernichten. Hat das jetzt jeder begriffen?“
Zustimmendes Gemurmel ertönte. Und dann herrschte sofort wieder absolute Stille an Bord der „Isabella“.
Hasard gab Dan einen Wink, ihm zu folgen. Zusammen liefen sie zum Achterkastell, weil man von dort den besten Überblick hatte und die herannahende Karavelle am besten hören konnte.
Dan und Hasard standen auf dem Achterkastell. Keiner der beiden bewegten sich. Sie wußten, daß die nächsten Minuten über ihr Schicksal entscheiden würden.