Seewölfe Paket 10. Roy Palmer
Читать онлайн книгу.erwiesen, daß nämlich die Piraten von den Mädchen abgelassen hatten. Trunken vor Gier hatten sie in den Münzen gewühlt – und unter dem Einfluß dieses wilden Freudentaumels hatte Thomas dem Anführer Masot die Mär aufgebunden, es gäbe noch einen zweiten, größeren Teil von diesem Schatz.
Schon seit Jahren fertigte Thomas, der ein begabter Maler und Zeichner war, Bilder und Skizzen von Phantasie-Inseln der Südsee an. Es waren Tagträume von der Beschaffenheit des weltabgeschiedenen Paradieses schlechthin, hier und da mit Hawaii identisch, meistens aber dem großen Vorstellungsvermögen des Deutschen entsprungen.
Eine dieser Skizzen hatte Thomas dem Franzosen vorgelegt. Wie immer dieses Eiland, das als wichtigstes Merkmal über eine große Bucht im Westen verfügte, hieß, wo es lag und wer immer es bewohnte – Masot hatte beschlossen, es zu finden. Auf südlichem Kurs segelnd, so hatte er sich überlegt, müßte er auf die angegebene Position stoßen.
Zuerst hatte er vermutet, bei der Insel handele es sich um einen Teil des Hawaii-Archipels, aber das hatte sich bald als Irrtum herausgestellt.
Südlich von Hawaii gab es zunächst keine Inseln mehr – nur Wasser, endlos wirkendes, tiefblaues Wasser.
Masot hatte nicht aufgegeben. So war er mit seiner Meute und den Geiseln, die er von Hawaii mitgenommen hatte, zuerst auf der einen unbekannten Insel – die mit der Skizze hätte identisch sein können – und anschließend auf diesem Eiland gelandet, das genauso namenlos und unerforscht wie das erste war.
Die Hauptinsel und einige winzige Eilande, die an sie anschlossen, bildeten ein Atoll, in dessen Zentrum sich die Lagune ausdehnte. Masot hatte eine Passage zwischen den gefährlichen Korallenriffen entdeckt und so mit dem Dreimaster in die Lagune einlaufen und dort ankern können. Die Insel selbst war öde und unbewohnt, wie sich bald herausgestellt hatte, es gab hier nur viele Schildkröten und Vögel, und in der Lagune konnte man Fische fangen, soviel man wollte.
Unbewohnt – damit war eine Hoffnung von Thomas Federmann zerstört worden. Er hatte darauf gebaut, daß sie auf Eingeborene stoßen würden, mit denen Zegú und er sich verbünden konnten. Aber diese Illusion war nun zerstört. Es gab keine Hoffnungen mehr.
Thomas hatte Masot gegenüber immer wieder bestätigt, daß er das genaue Versteck des Schatzes zwar auf der Skizze nicht eingezeichnet habe, es jedoch aus dem Gedächtnis wiederfinden würde.
So hatte er behauptet, dies wäre nun die gesuchte Insel, und er würde auch den Schatz – gut eine Million spanische Achterstücke – heben. Er allein würde sich das zutrauen.
Masot war nach den sechs vergeblichen Versuchen mißtrauisch geworden, daraus rührte jetzt sein Hohn her. Andererseits hielt ihn seine Gier nach noch größerem Reichtum davon ab, das Unternehmen abzubrechen.
Masot stand mit gespreizten Beinen auf der kleinen, leicht erhöht liegenden Insellichtung und ließ seinen Gefangenen keinen Moment aus den Augen. Masot war ein großer, wuchtig gebauter Mann mit dunklen Augen, einer kleinen Nase und einem breiten Mund, der sich in einem mächtigen schwarzen Vollbart verbarg. Als Zierde und Symbol seiner Stellung trug er eine Art Dreispitz auf dem Kopf. Diese Kopfbedeckung war zwar an manchen Stellen eingerissen und verbeult, aber keinem der französischen Freibeuter wäre es eingefallen, über das ramponierte Stück zu grinsen.
Masots mächtiger Körper war fast bis zu den Fußknöcheln in einen einstmals weinroten und jetzt kaum noch definierbar gefärbten Umhang gehüllt – eine Trophäe aus einer von vielen Seeschlachten. Seine Beine steckten in weiten schmutziggrauen Hosen, die am Bund von einem Rohledergürtel zusammengehalten wurden. Er trug Stiefel, richtige Stulpenstiefel, während seine Kerle barfuß liefen, und quer über seine Brust spannte sich von der linken Schulter herab bis zur Hüfte hinunter ein breiter, schwerer Gurt mit einer riesigen Schnalle. Zwei geladene Pistolen steckten darin, außerdem ein Schiffshauer mit leicht gekrümmter Klinge und ein Messer.
Vom Strand der Lagune flackerte Feuerschein herüber.
Gugnot wandte den Kopf, sah zu dem zuckenden Licht hinüber und brummte: „Die anderen braten jetzt den Fisch, den wir heute nachmittag in der Lagune gefangen haben.“
„Die haben’s gut“, sagte Saint Cyr so leise, daß Masot ihn nicht verstehen konnte.
Das Grölen der Piraten drang deutlich an ihre Ohren.
Gugnot zerdrückte einen Fluch auf den Lippen, dann meinte er gedämpft: „Sie saufen Rum und machen sich’s so richtig gemütlich. Ich wette, sie holen sich auch noch die Weiber. Ja, die Hunde toben sich aus, nur wir zwei Narren stehen uns hier die Beine in den Bauch. Wie lange? Bis zum Morgen? O Mann, möglich ist alles.“
Saint Cyr schüttelte den Kopf und deutete auf den wankenden, schwitzenden Deutschen. „Kaum, Gugnot, kaum. Der hält nicht mehr lange durch. Er krepiert noch heute nacht, entweder vor Erschöpfung oder unter Masots Hieben, das versichere ich dir.“ Er grinste gemein.
Hier, in der unmittelbaren Nähe des Äquators, ging die Sonne von einem Augenblick zum anderen unter, und die Dunkelheit senkte sich übergangslos auf die See. Die Schatten der Nacht drohten die Umrisse des großen Dreimasters, der sich mit südlichem Kurs durch die Fluten schob, zu schlucken. Es gelang ihnen, als sich eine Wolkenbank vor die Mondsichel schob. Die Konturen der Galeone verschmolzen mit der Finsternis.
Old O’Flynn hatte das Achterdeck der „Isabella VIII.“ geentert und war zu Philip Hasard Killigrew und Siri-Tong getreten. Seine Miene war verkniffen und voll Mißtrauen, seine Augen schienen überall Unheil zu erspähen.
„Der Wind schralt“, sagte er. „Es ziehen immer mehr Wolken herauf, und ich schwör’s euch, bald ist der Himmel über uns dicht. Wir kriegen ein Wetter um die Ohren, das ist mal sicher – und die verfluchte Insel finden wir sowieso nicht mehr.“
„Donegal.“ Der Seewolf drehte sich langsam zu dem Alten um. „Du weißt schon, was ich dir jetzt sagen will.“
„Ja. Daß ich mal wieder die Geduld und das Vertrauen verloren habe.“
„Eben.“
„Aber das stimmt nicht. Die Geduld, schön, die geht mir abhanden, das will ich gern zugeben. Aber das Vertrauen in dich und unser Schiff fehlt mir natürlich nicht, soweit führt’s bei mir auch im allerdicksten Schlamassel nicht.“ Der Alte schnaufte verdrossen. „Nur das eine will ich dir verklaren, Sir: Allein mit dem Vertrauen und dem Glauben an das Glück ist es nun mal nicht getan. Und herzaubern kannst du die Insel, die wir suchen, auch nicht.“
„Dann tu du es doch, Donegal“, meldete sich eine unfreundliche Stimme von achtern. Big Old Shane trat auf sie zu. Der ehemalige Schmied und Waffenmeister von Arwenack-Castle hatte sich am Heck aufgehalten und offenbar den Befehl des Seewolfs abgewartet, die große Achterlaterne anzuzünden. „Streng dich an und zaubere sie her, die Insel, Donegal“, fuhr er fort. „Du bist doch so ein alter Hellseher und Geistermann, vielleicht hast du ja magische Kräfte. Statt so laut und beleidigt herumzuquaken wie ein alter Ochsenfrosch, würde ich an deiner Stelle lieber was Brauchbares unternehmen.“
Er blieb dicht vor Old O’Flynn stehen und verschränkte die Arme vor der Brust.
Ben Brighton und Ferris Tucker stiegen gerade den Backbordniedergang hoch, der das Achterdeck mit dem Quarterdeck verband. Sie hatten das meiste von dem Gesprochenen gehört, vor allem die Sätze von Old O’Flynn und Shane. Sie tauschten einen Blick und grinsten belustigt.
Donegal Daniel O’Flynns Züge verfinsterten sich noch mehr. „Paß mal auf, Shane, was es gleich für einen Zauber gibt, wenn du dein Lästermaul nicht hältst“, sagte er drohend.
„Lästermaul?“ Shane senkte den Kopf ein wenig und fixierte den Alten grimmig. „Das mußt du auch gerade sagen, du Stint. Soll ich dir mal verraten, was du bist?“
„Ja. Kann’s kaum erwarten, die Wahrheit über mich zu erfahren“, sagte der grantige Alte.
Siri-Tong lachte auf und sagte: „Nun hört aber auf, euch zu streiten, ihr beiden. Damit kommen wir auch nicht weiter. Donegal, auf was willst du überhaupt hinaus? Meinst du, es wäre besser, wenn wir umkehren?“