Seewölfe Paket 29. Roy Palmer
Читать онлайн книгу.beantwortete der Stückmeister die fragenden Blicke der anderen. „Bevor wir den Hafen erreichen, wird es ein paar Leuten in Istanbul die Nachtruhe rauben.“
Sie setzten ihren Weg fort.
Für geraume Zeit waren der Nachhall der eigenen Schritte und das Rollen der Schubkarre die einzigen Geräusche, die sie vernahmen.
Jäh zuckte ein Blitz über das nächtliche Istanbul.
Die Arwenacks verharrten und wandten sich rasch um.
Mit grellem Rot, das sich fast zum Weiß hin färbte, stieg der Blitz am entfernten Stadtrand zum Nachthimmel auf.
Erst im nächsten Sekundenbruchteil folgte das urgewaltige Brüllen der Explosion. Es war, als hätte sich ein Gewitter zu einem einzigen geballten Donner vereinigt, der imstande war, jegliches Leben auszulöschen.
Doch dieser Eindruck trog.
Der Schaden, den die Detonation anrichtete, beschränkte sich auf das Gemäuer des Höllenfürsten.
Deutlich sahen die Arwenacks, wie Trümmerteile in der rot-weißlichen Lohe emporgewirbelt wurden. Nur langsam, unendlich langsam sank der Explosionsblitz in sich zusammen.
Der Seewolf und seine Männer marschierten weiter.
Sie hatten dem Höllenfürsten die Grundlage für sein teuflisches Handwerk entzogen. Das bedeutete aber noch lange nicht, daß er schon völlig am Ende war. Ein Mann von seiner Besessenheit würde immer wieder zu einem neuen Anfang finden.
Und ebenso würden immer wieder Auftraggeber zur Stelle sein, die begierig darauf waren, seine Dienste in Anspruch zu nehmen. Raffgier und Mißgunst mochten es in erster Linie sein, die in einer Stadt wie Istanbul dazu führten, daß sich Menschen gegenseitig nach dem Leben trachteten.
Deshalb durfte es einen Verbrecher wie den Höllenfürsten, der ihnen seine teuflischen Dienste anbot, nicht geben. Die möglichen Auftraggeber durften gar nicht erst in Versuchung geführt werden.
Süleyman Ayasli war eine Gefahr für das Gemeinwohl in dieser Stadt.
Und wenn man ihm nicht endgültig Einhalt gebot, konnte er mit seinem Fanatismus zu einer Gefahr für alle Bürger werden.
Er fror.
Die Nacht wurde merklich kühl, und etwas ging in seinem Inneren vor, das spürte er. Eine unerklärliche Art plötzlichen Ungehagens war es. Der Gedanke, in das kalte Wasser steigen und schwimmen zu müssen, war alles andere als erbaulich. Aber daran allein konnte es nicht liegen.
Süleyman Ayasli spürte mit allen Fasern seiner Sinne, daß sich etwas zusammenbraute, das gegen ihn gerichtet war.
Ein feindliches Bestreben, das sich gegen seine Macht wendete. Dabei hatte er sein Ziel nahezu erreicht – Herrscher über Leben und Tod zu sein. In Istanbul. Und bald auch darüber hinaus.
Seine Feinde wollten ihm diese Macht nehmen – diese verfluchten Christenhunde, die so unerwartet aufgetaucht waren und sich in alles einmischten. Was ging sie diese Stadt an? Welche Ansprüche leiteten sie aus der Tatsache ab, daß sie mit ihrem Schiff im Hafen vertäut hatten? Sie mußten größenwahnsinnig sein, daß sie sich solche Überheblichkeit anmaßten.
Aber er dachte nicht im entferntesten daran, etwa schon aufzugeben. Ihn, Süleyman Ayasli, beeindruckte man nicht durch Erfolge, die nur äußerlicher Art waren. Am Ende hatte er immer den längeren und vor allem stärkeren Arm gehabt. Nein, es gab niemanden, der ihm überlegen war.
Mit dieser neugewonnenen Zuversicht begann er, das Floß mit der Unterwasserbombe noch einmal genau zu überprüfen. Längst hatten sich seine Augen an das Mondlicht gewöhnt, so daß er die Einzelheiten fast wie bei Tage erkennen konnte.
Die Pulverladungen waren sicher befestigt, und alle Stellen, an denen möglicherweise Wasser hätte eindringen können, waren sorgsam abgedichtet. Die kleinen Eisendorne, die er an der Oberseite der Pulverkisten befestigt hatte, dienten dem Zweck, die Bombe unter dem Schiffsrumpf zu fixieren.
Mitsamt dem Floß würde er die Pulverladung unter Wasser drücken, am Schiffsrumpf entlang. Mittels der Dorne und der Auftriebskraft des Floßes würde die Bombe dann sicher an der Außenbeplankung des Zweimasters „kleben“. Und das Rohr, das über die Wasseroberfläche hinausragte, sorgte dann für eine ausreichende Luftzufuhr, wie sie für die glimmende Lunte erforderlich war.
Blitz und Donner ließen ihn zusammenzucken, als wäre er von einem furchtbaren Hieb getroffen worden.
Mit flackernden Augen starrte er zwischen den Schiffsmasten hindurch zum fernen Stadtrand, wo das Explosionsfeuer mit wirbelnden Trümmern zum Himmel emporstieß.
Also hatten sie es geschafft, diese Bastarde.
Diese verfluchten Christenhunde hatten ihr Ziel erreicht und ihm alles genommen.
Alles?
Nein. Er zwang sich, klar und nüchtern zu denken. Das Wertvollste hatte er noch immer. Die Kraft und Unüberwindbarkeit seiner Gedanken. Er war ihnen überlegen. Sie würden es schon noch spüren. Jetzt erst recht.
Er öffnete den Deckel des Luntengehäuses und wandte sich so mit dem Rücken zum Hafenbecken, daß die Zündfunken seiner Feuersteine nicht zu sehen waren. Innerhalb von Sekunden brachte er die Lunte zum Glimmen. Vorsichtig versenkte er das Ende in den Behälter, so daß die übrigen Windungen nicht berührt wurden.
Dann schloß er den Deckel und strich die Ränder mit Fett zu, das er in einer kleinen Dose bei sich hatte. Anschließend umhüllte er den Deckel mit zusätzlichem Ölpapier, das er festschnürte. Bei jeder Handbewegung achtete er darauf, das aus dem Luntenbehälter ragende Rohr nicht zu beschädigen.
Es war geschafft.
Langsam und vorsichtig zog er das Floß zum Ufer, direkt neben der trichterförmigen Einmündung zum Dock. Der Wellengang war mäßig, es wehte nur eine schwache Brise. Gefahr, daß die Pulverladung durch Spritzwasser vorzeitig unbrauchbar wurde, bestand also ebenfalls nicht.
Das Floß schwamm einwandfrei.
Ayasli ließ sich ins Wasser gleiten und zwang sich, die Kälte, die seinen Körper umhüllte, zu ignorieren. Er hatte Mühe, die Zähne so fest zusammenzupressen, daß sie nicht klapperten.
Dann schob er das Floß vor sich her und begann, mit kraftvollen Schwimmzügen in das Hafenbecken hinauszugleiten. Auf den Schiffen herrschte Nachtruhe. Die Wachen, die auf den Donner der Explosion aufmerksam geworden waren, starrten sich die Augen aus dem Kopf.
Ihre ganze Aufmerksamkeit galt jenem weit entfernten Punkt, wo der Flammenschein immer mehr in sich zusammensank. Niemand achtete auf die düstere Wasserfläche des Hafenbeckens, wo sich der Tod in seiner teuflischsten Form auf den Zweimaster der Engländer zubewegte.
„Das Fanal der Hölle!“ rief Old Donegal Daniel O’Flynn triumphierend. „Jetzt haben sie ihn beim Wickel, den Lumpenhund!“
„Sei still, Grandpa!“ rief Philip junior vorwurfsvoll. „Plymmie kann sich sonst nicht konzentrieren!“
Smoky und Matt Davies, die eben ihren Rundgang auf der Kuhl unterbrochen hatten, wechselten einen Blick und grinsten.
Old Donegal und der Kutscher hatten sich auf der Back postiert, während die Zwillinge mit der Wolfshündin auf dem Achterdeck Stellung bezogen hatten.
„Hast du so was schon gehört!“ Der alte O’Flynn kicherte. „Seit wann muß ein Hundevieh nachdenken! Ist doch ein Schnüffeltier, oder was sonst, he?“
„Plymmies Gehör spielt eine genauso große Rolle!“ rief Hasard junior empört. „Außerdem ist sie fast so intelligent wie ein Mensch. Der einzige kleine Unterschied ist bloß, daß sie nicht sprechen kann.“
„Hast du Töne!“ schnaufte Old Donegal. „Schnappt nur nicht über mit eurem vierbeinigen Liebling! Entweder er paßt auf, oder er paßt nicht auf. Da können doch ernsthafte Gespräche von Menschen nicht zurückstehen.“
„Das Fanal der Hölle!“