Seewölfe - Piraten der Weltmeere 73. Fred McMason
Читать онлайн книгу.schwieg. Wenn Siri-Tong sich einmal etwas in ihr hübsches Köpfchen gesetzt hatte, dann war daran nicht mehr zu rütteln. Und selbst wenn sie Angst hatte, dann überwand sie diese Angst immer, indem sie spöttisch lachte, so wie jetzt gerade.
„Wenn ihr wollt, könnt ihr euch inzwischen am Strand umsehen, oder Fische fangen“, sagte sie. „Aber daß niemand auf die Idee verfällt, mir nachzusteigen. Das ist ein Befehl, Boston-Mann! Niemand klettert in die Felsen hinauf. Und laßt die Finger von dem schwarzen Segler, das Schiff ist verflucht!“
„Ja, es ist verflucht“, sagte der Boston-Mann heiser. „El Diabolo selbst hat es verflucht. Der Teufel wird ihn in der Hölle rösten, für alle Zeiten.“
Er sah ihr mit einem Gefühl der Beklemmung nach, als sie über den feinen Sand ging, an den Felsen vorbei, bis sie eine schmale Rinne fand, in der man aufsteigen konnte, zwar sehr mühsam nur, und man mußte gut aufpassen.
Siri-Tong kletterte weiter. Die Felsen strahlten die Hitze hundertfach zurück. Die Felsen schienen von innen her zu lodern oder zu brennen, so heiß waren sie, wenn sie sie anfaßte, um sich Stück für Stück weiterzuziehen.
In diesen Felsen gab es immer wieder Pfade mit losem Geröll, scheinbar ausgetretene Wege, die oftmals in die Irre führten und vor steilen Wänden endeten.
Siri-Tong kannte die Pfade, die der Regen ausgewaschen hatte und die oftmals auch künstlich angelegt worden waren. Ein Plateau mit großen Felsbrocken übersät, breitete sich vor ihr aus. Es ging jetzt schräg bergauf. Unter ihren Stiefeln knirschte es manchmal verdächtig – Lavafelsen, teilweise hohl, darunter unsichtbar verborgen, tiefe Kavernen, in die man hineinfallen konnte. Es war ein Labyrinth der tausend Fallen.
Ihr Blick wanderte nach rechts, und unwillkürlich drang ein leiser, erschrockener Schrei über ihre Lippen.
Rechts lagen die Überreste eines Menschen zwischen den Steinen. Der Brustkorb war deutlich zu sehen, die Arme, ein Bein. Nur von dem Schädel fehlte jede Spur. Sie entdeckte ihn jedoch gleich darauf.
Jemand hatte ihn auf einen langen Pfahl gesteckt, der zwischen zwei große Steine gerammt war.
Sie blieb stehen und sah sich immer wieder um. Tief unter ihr dehnte sich die dunkelblaue Fläche des Meeres aus, am Strand lag der Zweimaster, von hier aus anzusehen wie ein Spielzeug, und nicht weit von ihm entfernt der schwarze Segler, der auch aus dieser Höhe nichts von seiner unheimlichen Ausstrahlung verloren hatte.
Ihr Herz klopfte laut in ihrer Brust, pochte hart an die Rippen. Ihr Gesicht war gerötet von der Anstrengung.
Noch dachte sie sich nicht viel dabei, seit sie das eine Gerippe gefunden hatte. Doch das änderte sich, als sie gleich zwei nebeneinander fand. Wieder waren die grinsenden Totenschädel auf Pfähle gespießt, als sollten sie den Weg zum Auge der Götter weisen. Die Schädel waren bleich. In dunkle, leere Augenhöhlen fiel ab und zu ein Lichtstrahl, wenn der Wind sie leicht bewegte. Dann blitzte es sekundenlang darin unheimlich auf.
Sie blieb wieder stehen. Der nächste Schädel rollte ihr entgegen, als sich ein kleiner Stein bewegte und den Pfahl umstieß, auf den er gesteckt war.
Sie sprang zurück, den Mund zu einem lautlosen Schrei geöffnet.
Was war hier geschehen? Immer wieder stellte sie sich diese Frage, doch eine Antwort gab es nicht, die Felsen schwiegen, und auch von den Wächtern ließ sich niemand blicken.
Ein weiterer Schädel wies den Weg nach oben.
Jetzt sah Siri-Tong klar. Jedenfalls lag die Erklärung, die sie nun bereit hatte, auf der Hand.
Hier mußten tatsächlich Piraten versucht haben, den See seiner gewaltigen Schätze zu berauben. Daß es ihnen nicht gelungen war, bewiesen ihre ausgebleichten Knochen, die überall zwischen den Felsen herumlagen. Diese Gerippe waren mit Sicherheit keine Wächter, das waren Piraten, die im Kampf mit den Wächtern ums Leben gekommen waren. Die überlebenden Wächter hatten die Totenschädel auf Pfähle gesteckt, um jeden Fremden nachdrücklich darauf hinzuweisen, daß hier ihr Reich begann, und daß es jedem genauso ergehen würde, der sich weiter nach oben wagte.
Anscheinend hatte niemand überlebt oder höchstens diejenigen, die an Bord zurückgeblieben waren.
Die Rote Korsarin war nicht ängstlich, doch jetzt beschlich sie ein unheimliches Gefühl. Sie fühlte sich von tausend Augenpaaren belauert, überall zwischen den Felsen, in den Spalten konnten die Wächter stekken. Sie waren Fanatiker, das wußte Siri-Tong, und ihr Fanatismus kannte keine Grenzen. Für sie war jeder ein Frevler, der weiterging, ohne die Vorboten des Todes zu beachten.
Sie überlegte. Sollte sie weitergehen oder umkehren, um nicht den Zorn jener heraufzubeschwören, die das Götterauge bewachten?
Einen Augenblick rang sie mit sich selbst. Nein, umkehren wollte sie nicht. Es war die Neugier, die sie weitertrieb. Wenn es keine überlebenden Wächter gab – wie sah dann der See aus? Lagen an seinen weißen Ufern immer noch die Diamanten? Oder die Edelsteine, das Gold, die Skulpturen, die auf dem Grund des Sees ruhten. Waren sie noch dort, oder hatte man das alles geraubt?
Früher hatte es hier viele Wächter gegeben, Indios, Indianer, die die Schätze behüteten und bewachten. Man hatte sie auch ständig sehen können.
Nur heute gab es keine, und das beunruhigte die Rote Korsarin mit jeder Minute mehr.
Dennoch stieg sie weiter, mit klopfendem Herzen, fliegenden Pulsen und einer beklemmenden Ungewißheit. Und immer wieder blickte sie sich nach allen Seiten um. Sie hatte ein untrügliches Gespür für unsichtbare Gefahren. Dieses Gespür hatte ihr schon mehr als einmal das Leben gerettet, es ließ sie nie im Stich.
Langsam ging sie weiter, den Totenköpfen nach, die immer zahlreicher wurden und ihr den Weg zum Auge der Götter wiesen, dem kreisrunden See, der einem Auge ähnelte.
Die Felsen wurden jetzt glatter und sahen aus, als hätte man sie bearbeitet oder geschliffen. Siri-Tongs Augen waren zusammengekniffen und spähten in die spärlich wachsenden Büsche, ob sich dort etwas regte. Nichts, alles wirkte tot, ausgestorben, genau wie der schwarze einsame Segler in der Bucht.
Vor ihr wuchteten jetzt glatte Felsmassen in die Höhe, die ein riesiges ringförmiges Massiv bildeten, das an einer Seite offen war. Jetzt mußten sich die Wächter zeigen, oder es gab sie nicht mehr.
Sie ging auf den weißen Strand zu, der den See umsäumte. Der Anblick der sich ihr bot, war herrlich und schrecklich zugleich.
Rechts stieg ein hoher Felswall an, der den See wie eine riesige Mauer umschloß. Der Anfang dieses Felsen bestand aus einem in den Stein gehauenen Totem, einem Götzenbild, fast viereckig, das sie aus hellen kalten Augen grausam anstarrte.
Davor lag im hellen Sand wiederum ein menschliches Gerippe. Ein Totenschädel, davor die Arm- und Brustknochen, wahllos im Sand verstreut, in dem es gleißte und glitzerte.
Diamanten lagen dort. Man brauchte sie nur aufzuheben und einzustecken, und schon war man reich, wenn man es bis hierhin geschafft hatte. Überall lagen sie herum, bläulich, grünlich, rötlich und strahlend weiß aufglitzernd, wenn das Licht der Sonne sie beschien.
Der See war kreisrund und von jener tiefen Bläue, wie man sie nur in der Saragossasee findet, an tiefen dunklen Stellen. Und auch im See funkelte, gleißte und strahlte es.
Siri-Tong war von dem Anblick überwältigt. Die hohen, majestätischen Felsen, die den See umschlossen, das grausame Gesicht im Felsen, das jeden Fremden warnen mußte, das Gerippe eines Menschen, der es bis hierher geschafft hatte und dann durch die Wächter umgekommen war. Dazu kamen die zahlreichen gleißenden Diamanten im weißen Sand.
Sie stand da und staunte, keines Wortes mächtig. Aus dem See blinkte es geheimnisvoll hervor. Gold, das die Sonne beschien, Juwelen, in denen sich das Licht brach.
Sie war so gebannt, daß sie die Augen nicht bemerkte, die sie schon seit geraumer Zeit beobachteten. Die Augen glühten vor Haß, Fanatismus, den Gedanken an Rache, diese Frevlerin umzubringen, die es gewagt hatte, sich dem Auge der Götter zu nähern, und die jetzt einen verhängnisvollen