Seewölfe - Piraten der Weltmeere 74. Roy Palmer

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Seewölfe - Piraten der Weltmeere 74 - Roy Palmer


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fuhr Ferris dazwischen. „Das Unken hat jetzt auch keinen Zweck.“

      Er wollte noch etwas hinzufügen, aber in diesem Moment wurde seine Aufmerksamkeit durch einen neuen Zwischenfall in Anspruch genommen. Ferris traute seinen Augen nicht, so gespenstisch wirkte das, was sich da am südwestlichen Ufer der Bucht abspielte.

      Ein mächtiger Felsquader wirbelte auf den schwarzen Segler nieder. Das Schiff, das einstmals dem gefürchteten Piraten El Diablo gehört hatte, lag dicht unter Land. Thorfin Njal und seine Männer hatten es in mühsamer Arbeit dorthin verholt.

      Sie hatten es einer genaueren Untersuchung unterziehen wollen. Der Wikinger hatte seine „Thor“ in der Windwardpassage verloren. Er brauchte dringend ein neues Schiff. Ob das aber jemals der schwarze Segler sein würde, war in diesem Augenblick sehr, sehr zweifelhaft – denn der Quader raste mit solcher Geschwindigkeit auf das Schiff zu, daß seine Zerstörung sicher schien. Im freien Fall erlangte der Felsen immer mehr Drall und damit größere Wucht. Er würde sich wie eine Kanonenkugel in den Rumpf fressen.

      Und doch kam es anders.

      Ferris und seine Kameraden kauerten wie angewurzelt da, als es geschah. Der Felsbrocken hieb auf das Schanzkleid des schwarzen Seglers. Es knackte und splitterte, und dann erwuchs eine schaurige Gestalt zu neuem Leben.

      Jedenfalls wirkte es so. Durch die Wucht des Aufpralls wurde eines der Gerippe an Bord des Seglers hochgeschleudert. Es sah wirklich so aus, als springe die Schauergestalt aus eigenem Antrieb. Sie schwang hoch und breitete dabei die Knochenarme aus – ein von der Sonne ausgebleichtes Skelett mit tückisch grinsendem Totenschädel. Dieses Haupt flog samt Gerippe über das Schanzkleid weg und neigte sich der Wasserfläche zu. Es zog seinen scheußlichen Leib in grotesker Gebärde nach. Dann stieß die Erscheinung kopfüber wie ein Taucher in die Fluten und verschwand darin.

      „Jesus“, sagte Ben Brighton.

      Ferris Tucker sagte gar nichts. Er blickte wie gebannt auf den schwarzen Segler und registrierte dabei aus den Augenwinkeln, wie die Freunde sich bekreuzigten.

      Je mehr sie die unheimlichen Vorkommnisse verfluchten, desto öfter ereigneten sie sich. Die Szene mit dem Skelett hatte die meisten von ihnen bis ins Mark erschauern lassen, so echt, so täuschend war sie gewesen. Wie ein zappelndes Gespenst hatte der Knochenmann gewirkt – einer von El Diablos grausamen Spießgesellen, der auferstanden war, um sich an den Sterblichen für sein Schicksal zu rächen.

      Matt Davies warf einen wilden Blick auf die Stelle, an der das Gerippe im Wasser verschwunden war. Er schüttelte sich. „Verdammt, keiner würde mich dazu bringen, jemals dort zu tauchen.“

      „Der Geist lauert unten und packt jeden, der ihm vor die Klauen gerät“, sagte Luke Morgan. „Ein würgendes Monstrum.“

      Carberry hatte es mitgekriegt und brüllte einen seiner ellenlangen Flüche.

      Ferris schaute unverwandt auf das große schwarze Schiff. Aber nicht wegen des Vorfalls mit dem Skelett. Auch er war zusammengeschaudert, aber er maß der Angelegenheit nicht mehr Bedeutung bei, als nötig war. Nein, ihn faszinierte etwas anderes.

      „Ben, hast du das gesehen?“

      „Verdammt, ja, und ich zweifle langsam an meinem Verstand. Hölle, es ist das erstemal in meinem Leben, daß ich ein Skelett …“

      „Das meine ich nicht“, unterbrach ihn Ferris. „Ich rede von dem Felsbrokken.“

      „Was ist mit dem Felsbrocken?“

      „Fällt dir denn gar nichts auf?“

      „Tja, ein Stück vom Schanzkleid des schwarzen Seglers ist zersplittert, aber das ist wohl alles.“

      „Mit anderen Worten, der Riesenklotz ist fast wirkungslos von dem Schiff abgeprallt“, sagte jetzt Big Old Shane. „Das ist doch schier unglaublich, bei der Wucht, die das Ding hatte. Wie kann so was angehen, Ferris?“

      Ferris beschrieb eine beinahe hilflose Gebärde. „Keine Ahnung. Ich kann’s auch nicht fassen, Männer. So was gibt es nicht. Was ist das bloß für Holz, aus dem der Segler gebaut wurde? Himmel, ich weiß doch, wie gut und stark unsere ‚Isabella‘ ist, aber ich weiß auch, daß der Brocken dort ganz erheblichen Schaden auf unserem Schiff angerichtet hätte, falls er uns getroffen hätte.“

      Ben schüttelte den Kopf. „Härteres Holz als gute englische Eiche existiert doch nicht.“

      „Weißt du das?“ fragte Ferris.

      „Wie meinst du das? Ich verstehe vom Schiffbau nicht so viel wie du, aber immerhin doch eine ganze Menge …“

      „Geh doch nicht gleich auf die Palme, Ben“, erwiderte Ferris. „Ich wollte nur sagen: Wir haben noch nicht die ganze Welt gesehen. Es gibt Dinge, über die wir nur staunen können, richtige Wunder, bei deren Anblick uns die Augen übergehen und die doch eine vernünftige Erklärung haben.“

      „Zum Beispiel Holz aus einem fremden Land, das so hart wie Eisen ist?“ fragte Shane zweifelnd. „Mich würde mal interessieren, wie man das Material bearbeitet.“

      „Ich komme noch dahinter“, versicherte Ferris. „Ich schwör’s euch, Freunde. Der Sache geh ich auf den Grund.“

      „Wir müßten den schwarzen Segler untersuchen“, sagte Ben Brighton. „Aber im Moment hat etwas anderes die größere Dringlichkeit. Wir müssen Hasard, Siri-Tong und Thorfin Njal finden.“

      Er richtete sich auf. Es war stiller geworden um die „Isabella“. Nur noch vereinzelt rollten Felsbrocken die Hänge der Insel hinunter. Plötzlich trat völlige Ruhe ein. Totenstille. Etwas Lähmendes, das sich wie eine Drohung auf die Männer senkte.

      Den düsteren, zerstörten Hängen der Insel haftete die Aura des Bösen an. Ben griff zum Spektiv, hob es ans Auge und tastete mit seinem Blick das Ufer ab.

      „Und?“ sagte Old O’Flynn ungeduldig.

      „Nichts. Keine Spur von Hasard, Siri-Tong und dem Wikinger.“

      Die Männer waren wie geschockt. Sie wußten ja, daß ihr Kapitän mit der Roten Korsarin und dem Wikinger zum Auge der Götter hinaufgestiegen war. Zum Ort der Katastrophe.

      Ben steckte das Spektiv wieder weg, formte seine Hände zu einem Schalltrichter vor dem Mund und begann zu rufen: „Hasard! Siri-Tong! Thorfin!“ Er wiederholte es, und mittendrin erhob sich neben ihm Ferris Tucker und fiel mit ein. Shanes mächtige Gestalt schob sich gleich darauf am Schanzkleid des Achterdecks hoch, es folgten Old O’Flynn, Pete Ballie, dann, auf Quarterdeck und Kuhl, Carberry und all die anderen, zuletzt schließlich auch der junge Dan O’Flynn hoch oben im Hauptmars. Alle schrien die Namen der Gesuchten. Es war ein einziger Ruf, der in Abständen nach Little Cayman hinüberschallte – und doch keinen Erfolg zeitigte.

      Nirgends war auch nur die Spur vom Seewolf zu entdecken.

      Siri-Tong und der Wikinger blieben ebenfalls verschwunden.

      „O Himmelarsch, so ein elender Mist“, sagte der Profos. „Da denkt man, man hat den ganzen Schlamassel hinter sich, dabei geht es mit den Schwierigkeiten wieder von vorn los. Wenn den dreien bloß nichts zugestoßen ist!“

      „Ich hab’s gleich gewußt, daß es nicht gut ausgeht“, unkte Luke Morgan. „Ich sehe mehr als ihr alle.“

      Carberrys vernichtender Blick traf ihn. „Sag mal, bist du jetzt auch unter die Wahrsager und Spökenkieker gegangen, du Hering?“ fragte der Profos. „So wie der Jonas?“

      Luke schüttelte den Kopf. „Nein. Nur sagt mir mein Verstand, daß es Wahnsinn ist, was wir hier tun. Wir hätten längst weg sein müssen und uns auf nichts einlassen sollen.“

      „Du sprichst in Rätseln“, entgegnete Ed Carberry – noch eine Spur leiser, und das verhieß bei ihm nichts Gutes.

      „Der Wikinger …“

      „Was ist mit ihm passiert, Luke? Und mit Hasard und der Roten Korsarin?“

      „Das


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