Seewölfe Paket 10. Roy Palmer

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Seewölfe Paket 10 - Roy Palmer


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Fäusten. Die Schatten der Nacht verwandelten sich in brüllende Wirbel, die ihn mitrissen und den Rachen der tobenden Bestien entgegenwarfen. Thomas lehnte sich zunächst vornüber, dann etwas nach rechts, dann gaben seine Knie nach, und er brach zusammen und blieb auf der rechten Körperseite liegen, reglos und zusammengekrümmt.

      Seine Ohnmacht war nur kurz. Er kam wieder zu sich und bemerkte als erstes, daß die grausige Vision gewichen war. Die Realität jedoch war bitterer als jeder Alptraum.

      Thomas wurde sich der Wirklichkeit wieder voll bewußt. Er preßte die Lippen zusammen, hielt die Augen fest geschlossen und wartete darauf, die Peitsche, die verdammte Peitsche wieder knallen zu hören.

      „Hund!“ tönte Masots rauhe Stimme über die dunkle Insellichtung. „Willst du wohl aufstehen? Denkst du im Ernst, ich falle auf deine närrischen Tricks herein? Auf die Beine mit dir, oder ich lasse dich wieder tanzen, du Bastard!“

      Thomas wollte etwas sagen, aber die Stimme versagte ihm den Dienst. Seine Gaumenhöhle war ausgetrocknet und ohne jedes Gefühl, die Zunge lag wie ein pelziger Klumpen darin.

      Die Peitsche knallte. Gierig griffen die Lederriemen mit den hineingeflochtenen Knoten nach seinem nackten Rücken und schienen sich darin festzukrallen. Neun Riemen, die dem Höllenwerkzeug seinen Namen gegeben hatten – die neunschwänzige Katze, die Geißel der Piraten.

      Heiß überrann es Thomas Federmann, stechend war der Schmerz, der seinen Rücken und den ganzen Körper durchfuhr. Er biß die Zähne zusammen und unterdrückte einen Schrei. Nur ein Stöhnen entrang sich seinen Lippen.

      Diesmal, dachte er, diesmal stirbst du wirklich. Es ist endgültig aus, aus und vorbei. Du warst ein Narr, dies alles zu beginnen und auch noch zu hoffen, daß es irgendwie schon klappen würde.

      „Hund!“ schrie Masot, der Piratenführer, noch einmal. „Ich will dein Gewinsel nicht hören. Zwing mich nicht, dich dauernd zu verdreschen! Grab weiter, schufte bis in die tiefe Nacht hinein, du kannst dich davor nicht drükken. Ich will den Schatz, hörst du? Den Schatz! Ehe du ihn mir nicht zeigst, gebe ich keine Ruhe. Er liegt doch hier, nicht wahr? Genau hier, an dieser Stelle, auf dieser elenden Lichtung ist er vergraben, stimmt’s?“

      Thomas war versucht, ihm die Wahrheit zu gestehen, aber dann bezwang er sich doch, denn er dachte an Zegú, den König von Hawaii, und an die Mädchen Mara und Hauula und an die anderen achtzehn Geiseln an Bord der Galeone „Saint Vincent“, die in der Lagune ankerte. Wenn er, Federmann, sich jetzt verriet, dann waren auch sie geliefert.

      „Ja“, preßte er darum hervor. „Es – stimmt – bin sicher …“

      Masot beugte sich etwas vor und fragte mit gespielter Freundlichkeit: „Du stehst also auf?“

      „Ja.“

      „Ich danke dir, mein Freund. Ich wußte, daß du wieder Vernunft annehmen würdest. Bist ein kluger Bursche, ich hab’s von Anfang an gesagt.“ Er richtete sich wieder auf und blickte zu den beiden anderen Piraten, die auf der Lichtung Wache hielten. „Gugnot und Saint Cyr, ist es nicht so? Sagt mir, daß es wahr ist.“

      „Ja“, brummte Gugnot. „Ein schlauer kleiner Hurensohn ist unser Freund. Das hast du gleich behauptet, als wir ihn auf Hawaii geschnappt haben.“

      „Mhm“, machte Saint Cyr bestätigend.

      Thomas erhob sich wankend. Unter Schmerzen, die siedendheiß und pulsierend über seinen Rücken jagten, griff er von neuem nach dem Spaten, stellte den rechten Fuß auf die Kante des Eisens, klammerte sich an dem Stiel fest und rammte die Spitze des Spatens in das Erdreich. Er verlor fast das Gleichgewicht, konnte sich aber im letzten Augenblick noch fangen.

      Masot, der bereits wieder drohend die Neunschwänzige schwang, entblößte seine großen, weißlich schimmernden Zähne. „Es ist klug von dir, folgsam zu sein. Was nutzt es dir, wenn ich dich windelweich schlage? Nun? Nichts, gar nichts, du hast recht. Mich beeindruckt dein Zustand nicht, ich habe kein Mitleid mit dir. Und jemand anderes stelle ich schon gar nicht an deinen Platz, denn ich will ja, daß du den Schatz hebst – du ganz allein. Du hast ihn hier eingekuhlt. Dir allein steht es nun zu, ihn wieder herauszuholen.“

      Ätzender Hohn lag in seiner Stimme.

      Thomas grub mit verbissener Anstrengung und bemühte sich, nicht auf Masots Worte zu hören. Knirschend schob sich das zugespitzte Eisen in den weichen Untergrund, und mit leisem Schmatzen löste sich die Scholle.

      Scholle um Scholle packte Thomas nach rechts und nach links auf die Erde, die er bereits ausgestochen hatte. Jedesmal hatte er den Eindruck, viele Pfunde Gewicht zu bewegen.

      Die Grube, die er hier aushob, war noch keinen halben Yard tief. Er wußte, daß er es nicht schaffen würde, auch nur einen Yard tief zu graben, und war schon jetzt sicher, daß er vorher wieder zusammenbrechen würde. Dieses war nicht das erste Loch, das er in den Inselboden trieb, er hatte auf dem großen, seltsam geformten Eiland, das die Lagune umschloß, schon ein halbes Dutzend gegraben – jedes Mal ohne den gewünschten Erfolg.

      Damit aber nicht genug: Vor drei Tagen hatten sie mit der Piraten-Galeone „Saint Vincent“ die nördliche Nachbarinsel angelaufen – wie sie hieß, wußten weder Federmann noch die entführten Bewohner Hawaiis – und waren dort gelandet. Masot hatte den Behauptungen des Deutschen geglaubt, bei diesem Fleckchen Erde handele es sich garantiert um die Insel, auf der er „seinerzeit den immensen Schatz vergraben hätte“.

      Dieser „immense Schatz“ war ebenso erfunden wie die Aussage, daß Thomas Federmann vor Jahren die Inselwelt der Südsee bereist hätte. Thomas, der Deutsche, hatte außer Hawaii und dessen Nachbarinseln bislang kein einziges der vielen Eilande, die es in diesem riesigen Meer geben sollte, kennengelernt.

      Er war dereinst aus Neu-Granada, das neuerdings auch Kolumbien genannt wurde, geflohen, und zwar an Bord einer spanischen Galeone – das stimmte. Was er für Masot, den französischen Freibeuterkapitän, jedoch hinzufabuliert hatte, war folgendes: Er, Thomas Federmann, hätte den Spaniern in der Neuen Welt einen Schatz entreißen können, ihn heimlich mit der Galeone fortgeschafft und nach einer gelungenen Meuterei an Bord des Schiffes, die ihm zum Kommando über die komplette Mannschaft verholfen hätte, auf zwei weit auseinander liegenden Inseln des Stillen Ozeans versteckt.

      Die eine Insel hatte keinen Namen, aber er hatte ihr Aussehen und ihre ungefähre geographische Lage auf einer Skizze festgehalten. Die zweite Insel war Hawaii, dort hätte er sich niedergelassen und Freundschaft mit den Insulanern geschlossen, hatte er Masot erzählt.

      Dieser Teil der Schilderung entsprach der Wahrheit, aber der Rest war wieder ein Produkt der reichen Phantasie des Deutschen: Bald hätte es Streit mit den übrigen Meuterern von der Galeone gegeben, hatte er behauptet, und ein Kampf wäre unvermeidlich gewesen. Aber die Insulaner hätten auf seiner Seite gestanden und bei einem Überraschungsangriff die Spanier dank ihrer zahlenmäßigen Überlegenheit überwältigen können.

      Die letzten Überlebenden wären in einer Schaluppe davongejagt worden, man hätte sie nie wiedergesehen. Die Galeone, mit der Thomas aus Neu-Granada geflohen war, hätte man zwischen Hawaii und Maui versenkt. So hätte man gehofft, mit dem einen Teil des Schatzes für alle Zeit in Frieden leben zu können – bis vor wenigen Tagen Masot und seine Piratenbande an Bord von zwei Schiffen, der „Saint Vincent“ und der „Saint Croix“, erschienen waren, um Hawaii zu überfallen.

      Was Masot gesucht hatte? Nun, in erster Linie hatte er wohl mit seinen Kerlen über die hübschen Mädchen der Insel herfallen wollen. Weiter hatte er sicherlich vorgehabt, seine Proviant- und Trinkwasservorräte zu erneuern. Ganz zufällig hatte er auf seiner Fahrt durch die Südsee dieses Inselparadies Hawaii entdeckt und sogleich beschlossen, ein wüstes Fest darauf zu feiern, eine Orgie.

      Thomas Federmann hatte ihn ablenken können. Natürlich hätte Masot ihm die abenteuerliche Geschichte niemals abgenommen, wenn nicht der „Beweis“ gewesen wäre: die spanischen Piaster, goldene und silberne Achterstücke, die der Deutsche vor einigen Jahren auf Anraten des Seewolfs hin im Inneren der Insel vergraben hatte. Es waren wohl fünfhunderttausend oder noch mehr Münzen, Thomas und die Polynesier hatten sie nie genau


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