Seewölfe - Piraten der Weltmeere 175. Roy Palmer
Читать онлайн книгу.ihre Mutter Ipiutak und die anderen Frauen, die bei den Männern angelangt waren und mit ihnen zu debattieren schienen.
Ipiutak wandte sich schließlich als erste von den Männern ab und hielt im Laufschritt auf ihre Tochter zu. Die anderen Frauen folgten ihrem Beispiel und kehrten zu den Iglus zurück.
„Bilonga!“ rief Ipiutak heftig atmend. „Die Fremden von dem Schiff scheinen nichts Gutes im Schilde zu führen. Wahrscheinlich sind sie Seeräuber.“
„Ich habe es ja gesagt“, murmelte die Großmutter. „Sie sind die Teufel und Dämonen der großen Wasser, die sich das, was sie haben wollen, einfach nehmen.“
„Die Männer versuchen, das Schiff aufzuhalten“, sagte Ipiutak, die jetzt dicht vor ihrer Tochter verharrte. „Es ist der einzige Versuch, den sie unternehmen können, um Unheil von unserem Dorf abzuwenden.“
„Sie werden scheitern“, ließ sich die Alte vernehmen.
Bilonga legte ihre rechte Hand auf den Arm der Mutter. „Bitte sag ihr, sie soll nicht so reden – bitte.“
„Wir sind zum Sterben verdammt“, sagte die Großmutter.
Ipiutak kniete sich neben sie hin und sprach eine Weile auf sie ein. Die Alte beruhigte sich daraufhin ein wenig und beschränkte sich darauf, Unverständliches zu murmeln. Ipiutak berührte kurz das zerknitterte, ledrig wirkende Gesicht mit den Fingern, lächelte der Alten aufmunternd zu und richtete sich wieder auf. Die Greisin war Akviks, nicht ihre Mutter, und doch hatte Ipiutak dank ihrer freundlichen, umgänglichen Wesensart ein sehr gutes Verhältnis zu ihr.
Ipiutak trat wieder zu ihrer Tochter Bilonga, und sie verfolgten beide, wie die Männer über die schmalen, wackeligen Anleger in ihre Kajaks kletterten, die Leinen lösten, sich abstießen und zu den Paddeln griffen. Rasch nahmen sie Fahrt auf und hielten mutig auf das große Drachenboot zu.
Die Männer in den insgesamt acht Kajaks hatten nicht einmal Zeit, den bärtigen Fremden etwas zuzurufen und sich nach deren Absichten zu erkundigen. Kaum hatte sie die Distanz, die das Schiff noch von dem Ufer der Bucht trennte, auf etwas mehr als die Hälfte überbrückt, da wurden sie auch schon von einem Pfeilhagel empfangen.
Die Pfeile rasten von den Sehnen der Bogenschützen, die auf der vorderen und achteren Plattform des Drachenbootes standen, und fanden mit erschrekkender Präzision ihr Ziel. Ihre scharfen Spitzen durchdrangen die Fellkleidung der Eskimos, bohrten sich in die Leiber der aufschreienden Männer und löschten ihr Leben mit einem Schlag aus. Vier Krieger ließen die Paddel los, rissen die Arme hoch, sackten auf die Seite und gingen mit ihren kippenden Kajaks unter.
Im Dorf gellten die Schreie der Frauen.
Die vier anderen, nicht von Pfeilen getroffenen Eskimos hoben mit Wutgebrüll ihre Harpunen und zielten auf das Drachenboot. Für einen Augenblick schienen die Angreifer fasziniert zu sein von der Kunst, mit der die Eskimos, die Harpune in der einen, das Paddel in der anderen Faust, in ihren wackligen Kajaks balancierten. Der Pfeilbeschuß ebbte ab.
Die Eskimos schleuderten ihre Harpunen. Es schien dabei ein Wunder zu sein, daß sie mit ihren Kajaks nicht kenterten.
Zwei Harpunen bohrten sich mit dumpfem Laut in die Bordwand des fremden Schiffes und blieben darin stecken. Die beiden anderen huschten flach über das Schanzkleid und rissen zwei der Ruderer von ihren Bänken.
Die bärtigen Kerle heulten vor Wut auf, als sie ihre Kumpane blutüberströmt zusammenbrechen sahen. Sie schossen Pfeile und Speere auf die vier mutigen Eskimos ab. Der Abstand zwischen den feindlichen Parteien verringerte sich mehr und mehr, und damit wuchs die Chance, den jeweiligen Gegner zu treffen.
Ein fünfter Eskimo brach mit gurgelndem Todeslaut in seinem Kajak zusammen. Der Kajak schlug um, sein Besitzer tauchte in die eisigen Fluten der Bucht und ertrank darin.
Die drei restlichen Krieger warfen die Reserve-Harpunen, die sie in ihren Kajaks mitführten. Wieder hatten sie zwei Treffer zu verzeichnen: Ein Ruderer des Drachenbootes stürzte, schwer am Hals verletzt, von seinem Sitzplatz. Ein anderer, der auf der vorderen Plattform stand und sich gerade anschickte, einen weiteren Pfeil mit seinem Bogen abzuschießen, sank aufstöhnend neben seinem schwarzhaarigen Anführer zusammen. Die Harpune steckte mitten in seiner Brust und wippte leicht hin und her, als er leblos auf dem Rücken liegenblieb.
Der Schwarzhaarige schleuderte einen Speer, den er gerade hatte werfen wollen, von sich, griff statt dessen zu einer Muskete, die einer seiner Gefährten ihm reichte, spannte den Hahn, legte auf einen der Kajakfahrer an und drückte ab.
Schwer brach der Schuß. Eine weiße Qualmwolke löste sich, stieg in den Himmel und trieb zu den Iglus hinüber. Der Eskimo, dessen Harpune den Bogenschützen getroffen hatte, reckte die Arme auf groteske Weise und verlor die Balance. Er tauchte unter, wie auch die fünf Stammesbrüder vor ihm untergegangen waren, aber er war schon tot, als das kalte, klare Wasser ihn aufnahm, denn die Musketenkugel hatte sein Herz getroffen.
Zwei Kajakkrieger waren jetzt noch geblieben. Sie griffen zu Pfeil und Bogen, um die Invasion der stark überlegenen bärtigen Kerle doch noch aufzuhalten – ein ebenso beherztes wie aussichtsloses Unterfangen.
Der Schwarzhaarige vertauschte die leergeschossene Muskete mit einer zweiten, frisch geladenen.
„Wir hätten ihnen gleich mit Kugeln einheizen sollen“, stieß er mit verzerrter Miene aus. „Es kann mir doch verdammt egal sein, ob die Schüsse weithin zu hören sind! Wer will uns aufhalten?“
„Keiner, Jor!“ rief einer der Männer an seiner Seite.
Jor, der schwarze Pirat, richtete die Muskete auf den einen Kajakmann, der nun längsseits des Drachenbootes glitt, drückte wieder ab und quittierte den furchtbaren Aufschrei des Eskimos mit einem grimmigen Laut der Zufriedenheit.
Auch dieser Krieger der Eskimos war somit ins Jenseits befördert worden – sieben gekenterte Kajaks trieben wie große, behauene Baumstämme in dem klaren Wasser, während das unheimliche Schiff sich weiterschob. Sie blieben hinter dem Heck des Einmasters in der Bucht zurück – als grausige Gräber für die in ihren Mannlöchern steckengebliebenen Toten.
Der achte Kajakfahrer hatte hastig gewendet und paddelte in panischem Entsetzen zurück zu den Anlegern. Jeder neue Versuch, die Angreifer doch noch zu stoppen, war ein reines Selbstmordunternehmen. Er kehrte zu seinem Stamm zurück, um zu retten, was noch zu retten war.
Jor, der schwarze Pirat, feuerte die Ladung einer dritten Muskete auf den Rücken dieses Eskimos ab, doch diesmal traf er nicht. Um gut zwei Handspannen raste die Kugel an der linken Schulter des Mannes vorbei.
Mit seinem leichten Kajak war der Eskimo sehr schnell und beweglich, schneller und gewandter als das Schiff. Er hatte einige Entfernung zwischen sich und die Feinde zu legen vermocht, und dieser Abstand vergrößerte sich jetzt noch ein wenig, bevor er die Anleger des Dorfes erreicht hatte.
Bilonga, die das Sterben der sieben Eskimos fassungslos beobachtet hatte, stammelte: „Wir müssen etwas tun– wir können doch nicht einfach dastehen und zusehen wie …“
„Wir fliehen“, sagte ihre Mutter.
Sie blickte zu den älteren Männern des Dorfes, die soeben Anstalten trafen, die letzten Kajaks und Umiaks des Stammes zu bemannen.
Der Überlebende des Kampfes paddelte jedoch mit seinem Kajak direkt auf sie zu und rief: „Nicht! Es hat keinen Sinn! Wir können uns nur noch zurückziehen!“
„Ins Landesinnere“, sagte Ipiutak, Bilongas Mutter. „Dort liegt unsere letzte Chance. Beeilen wir uns. Wir müssen fort sein, ehe diese Teufel landen.“
Bilongas Finger hatten sich um den Arm ihrer Mutter verkrampft. Sie stand stocksteif da und fühlte sich wie gelähmt. Sie hatte in diesem entsetzlichen Moment den Eindruck, sich nie wieder bewegen zu können, sondern wie eine Statue aus Eis ausharren zu müssen, bis die grausamen Kerle mit den zottigen Bärten und den Helmen auf den Häuptern heran waren und wie die reißenden Bestien über sie herfielen.
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