Seewölfe Paket 6. Roy Palmer

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Seewölfe Paket 6 - Roy Palmer


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Und jetzt, da er das zerschellte Wrack dort drüben sah, erschien ihm der Anblick vielleicht als Fügung des Schicksals, als gerechte Strafe, die die rächende Vorsehung über die Meuterer gebracht hatte.

      Vermutungen, sagte sich Hasard.

      Sein Blick streifte die anderen Männer, die ebenfalls zu der Insel mit dem Wrack hinüberstarrten. Auch ihre Gesichter spiegelten Erregung, aber bei ihnen war es erwartungsvolle, unternehmungslustige Erregung. Dan O’Flynn hatte glänzende Augen, der kleine Bill trat von einem Fuß auf den anderen, die übrigen betrachteten das Eiland, als schätzten sie die Herausforderung ab, die es darstellte. Ben Brighton, der neben den Seewolf getreten war, lächelte leicht.

      „Wollen wir die Insel anlaufen?“ fragte er.

      Hasard zögerte einen Moment, dann schüttelte er entschlossen den Kopf.

      Auch ihn reizte das Unbekannte. Aber die große, unwiderstehliche Lokkung lag im Westen, in dem geheimnisvollen Land, von dem Siri-Tong berichtet hatte. Sie hatten schon zu viel Zeit verloren. Hasard zog es weiter, in die unbekannte Ferne – wie ein Sog, den er mit jeder Faser spürte und der von Tag zu Tag stärker wurde.

      Er atmete tief durch. Seine blauen Augen funkelten, das schwarze Haar flatterte im Wind.

      „Wir segeln weiter“, entschied er. „Wir brauchen weder unsere Vorräte zu ergänzen noch Wasser zu fassen. Und Inseln werden wir unterwegs noch genug finden.“

      Auf dem Schwarzen Segler raufte sich Thorfin Njal, der Wikinger, seinen mächtigen Vollbart, rief der Reihe nach seine Ahnen, die Teufel der Hölle und sämtliche Götter an und drohte dem Bootsmann Juan, ihn kielholen, an der Rahnock aufhängen, vierteilen und Odins Raben zum Fraß vorwerfen zu lassen – ungeachtet der Tatsache, daß die kreischenden Seevögel ringsum nicht die entfernteste Ähnlichkeit mit Odins Raben hatten.

      Juan funkelte den tobenden Riesen unter halb gesenkten Lidern an, aber er traute sich nichts zu sagen, obwohl er sich unschuldig fühlte. Konnte er dafür, daß irgendein Idiot das Fall der Besanrute nicht richtig belegt hatte, so daß jetzt Segel und Gaffel beim Teufel waren – oder besser bei den Wassermännern?

      Der Bootsmann würde das Unwetter an die Besangasten weitergeben. In abgemilderter Form. Nicht etwa, weil er von friedlicher Gemütsart gewesen wäre, aber er konnte nun mal nicht halb so gut und vor allem nicht halb so laut fluchen wie der riesige Wikinger mit seiner Donnerstimme.

      Siri-Tong stand auf dem Achterkastell und beobachtete die Szene.

      Die Rote Korsarin trug eine knappsitzende Bluse im leuchtenden Farbton der Korallen, die blaue Schifferhose schmiegte sich eng um ihre langen Beine. Da der Viermaster keine Fahrt lief, flatterte ihre schwarze Mähne ausnahmsweise nicht im Wind, sondern spielte sanft wie ein dunkles, schimmerndes Vlies um das rassige Gesicht mit den Mandelaugen. Siri-Tongs Lippen preßten sich aufeinander, die Flügel der kleinen, energischen Nase vibrierten leicht.

      Sie war ungeduldig und wollte endlich weiter, aber sie wußte, daß sich Thorfin Njal erst austoben mußte.

      Ihrer Erfahrung nach würde das so an die zehn Minuten dauern.

      Siri-Tong faßte sich in Geduld. Und ein paar Minuten später geschah etwas, das den Wutausbruch des Wikingers abrupt unterbrach.

      „Deck!“ schrie Hilo aus dem Hauptmars. „Boot Backbord querab! Es treibt auf uns zu.“

      Siri-Tong wirbelte herum.

      Unten auf der Kuhl ließ Thorfin Njal den zornbebenden Bootsmann stehen und tobte den Niedergang hoch. Mit einem wütenden Ruck riß er das Spektiv aus dem Gürtel und spähte nach Süden.

      Zuerst war nur ein Punkt auf dem Wasser zu sehen, dann erkannte auch der Wikinger die Umrisse des kleinen Bootes – einer Pinasse mit geknicktem Mast und zerfetzten Segeln.

      Steuerlos trieb sie in der Dünung, und nichts wies darauf hin, daß sich Menschen an Bord befanden.

      Schweigend reichte Thorfin das Spektiv an die Rote Korsarin weiter. Sie hob es an die Augen und beobachtete das Boot, das jetzt rasch näherglitt. Niemand bediente das Ruder, aber neben der Pinne war etwas wie ein längliches, zusammengesunkenes Bündel zu erkennen. Zwei weitere lehnte oder lagen an der achteren Bordwand. Sie rührten sich nicht – und noch war nicht zu sehen, um was oder wen es sich handelte.

      Menschen?

      Schiffbrüchige, die in der Endlosigkeit des pazifischen Ozeans trieben?

      Siri-Tong ließ das Spektiv sinken, da das nähertreibende Boot jetzt auch mit bloßem Auge zu verfolgen war. Ein paar Minuten später hob die Rote Korsarin das Fernglas wieder an die Augen, und jetzt konnte sie die reglosen Bündel an Bord der Pinasse deutlicher erkennen.

      Es waren wirklich Menschen.

      Männer, fünf oder sechs mindestens. Ausgemergelte Gestalten in zerfetzten Lumpen, starr und verkrümmt, teilweise übereinanderliegend wie leblose Puppen. Sie mußten tot sein. Siri-Tong biß sich auf die Lippen und reichte dem Wikinger das Spektiv.

      „Bei Odin!“ sagte Thorfin Njal düster.

      Dann schwieg er eine Weile und starrte angestrengt zu der Pinasse hinüber. Mit einem Ruck setzte er das Fernglas ab und kratzte heftig an seinem zerbeulten Kupferhelm.

      „Da lebt noch einer“, stieß er hervor. „Er hat sich bewegt, ich habe es gesehen!“

      Siri-Tong schwang herum.

      „Beiboot abfieren!“ ertönte ihre Stimme. „Eike, Arne, Boston-Mann, Mike – ihr holt die Pinasse längsseits!“

      „Aye, aye, Madam!“

      Die Angesprochenen setzten sich in Bewegung. Siri-Tong und der Wikinger beobachteten das Manöver, das unter dem Kommando des Boston-Manns schnell und exakt ablief. Binnen Minuten erreichte das Beiboot des Schwarzen Seglers die Pinasse, der Boston-Mann sprang an Bord und belegte die Leine, die Mike Kaibuk hinüberwarf.

      Die Gesichter der Männer waren blaß und verzerrt, als sie die schwer angeschlagene Pinasse in Schlepp nahmen.

      Am Schanzkleid des „Eiligen Drachen“ stand Siri-Tongs Crew in stummer Spannung. Auch der letzte an Bord konnte jetzt die Toten in dem großen Boot erkennen. Fünf Tote, elend krepiert an Durst und Hitze. Und ein einziger Überlebender, den Arne und Eike vorsichtig aus der Pinasse in das Beiboot hoben, um ihn hochhieven zu lassen.

      Die Männer enterten über die Jakobsleiter auf. Der Bewußtlose wurde aus dem Boot gezogen und in den Schatten gebettet. Er sah furchtbar aus: verbrannt von der gnadenlosen Sonne, ausgemergelt, mit spröden, rissigen Lippen und einer Haut so trocken wie bei einer Mumie. Noch atmete er, aber auch der letzte aus der Crew brauchte nur einen Blick, um zu sehen, daß das abgezehrte Gesicht bereits vom Tode gezeichnet war.

      Siri-Tong sog scharf die Luft durch die Zähne, als sie neben dem Bewußtlosen in die Hocke ging.

      Vorsichtig schob sie ihm den linken Arm unter den Kopf und setzte ihm mit der Rechten eine Muck Trinkwasser an den Mund. Die spröden, von weißem Schorf bedeckten Lippen zuckten. Gierig öffneten sie sich, die Kehle des Mannes verkrampfte sich in verzweifelten Schluckbewegungen.

      Siri-Tong benetzte ihm die Lippen und goß ihm etwas Wasser zwischen die Zähne. Ein Hustenkrampf schüttelte die hagere Gestalt. Aber das lebenspendende Naß tat seine Wirkung, die Lider des Unglücklichen begannen zu zukken und hoben sich schließlich.

      Ein irrer Blick tastete in die Runde. Dumpf und rasselnd klang das Stöhnen, das über die trockenen Lippen drang. Noch einmal goß die Rote Korsarin etwas Wasser in die ausgedörrte Kehle, und diesmal begann der Mann, in jäh erwachender Gier zu schlucken.

      „Vorsicht“, brummte der Wikinger. „Er darf nicht gleich zu viel trinken.“

      Siri-Tong hob den Kopf. „Er stirbt, Thorfin. Er hat nur noch Minuten. Warum soll er in diesen letzten Minuten nicht trinken, soviel er mag?“

      Aber schon nach den nächsten zwei, drei Schlucken sank der Mann schlaff zurück, als habe ihn der letzte


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