Seewölfe Paket 18. Roy Palmer
Читать онлайн книгу.es einen richtigen Augenblick gibt, dann diesen. Ich denke nicht daran, mich wegen dieser hirnrissigen Kakerlaken den dunklen Mächten ausliefern zu lassen.“ Mit anklagend ausgestrecktem Arm zeigte er zur Kuhl hinunter, wo die Arwenacks zwar nicht zu sehen, aber um so deutlicher zu hören waren.
„Tut mir leid, Donegal“, sagte Hasard grob, „du hältst jetzt den Mund. Das ist ein Befehl.“
Er hörte den Alten schlucken, und es tat ihm leid, ihn so hart anfassen zu müssen. Aber er würde sein Räsonieren noch stundenlang fortsetzen, wenn man ihn nicht daran hinderte. Jetzt spürte der Alte an Hasards Ton, daß der Befehl ernstgemeint war. Jedes weitere Wort von ihm war folglich ein Verstoß gegen die Borddisziplin.
„Ruhe!“ brüllte der Seewolf, zur Kuhl gewandt. „Mister Carberry!“
„Sir?“ Tatsächlich kehrte sofort Stille ein.
„Schwing dich auf die Back und preie den Spuk an. Vielleicht reagiert das Ding darauf.“
„Aye, aye, Sir, Spuk anpreien. Wird sofort erledigt“, tönte der Reibeisenbaß des Profos zurück. Dann waren seine Schritte zu hören, als er in Richtung Back eilte und aufenterte.
Inzwischen war nur noch die Hälfte der schwebenden Behausung zu erkennen. Der vordere Teil wurde bereits wieder vom Nebel verschluckt.
Ed Carberry versuchte es erst auf englisch und dann auf spanisch. Jedesmal legte er eine Pause ein, doch es erfolgte keine Antwort. Zu guter Letzt kramte er seine französischen Sprachkenntnisse hervor.
„Hallo, missjöhs! Parleevu franzäs, gescherte missjöhs? Vu kompris, verdammt noch mal? Respondiert gefälligst, oder le diablo soll euch holen!“
Die denkwürdige Ansprache des Profos verhallte in der Dunkelheit.
Ohne Reaktion.
In der nächsten Minute war das schwebende Haus wieder im Nebel verschwunden. Nur noch die schwachen Lichtpunkte, das Klagen, das Stöhnen, der Singsang und die Trommelei erinnerten daran.
Ed Carberrys Schritte kehrten zur Kuhl zurück.
„Melde keinen Erfolg, Sir“, sagte er niedergeschlagen, „wenn sie das nicht verstanden haben, dann sind sie taub und stumm. Oder sie sind überhaupt keine richtigen Menschen.“
Einige der Arwenacks konnten sich ein unterdrücktes Kichern nicht verkneifen. Aber zum Glück konnte Ed Carberry in der Dunkelheit nicht feststellen, von wem es stammte.
Hasard mußte abermals für Ruhe sorgen. Dann gab er Befehl, die Hecklaterne anzuzünden. Sie alle hatten lange genug im Dunkeln gestanden. Wenn die Spanier tatsächlich in der Nähe sein sollten, dann wurde auch ihre Sicht durch den Nebel behindert. Es drohte also keine unmittelbare Gefahr.
Die Männer atmeten auf, als es heller wurde. Der verdammte Spuk und die Finsternis waren ihnen denn doch mächtig gegen den Strich gegangen.
„Seltsam an der ganzen Geschichte ist eines“, sagte Ben Brighton nachdenklich, „es waren überhaupt keine Menschen zu sehen.“
„Richtig“, entgegnete Hasard und nickte, „ich hatte den Eindruck, daß es nur farbige Lichter waren, die in den Fensterhöhlen glühten.“
„Aber wieso hat das Ding geschwebt?“ Ferris Tucker rieb sich sinnierend das Kinn.
Alle, auch der Seewolf, zogen ratlos die Schultern hoch.
Ein vernehmliches Räuspern war plötzlich zu hören, eher klang es wie ein Krächzen.
Hasard mußte grinsen.
Der alte O’Flynn stand demonstrativ beleidigt an der Steuerbordverschanzung und starrte auf die nachtdunkle Wasserfläche.
„Schieß schon los, Donegal“, sagte der Seewolf.
Old Donegal drehte sich mit gut gespieltem grenzenlosem Erstaunen um.
„Heißt das, du erteilst mir Redeerlaubnis, Sir? Soll es tatsächlich so sein, daß man auf diesem Schiff wieder seine Meinung sagen kann?“
„Wenn es sich um eine Meinung handelt – immer“, erwiderte Hasard, „aber es bleibt auch dabei, daß der Kapitän immer dann für Ruhe sorgen kann, wenn er es für angebracht hält.“
„Das habe ich jetzt begriffen“, entgegnete der Alte giftig, „früher waren wir mal eine harmonische Crew an Bord dieses Schiffes. Gut, gut, reden wir also in Zukunft nur noch, wenn wir gefragt werden.“
„Oh, was sind wir doch für harmonische Crewmitglieder!“ grölte Ed Carberry voller Vergnügen. Im nächsten Atemzug schlug er sich erschrocken die Hand vor den Mund. „Verzeihung, Sir, jetzt habe ich doch tatsächlich ohne Sprecherlaubnis getönt.“
„Nehmt mich ruhig auf den Arm!“ schrie der alte O’Flynn erbost, bevor der Seewolf ein Wort herausbringen konnte. „Eure Schandmäuler werden noch gestopft, darauf kann ich euch Brief und Siegel geben.“
„Mit Vampirblut geschrieben?“ rief Matt Davies kichernd.
„Auch dir wird das Lachen noch vergehen, Mister Davies!“ Old Donegals Zorn steigerte sich, und die Adern an seinen Schläfen schwollen an. „Ich sage euch, fordert das Schicksal nicht heraus! Hier auf dem Lake Pontchartrain geschehen Dinge, von denen wir nicht die leiseste Ahnung haben.“
„Soviel haben wir kapiert!“ rief Stenmark. „Ich denke, du kannst uns eine Erklärung liefern, Mister O’Flynn?“
Der alte Knochen betrachtete das prompt als eine ernste Frage.
„Selbstverständlich“, behauptete er würdevoll und hob den Kopf in den Nacken. „Was wir gesehen haben, war natürlich nicht von Menschenhand. Es war ein Trugbild, das der Satan persönlich uns vorgegaukelt hat. Und das, was ihr für Fensterhöhlen und Lichter gehalten habt, waren Teufelsaugen und Dämonenmäuler.“ Er blickte in die Runde, um sich von der Wirkung seiner Worte zu überzeugen. Tatsächlich hatten die meisten den Mund aufgesperrt, und alle blickten mit großen Augen zu ihm auf. Er wertete es als Zeichen, daß sie beeindruckt waren. „So, jetzt wißt ihr hoffentlich, woran ihr seid, wenn ihr die Mächte der Finsternis weiterhin mit euren ungehörigen Reden herausfordert.“
Old Donegal nickte noch einmal bekräftigend. Er verschränkte die Arme vor der Brust und nahm die Pose des Überlegenen ein.
Unvermittelt klatschte einer der Arwenacks in die Hände. Vom Achterdeck aus konnte man nicht erkennen, wer es war. Andere fielen mit ein, und nach wenigen Minuten ertönte donnernder Applaus.
Old Donegals Kinn sackte weg, und nun sah er haargenau so aus wie die anderen, als sie noch vor einem Moment zu ihm aufgeblickt hatten.
„Hast du fein hingekriegt, das!“ brüllte Batuti begeistert. „Richtig schön gruselig.“
„Das macht dir keiner so schnell nach“, fügte Luke Morgan hinzu.
„Weißt du was, Old Donegal?“ rief Ed Carberry dröhnend. „Wenn du deine Kneipe eröffnest, dann weiß ich den besten Namen dafür: ‚Zum Geisterseher‘! Ist das was, was, wie?“
Erneuter Beifall brandete auf.
Der alte O’Flynn wandte sich mit einem wütenden Ruck ab. Diesmal brauchte ihm niemand das Wort zu verbieten. Nichts sollten sie mehr von ihm hören, keinen Ton. Sollten sie mit ihrer Unverfrorenheit selig werden!
Ferris Tucker wollte hinter ihm her. Offensichtlich tat ihm Old Donegal leid, denn wie bei allen anderen Arwenacks verbarg sich auch unter der rauhen Schale des hünenhaften Schiffszimmermanns ein weicher Kern.
„Laß ihn in Ruhe, Ferris“, sagte der Seewolf lächelnd, „in seiner jetzigen Stimmung erreichst du überhaupt nichts. Er springt dir höchstens ins Gesicht.“
Ferris nickte und zuckte die Schultern.
„Wahrscheinlich hast du recht. Hoffentlich kapiert er irgendwann mal, was für einen Blödsinn er dauernd verzapft.“
„Auf diesem Schiff ist er damit