Seewölfe Paket 9. Roy Palmer

Читать онлайн книгу.

Seewölfe Paket 9 - Roy Palmer


Скачать книгу
Der Profos stand am Schanzkleid und starrte zum Kai, als hätte er einen Besenstiel verschluckt. Die anderen hatten ihre Arbeit unterbrochen und schienen von jäher Faulheit übermannt worden zu sein.

      Hasard trat mit zwei schnellen Schritten auf das Schanzkleid zu, gefolgt von Abbot Cummings.

      Im nächsten Atemzug spürte der Seewolf, wie seine Kinnlade haltlos herabsackte.

      Nie zuvor in seinem Leben hatte ihn eine solche Entgeisterung gepackt.

      Der, der dort mit seltsam abgehackten Schritten den Landgangsteg heraufstelzte, war kein geringerer als Sir Francis Drake. Seine Miene war die eines Leichenträgers, der zehn Verblichene auf einmal zu betreuen hat.

      Hasard sah seine Söhne, die den Admiral mit den grimmigen Gesichtern von Henkersknechten begleiteten.

      Der Seewolf glaubte, daß es ihn glatt aus den Stiefeln heben müsse.

      „Gleich trifft mich der Schlag“, murmelte Ed Carberry mit einer Fassungslosigkeit, wie sie der Seewolf noch nie an seinem Profos erlebt hatte.

      Doch dann, als Drake das Schanzkleid erreichte und seinen Fuß auf die Decksplanken der „Isabella“ setzte, konnte Carberry sich nicht mehr halten.

      Erst war es ein Grollen, das tief aus seiner mächtigen Brust drang. Es ging in ein Dröhnen über und schwoll zu einem röhrenden Gelächter an, das über die gesamte Mill Bay und die gesamte Stadt Plymouth hallte. Dieses urwelthafte Gelächter steckte an, erfaßte die Männer der „Isabella“, pflanzte sich fort zur „Le Vengeur“ und weiter über den Kai.

      Ein Orkan des Lachens brach aus.

      Nur drüben auf der „Revenge“ wurde keine Stimme laut. Die Gesichter der Drake-Mannen wurden lang und länger.

      „Halt!“ befahl Hasard Junior mit höchstmöglicher Stimmgewalt, denn er mußte gegen das donnernde Gelächter ankämpfen.

      Die Gesichtshaut des sehr ehrenwerten Admirals war purpurrot, und es schien, als würde sein Schädel jeden Moment zerspringen. Sein Blick fand keinen Zufluchtsort, denn von allen Seiten trafen ihn Hohn, Spott und Verachtung.

      Allmählich beruhigten sich die johlenden und grölenden Männer, denn sie alle hatten ein brennendes Interesse an der Erklärung.

      Hasard Junior ließ nicht lange darauf warten. Er trat einen Schritt beiseite, und erst jetzt sah sein Vater die kunstvoll ziselierte Radschloßpistole.

      Der Seewolf schüttelte den Kopf, schloß die Augen und öffnete sie wieder. Nein, es war kein Traum.

      „Philip und Hasard Killigrew melden sich an Bord zurück, Sir“, sagte Hasard Junior schnarrend. „Melden außerdem, den Admiral gefangengesetzt zu haben, weil er uns entfuhren wollte.“

      „Schlagen vor“, fügte Philip Junior hinzu, „diesen Schnapphahn von einem Admiral mindestens kielzuholen und anschließend zu teeren und zu federn.“

      Wieder schwollen die Lachsalven an.

      Doch dann war Edwin Carberry der erste, der still wurde. Er sah den Blick, diesen furchtbaren Blick, mit dem der Seewolf den Admiral maß. Carberrys plötzliches Verstummen griff auf die anderen über.

      Es wurde totenstill.

      Abermals erschrak Sir Francis Drake, als sein umherirrender Blick auf die eisblauen Augen Philip Hasard Killigrews traf.

      Da war eine so eisige Kälte in diesen Augen, daß Drake glaubte, in den Boden versinken zu müssen.

      „Jetzt ist es genug, Drake“, sagte der Seewolf mit einer Stimme, die so klirrend kalt war wie Gletschereis. „Dies ist das Letzte, was Sie sich herausgenommen haben. Noch so ein Bubenstück, und ich hole Sie mir Vor die Klinge! Verschwinden Sie! Aus meinen Augen, Sie Lump!“ Die letzten Worte brüllte Hasard, ohne daß er es gewollt hatte.

      Drake wich schwankend zurück. Sein Mund öffnete sich, doch er brachte keinen Laut heraus. Entsetzt und angsterfüllt starrte er den Seewolf an. Dann wirbelte er panikartig herum, verlor fast das Gleichgewicht, mußte sich am Schanzkleid festhalten und stolperte schließlich den Steg hinunter.

      Als er die Kutsche erreichte, verfingen sich seine Füße auf dem Trittbrett, und er stürzte der Länge nach zwischen die Sitzbänke.

      Der Kutscher trieb das Pferd zu rasendem Galopp an – eilends fort vom Schauplatz dieser größten Niederlage des Admirals.

      Sir Francis Drake, dessen Gesicht auf dem Kutschenholz blutige Schrammen davongetragen hatte, verspürte eine furchtbare Gewißheit.

      Jetzt war er es selbst, der sich einen Todfeind geschaffen hatte.

      Am Ende des Kais tauchte eine andere Kutsche auf. Doc Freemont, Bill und der Kutscher empfanden grenzenlose Erleichterung, als sie schon von weitem sahen, was sich abgespielt hatte.

      An Bord der „Isabella“ schloß Philip Hasard Killigrew schweigend seine Söhne in die Arme. Seine Lippen waren wie versiegelt. Aber Worte waren in diesem Augenblick ohnehin überflüssig.

      Edwin Carberry rieb sich verstohlen das rechte Auge mit dem Handrücken. Auch alle anderen aus der hartgesottenen, rauhbeinigen Crew standen in stummer Ergriffenheit da, als sie den Seewolf mit seinen Söhnen vereint sahen.

      Eins wußten sie alle: Sir Francis Drake gehörte nicht zu den Siegern.

      Nicht mehr …

image

      1.

      Der Mann hieß John Deventer, und er sah aus wie eine Made, die im Speck lebt. In diesem Falle war das Arsenal der Royal Navy in Plymouth der Speck, an dem sich John Deventer mästete, denn ihm unterstand das Arsenal, und wenn jemand einen Schiffsnagel, ein Stück Segeltuch, ein Faß Pökelfleisch oder eine Rolle Liektau haben wollte, dann mußte er zuerst bei John Deventer anklopfen.

      An diesem Morgen im September 1588 hatten Philip Hasard Killigrew, Kapitän der „Isabella VIII.“, und Jean Ribault, Kapitän der „Le Vengeur“, bei John Deventer angeklopft.

      So leicht war das gar nicht gewesen, denn um bis zu John Deventer vorzudringen, hatten sie eine Menge gebraucht: Geduld, gute Worte, dann weniger gute Worte und schließlich massive Drohungen.

      Der Weg zu John Deventer war mit einer Sorte von Schreiberlingen und Sekretären gepflastert, die sich allesamt für den Nabel der Welt hielten. Warum ein erster und ein zweiter Schreiberling sowie ein erster und ein zweiter Sekretär mit Stehpulten und Holzbalustraden, mit Wichtigkeit und dummen Fragen, mit Borniertheit und unverschämter Arroganz den Weg zu John Deventer verbarrikadierten, das mochte der Teufel wissen.

      Von jedem dieser gottähnlichen Wesen führte eine Tür weiter zum nächsten, noch gottähnlicheren Wesen. So gesehen war es eine Leiter, die ganz unten Schreiberling zwei besetzt hielt, dann folgte Schreiberling eins, die nächste Sprosse verteidigte Sekretär zwei, ihm reihte sich Sekretär eins an – und erst dann, vielleicht, durfte man vor das Angesicht John Deventers treten.

      Die beiden Schreiberlinge und die beiden Sekretäre hatten eins gemeinsam: den krummen Rücken – Folge ihrer Haltung vor ihrem Obergott John Deventer. Zeichen ihrer gehobenen Würde trugen im Unterschied zu den beiden Schreiberlingen die beiden Sekretäre, nämlich Perücken. Die Dinger rochen auch nach Staub wie alles, was sich im Dunstkreis dieser vier gottähnlichen Wesen bewegte.

      Als die Gefechte gegen die Armada begonnen hatten und nahezu der größte Teil der englischen Schiffe hier in Plymouth stationiert gewesen war, da waren es der Lordadmiral persönlich und Admiral Hawkins, der Baumeister der Royal Navy, gewesen, die das Arsenal des John Deventer auf Trab und in Schwung gebracht hatten. Da hatten tagtäglich und Woche für Woche die Schiffe, die draußen ihren Wachdienst versehen hatten und dann wieder eingelaufen waren, im Arsenal ihren Nachschub ergänzt, und das hatte geklappt.

      Aber die Schlacht war


Скачать книгу