Seewölfe Paket 18. Roy Palmer
Читать онлайн книгу.reizen. Solange sie sich an ihm ausließen, waren sie von der „Isabella“ abgelenkt, und Hasard und die anderen hatten eine Chance, etwas zu unternehmen. Was, wußte er selbst nicht. Aber Hasard wird schon etwas einfallen, sagte er sich.
Mardengo zog sein Messer. „Du hörst gleich auf zu grinsen“, sagte er. „Warte. Du sollst die Sterne sehen.“
„Es ist noch nicht dunkel“, sagte Carberry.
Mardengo fluchte und wollte sich auf ihn stürzen, doch Oka Mama hielt ihn zurück.
„Laß dich von ihm nicht reizen“, zischte sie. „Das will er doch nur erreichen. Begreifst du das nicht?“
Mardengo ließ das Messer langsam sinken. „Doch“, erwiderte er. „Aber wenn er so weitermacht, kann ich für nichts garantieren. Wir haben ja auch noch die beiden anderen Kerle, oder?“
Oka Mama antwortete nicht. Carberry grinste immer noch und sagte: „Aha, Roger und Sam leben also noch.“
„Steh auf!“ befahl Oka Mama.
Carberry mußte sich aufrappeln, ihm blieb nichts anderes übrig. Als er leicht wankend vor ihnen stand, vertauschte Mardengo das Messer mit der Pistole und forderte ihn durch einen Wink auf, vor ihm her durch den Dschungel zu gehen.
Auch dieser Aufforderung mußte der Profos Folge leisten, er hatte keine andere Wahl. Mardengo dirigierte ihn mit der Pistole vor sich her durch das Dickicht, Oka Mama folgte ihnen. In ihrem Geleit befanden sich die vier Piraten. Der Korse hatte sich mit den beiden Negersklaven zum Lager entfernt, um dort auf Oka Mamas Befehl hin nach dem Rechten zu sehen und die Hütten nach allen Seiten hin abzusichern. Die Engländer schienen in der Falle zu sitzen, dennoch traute Oka Mama dem Frieden nicht und wollte sicher sein, alles getan zu haben, was dem Schutz des Lagers dienen konnte.
Carberry kochte vor Wut. Wie ein Anfänger hatte er sich übertölpeln lassen, dazu noch von einem alten Hutzelweib, wie er Oka Mama im stillen nannte. Er konnte sich diese Niederlage selbst nicht verzeihen und hörte nicht auf, sich selbst zu beschuldigen.
Was aber viel schlimmer war: Er hatte immer noch keine Ahnung, wo sich Roger und Sam befanden. Immer wieder grübelte er darüber nach, was mit ihnen geschehen sein konnte. Wenn sie tot waren, würde er sich ein gewisses Mitverschulden zuschreiben, denn er hätte zumindest versuchen können, etwas für ihre Rettung zu tun, als er im Wasser gelandet war.
Daß Oka Mama wie eine Wilde auf ihn eingestochen hatte, daß sein Blut mit Sicherheit die Alligatoren angelockt hätte, daß er fast ohnmächtig geworden war – all das vergaß er in diesem Moment. Er nannte sich einen Narren, einen Anfänger und einen Stümper und konnte sich nicht beruhigen.
Die schlimmste Schmach stand ihm aber noch bevor. Er ahnte, was folgte – Mardengo trieb ihn auf das Ufer des Flusses zu. Mardengo hatte mit Oka Mama getuschelt, als er eingetroffen war, sie schienen sich einen Plan zurechtgelegt zu haben. Wie der aussah, konnte sich Carberry denken.
Doch bevor sie aus dem Urwald auf den schmalen Streifen Sand traten, der die Mündung des Flusses säumte, hielt Mardengo ihn am Arm fest und zischte ihm ins Ohr: „Verrate mir eins, du Hund. Wer ist der schwarzhaarige Bastard, der euch befehligt? Wie heißt euer Kapitän?“
„Da rate mal schön“, erwiderte Carberry in seinem schrecklichen Spanisch. „Von mir erfährst du nichts. Ich bin der Profos, das habe ich der alten Hexe auch bereits gesagt. Ich bin auf vielen Schiffen gefahren, und die Namen meiner Kapitäne kann ich mir nicht alle merken, kapiert?“
„Du lügst!“ Mardengo rammte ihm die Pistole in den Rücken.
Carberry sah im wahrsten Sinne des Wortes rot – es flirrte vor seinen Augen. Er fuhr herum. Ihm war egal, ob Mardengo jetzt abdrückte. Er schlug die Pistole zur Seite und wollte sich auf ihn stürzen, doch Oka Mama und die anderen Kerle waren heran und hielten ihn fest. Carberrys Schulter schmerzte wieder wie verrückt.
Er fluchte, konnte Mardengo immerhin noch gegen das Schienbein treten, und dann brüllte er: „Dir ziehe ich die Haut in Streifen von deinem Affenarsch, du verlauste Mißgeburt!“
Mardengo wich unwillkürlich zwei Schritte vor ihm zurück, und beinah stolperte er in eine der Fallgruben, die – aus naheliegenden Gründen – vorwiegend an der nordwestlichen Seite der Insel ausgehoben waren. Für einen Augenblick verspürte Mardengo Respekt und einen Anflug von Angst vor dem tobenden Riesen, der jetzt Anstalten traf, sich loszureißen.
Erst ein neuerlicher Hieb gegen seine schlimme Schulter brachte den Profos zur Räson. Er mußte kapitulieren, denn er hatte keine Chance. Ohne die Schulterverletzung wäre es ihm vielleicht gelungen, die Feinde in einem Überraschungsangriff zu überrumpeln – so aber war er ihnen ausgeliefert. Er verbiß sich die Schmerzen. Aber er hörte nicht auf zu fluchen. Sein Gebrüll tönte über die ganze Insel.
3.
Wäre die Lage nicht so ernst gewesen, hätten die Männer der „Isabella“ jetzt gegrinst. Sie hörten das Gebrüll ihres Profos, und auch sie wußten, was geschehen würde, ehe die Piraten mit ihrem Gefangenen am Ufer des Flusses erschienen.
Sir John schlug wild mit den Flügeln und krächzte. Batuti hielt den Papagei zurück, damit er nicht in den Dschungel flog.
„Ganz ruhig bleiben, Sir John“, sagte er sanft. „Die Piraten schießen auf alles, was sich bewegt.“
Auch Arwenack, der Schimpanse, und Plymmie, die Wolfshündin, schienen mit ihren Instinkten etwas von dem drohenden Verhängnis zu spüren. Arwenack fletschte die Zähne, Plymmie knurrte. Philip und Hasard, die Söhne des Seewolfs, redeten leise auf die Hündin ein und versuchten, sie zu beruhigen. Tamao und Asiaga hatten den Affen, mit dem sie sich bestens angefreundet hatten, in ihre Mitte genommen, und Asiaga streichelte ihm den Hinterkopf. Arwenack verdrehte die Augen, gab seine aggressive Haltung auf und setzte eine Art verzücktes Grinsen auf.
Little Ross wandte sich mit gedämpfter Stimme an Smoky: „Die Drecksäcke haben den Profos. Wie wäre es, wenn wir ein Zielschießen auf sie veranstalten – mit Pfeil und Bogen? Shane und Batuti können doch hervorragend damit umgehen, sie würden Carberry bestimmt nicht verletzen.“
„Das weiß ich“, brummte Smoky. „Aber wir unternehmen trotzdem nichts. Wir haben unsere klaren Anweisungen, hast du das vergessen? Du mußt bei uns wohl doch noch einiges lernen.“
„Ich stinke ja nicht gegen die Befehle von Hasard an“, sagte Little Ross. „Aber mir juckt es ganz höllisch in den Fingern. Ich hätte große Lust, den Hurensöhnen da drüben noch einmal meinen Säbel um die Ohren zu hauen.“
„Was meinst du, wo es uns juckt?“ sagte Gary Andrews. „Besonders die Alte würde ich mir gern vorknöpfen. Hast du eine Ahnung, wer sie ist, Little Ross?“
„Sie muß Okachobee sein, Mardengos Mutter. Über sie werden die verrücktesten Geschichten erzählt. Sie ist eine echte Seminolin. Die Piraten nennen sie Oka Mama, glaube ich.“
„Sie ist eine Hexe“, sagte Philip junior.
„Hexen gibt es nicht“, sagte sein Bruder.
Philip stieß ein wütendes Schnaufen aus. „Doch. Hier, auf dieser Insel.“
Es wurden noch ein paar Worte gewechselt, doch dann verstummten alle, denn die Piraten traten mit Carberry aus dem Dickicht – am Ostufer, keine dreißig Yards von der „Isabella“ entfernt.
Mardengo und die anderen Kerle hielten den Profos fest, Oka Mama fuchtelte mit ihrem Messer herum.
Mardengo richtete seinen Blick auf die „Isabella“, hob den Kopf und schrie: „Engländer! Ich will euren Kapitän sprechen!“
Ben Brighton stand am Steuerbordschanzkleid des Achterdecks. Ruhig erwiderte er: „Der Kapitän hat sich in seine Kammer zurückgezogen.“
„Dann ruft ihn!“ brüllte Mardengo.
Ben tat alles, um Zeit zu gewinnen. Das