Seewölfe Paket 8. Roy Palmer
Читать онлайн книгу.schien es das Vorkastell erwischt zu haben – das war nur noch ein Trümmerhaufen, auf dem einzig der Fockpfahlmast noch stand, wenn auch schief und von einem Wirrwarr umgestürzter Lafetten, in die Luft ragender Bronzerohre verschiedenen Kalibers und zerfetzter Holzteile umgeben.
Hasards Blick wanderte weiter. Die Brustwehr war ziemlich zerhackt, aus dem Achterkastell schlugen Flammen. Gerade zerplatzte die protzige vergoldete Hecklaterne mit einem scharfen Knall und vergoß ringsum brennendes Öl. Bei den Dons dort auf dem Achterkastell brach das aus, was die Seewölfe mit „Zustand“ bezeichneten.
Hasard schüttelte den Kopf. Wieder einmal fragte er sich, wann die Spanier eigentlich begriffen, wie gefährlich diese ungeschützten, riesigen Lampen auf Schiffen waren. Eine Musketenkugel genügte, um diese Dinger explodieren zu lassen.
Genau dort, wo die Schiffsführung sich aufhielt, um den Überblick bei Manövern oder Gefechten zu haben, wurde sie durch diese idiotischen Hecklaternen gefährdet.
Am achteren Flaggenstock hinter der zerplatzten Hecklaterne lohte die Flagge Seiner Allerkatholischsten Majestät, des Königs von Spanien, in einer Flamme auf und wölbte sich bizarr, als lebe sie und leide unter den Schmerzen des Verbrennungstodes. Das Bild in der Mitte der Flagge mit den Wappenzeichen von Kastilien und Leon, Aragon, Sizilien, Granada und Portugal sowie dem gestickten Orden vom Goldenen Vlies samt der Königskrone zerfloß und wurde ein Fraß der gierigen Flammen.
Das war nur die Flagge.
Aber das herumspritzende, brennende Öl hatte auch Menschen getroffen. Sie schlugen um sich und rissen sich die Kleidung vom Körper. Zwei Männer – das sah Hasard – stürzten sich kopfüber von der Achterdecksplattform ins Wasser.
Die Galeere wurde von den Rudersklaven weiter vorangetrieben. Nichts schien sie aufhalten zu können – weder die schweren Treffer im Vor- und Achterkastell noch die um sich greifenden Flammen.
Ein eisiger Schreck durchfuhr Hasard.
Die Kriegsgaleere war zum Brander geworden – und er hatte sie mit seinem Beschuß dazu werden lassen! Wenn sie voll brennend das Flaggschiff erreichte und es schaffen sollte, sich dort zu vertäuen, dann war die Hölle los!
Seine Stimme fuhr wie Peitschenschlag über die Decks: „Sofort Feuer einstellen!“
Verwundert wandten die Männer ihm ihre rauchgeschwärzten Gesichter zu.
„Ed!“ schrie Hasard. „Holt dicht die Schoten! Wir gehen so hoch an den Wind wie irgend möglich! Wir müssen der Galeere den Weg abschneiden, bevor sie sich brennend an Drakes Flaggschiff legt! Kapiert!“
„Aye, aye, Sir!“ brüllte Carberry zurück.
„Pete, höher ’ran!“ befahl Hasard. „So hoch wie möglich, aber nicht kneifen!“
„Aye, aye, Sir“, sagte Pete Ballie und legte behutsam Ruder.
Hasard spähte zu der Galeere hinüber. Dort war der Ruderschlag erhöht worden. Der Kommandant – wenn er noch lebte – hatte begriffen, daß nur noch diese schlanke Dreimast-Galeone zwischen ihm und dem Flaggschiff stand. Wenn er seine Geschwindigkeit ausspielte, konnte es durchaus sein, daß er das Flaggschiff unangefochten erreichte. Der Lohn würde ein brennendes Inferno für die Engländer sein.
Hasard knirschte unbewußt mit den Zähnen. Jetzt ging es um jeden Yard, um jeden Zoll. Wenn der Wind raumte, also achterlicher einfiel, würde die gewonnene Höhe ausreichen, um der Galeere den Weg zu verlegen. Schralte der Wind, fiel also vorlicher ein, dann konnte Pete Ballie diesen Kurs nicht mehr halten und mußte abfallen. Die Galeere würde ihnen davonlaufen.
Dann blieb als letztes Mittel nur noch, ihre Steuerbordseite in Höhe der Wasserlinie zu perforieren, damit sie schnell vollief und absoff.
Das aber war das Todesurteil für die Rudersklaven.
Fluchend hieb Hasard die rechte Faust auf die Schmuckbalustrade. Die Peilung zu der Galeere wanderte langsam aus – sie war schneller als die „Isabella“. Wie viele Yards hatte sie noch bis zur „Elizabeth Bonaventura“? Zweihundert Yards etwa. Zweihundert Yards bis zur Ewigkeit!
Das anfeuernde Brüllen der peitschenschwingenden Antreiber und Aufseher schallte zur „Isabella“ herüber. Diese Bastarde! Sichtbar waren sie nicht, die Galeere war in Rauch und Qualm gehüllt, dazwischen zuckte und züngelte das Orangegelb und Rot der Flammen. Nur achtern sah Hasard undeutlich Gestalten, die sich bemühten, das Feuer zu dämpfen.
Natürlich – dort befand sich die hohe Schiffsführung, die etwas dagegen hatte, Verbrennungen hinzunehmen. Von dort ging der unbarmherzige Wille aus, das tödliche Brander-Instrument an den Feind zu bringen, mochte das niedere Schiffsvolk samt der ehr- und rechtlosen Rudersklaven dabei die Höllenqualen des Feuertodes erleiden. Was kümmerte das Kommandant und Offiziere!
Für einen kurzen Augenblick erwog Hasard die Möglichkeit, die Riemen auf der Steuerbordseite der Galeere mit gezieltem Beschuß zu zerstören.
Aber als er das dachte, spürte er den Wind, der ihn von Luv plötzlich anwehte.
Der Wind raumte!
Noch im Aufatmen zischte Hasard: „Höher ’ran, Pete, nutz den Drücker aus!“
„Aye, aye, Sir!“
Der Bug der „Isabella“ schwang um ein paar Grad nach Backbord – nicht zuviel und nicht zuwenig, genau richtig. Die Segel standen prall, etwas neigte sich die „Isabella“ nach Lee und jagte schäumend durchs Wasser.
Durch das Höherlaufen verkürzte sich der Weg zu der Galeere. Gebannt starrte Hasard hinüber. Ja, jetzt war die „Isabella“ wieder schneller – Windkraft gegen Muskelkraft! Segel gegen Riemen! Drüben bei der Galeere war eine Steigerung der Geschwindigkeit nicht mehr möglich. Die Grenze menschlicher Kraftleistung war erreicht – durch rücksichtslose Ausbeutung. Jetzt konnte auch der Zusammenbruch sehr schnell erfolgen, das jähe Absinken der Leistung, der Punkt totaler Erschöpfung.
Der Wind raumte noch stärker. Hasard brauchte nichts mehr zu befehlen. Pete Ballie luvte bereits an – vorsichtig, einfühlsam, aber doch auch lauernd, um noch mehr Höhe zu gewinnen.
„Fein, Pete“, sagte Hasard.
Der grauäugige, blonde, stämmige Rudergänger mit den Fäusten, die so groß wie Ankerklüsen waren, grinste zu seinem Kapitän hinüber, nur für einen Augenblick, dann wurde sein Gesicht wieder ernst und konzentriert.
„Pete“, sagte Hasard, „wenn wir diesen Kurs durchhalten und die Galeere nicht abschwenkt, rammen wir sie genau in Höhe des Vorkastells – was wir aber nicht tun werden, um uns nicht die Schnauze zu verbiegen. Etwa zehn Yards vor ihr – ich sag dir, wenn’s soweit ist – legst du Ruder, so daß wir in den Wind gehen und an der Galeere vorbeischurren. Ich will ihr die Riemen auf ihrer Steuerbordseite abrasieren. Alles klar?“
„Alles klar, Sir.“ Pete Ballie nickte. „Und dann entern?“
„Du sagst es.“ Hasard grinste wie ein Wolf, wandte sich zur Schmuckbalustrade und rief zur Kuhl hinunter: „Ben, alles klarmachen zum Entern!“
Ben Brighton zeigte verstanden, und dann begann auch er zu grinsen. Dieses Grinsen setzte sich auf den Gesichtern der Seewölfe fort. Hasard sah, wie Ed Carberry sich bückte, die Kettenkugel aufhob, die den Vormars getroffen hatte, und prüfend in der Hand wog. Offensichtlich plante er, sie den Dons um die Ohren zu schlagen.
Hasard drehte sich zu Ferris Tukker, dem rothaarigen, riesigen Schiffszimmermann der „Isabella“ um, der die achteren Drehbassen übernommen hatte. Ferris Tucker hatte bereits seine Axt in den Fäusten und starrte lüstern auf die Galeere.
„Daraus wird nichts, Ferris“, sagte Hasard sanft, „einer muß ja schließlich unsere alte Tante bewachen, oder?“
„Ist das ein Befehl?“
„Ja.“
Ferris Tucker nickte. „Geht in Ordnung, aber du kannst mir ruhig ein paar Philipps aufs Achterdeck schicken, damit ich nicht einschlafe.