Seewölfe Paket 10. Roy Palmer

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Seewölfe Paket 10 - Roy Palmer


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      Hauula erschien mit einemmal auch wieder auf der Kuhl. Sie trug ein kleines, stark abgeflachtes Metallbecken in ihren Händen, balancierte es vorsichtig vor sich her und transportierte es zu dem ersten Steuerbordgeschütz der Piratengaleone.

      Andai sah die Holzkohlenglut darin glimmen und begriff, was das Mädchen vorhatte. Wieder erstaunte es ihn, welche Tapferkeit Hauula an den Tag legte. Er lief zu ihr, half ihr, das Kohlebecken neben der Geschützlafette abzusetzen und griff dann instinktiv zu dem Luntenstock mit der Zündschnur, der mit dem anderen Zubehör der Kanone neben der Lafette bereitlag.

      Hauula wies auf das Kohlebecken. „Ich habe es auf dem Kombüsenherd vorgefunden“, erklärte sie. „Die Piraten müssen es dort für alle Fälle bereitgehalten haben.“

      „Und du meinst wirklich, daß die Kanone geladen ist?“ fragte Andai atemlos.

      „Versuchen wir es wenigstens.“

      Schüsse peitschten in der Lagune auf, Feuerblitze waren zu sehen. Andai und das Mädchen zogen augenblicklich die Köpfe ein. Die Jolle mit Grand Duc und den drei anderen Piraten darin – soviel hatte Andai durch einen raschen Blick über das Schanzkleid eben noch sehen können – war der Galeone wirklich bedrohlich nahe.

      Andai deutete auf die Stückpforte. „Wir müssen diese Klappe öffnen, glaube ich. Hilf mir.“ Er zerrte an der Verriegelung der Pforte.

      Numil und Moho glitten heran, um ihnen bei dem Vorhaben zu helfen.

      Die anderen Polynesier hatten das Beiboot jetzt über das Backbordschanzkleid hinausbefördert und begannen, es in Lee abzufieren.

      Heftiger strich der ablandige Wind über das Deck der Galeone.

      Wieder fiel in der heranschwimmenden Jolle ein Schuß, und diesmal glaubte Andai die Kugel haarscharf über seinen Kopf hinwegpfeifen zu hören.

      Er hatte die Verriegelung der Stückpforte gelöst. Numil zog sie vermittels des dazugehörigen Tampens auf, und sie konnten jetzt durch die Öffnung genau auf die Jolle mit den vier Seeräubern blicken.

      Hauula und Moho mühten sich damit ab, das Rohr der Kanone zu senken und sie in Feuerstellung zu bringen. Sie schafften es aber erst, als auch Andai und Numil mit zupackten.

      Die Mündung des schweren 17-Pfünders richtete sich durch den Lukensüll auf die Jolle der Piraten.

      Andai und seine Freunde taten dies alles zum erstenmal in ihrem Leben, aber sie wußten in etwa, wie sie mit der Culverine umzugehen hatten, denn Thomas Federmann hatte es ihnen zumindest theoretisch beigebracht. Der Erfolg, den sie mit den Handfeuerwaffen im Kampf gegen die Piraten zu verzeichnen gehabt hatten, bestärkte sie in ihrem Unternehmen.

      Ehe die Jolle sich noch näher an den Segler heranschieben konnte, hatte Andai die Lunte in der glühenden Holzkohle entfacht und senkte den Stock auf das Bodenstück der Culverine. Hauula, Moho und Numil wichen zu den Seiten fort und hielten die Hände gegen die Ohren.

      Andai sah, wie die Glut von der Lunte auf das Pulver im Zündkanal des Bodenstückes übersprang, und hörte es vernehmlich knistern. Dann rückte auch er aus der unmittelbaren Nähe des Geschützes fort – keinen Augenblick zu spät.

      Das Wummern der Explosion war ohrenbetäubend, Andai schützte seinen Kopf mit den Händen, weil er glaubte, die Culverine würde ihnen nun um die Ohren fliegen. Hauula stieß einen Schreckensschrei aus. Numil verlor vor lauter Aufregung das Gleichgewicht und stürzte auf die Planken.

      Der 17-Pfünder raste auf seiner Lafette zurück und spuckte Feuer und Eisen aus. Das Deck erbebte und schien zerspringen zu wollen. Es mutete wie ein Wunder an, daß die Planken diesem höllischen Rumpeln und Zittern doch standhielten. Die Brook stoppte den Rückstoß. Plötzlich stand das Geschütz still.

      Im Heulen der 17-Pfünder-Kugel war das Brüllen der Piraten in der Jolle zu vernehmen. Grand Duc und seine drei Begleiter schrien in Todesangst.

      4.

      Thomas Federmann grub und grub mit seinem Spaten, seine Hände hatten Blasen und waren an mehreren Stellen aufgeplatzt. Er keuchte und duckte sich unwillkürlich, als er einen mehrfachen Peitschenknall zu hören glaubte. Ließ Masot die Neunschwänzige jetzt ohne jeglichen Grund auf seinem Rükken tanzen? Hatte er die Geduld verloren? Wollte er ihn totschlagen?

      Die Gespenster der Nacht schienen wieder aus dem Busch zu schlüpfen und über den entkräfteten Deutschen herzufallen. Thomas fühlte es in seinem Kopf tosen und wirbeln, wankte wieder und vernahm kaum noch die Stimme Masots, die rief: „Teufel, was ist denn da unten in der Lagune los? Was …“

      Wieder knallte es – zweimal kurz hintereinander.

      „Das kommt von der ‚Saint Vincent‘“, sagte Gugnot verdattert.

      Und Saint Cyr stieß fassungslos aus: „Beim Donner, das hört sich ja ganz so wie ein Überfall an.“

      Masot drehte sich um, lief los und rief ihnen nur noch zu: „Paßt auf diesen Hurensohn von einem Deutschen auf! Ihr büßt mir mit eurem Kopf dafür, wenn er euch entwischt!“ Mit seinen letzten Worten verschwand er bereits im Dickicht, das die kleine Lichtung umsäumte.

      Thomas Federmann sank auf die Knie.

      Er kauerte jetzt in der fast einen Yard tiefen Grube, die weniger das Versteck eines riesigen Schatzes als vielmehr der Ort zu sein schien, an dem er sich zur ewigen Ruhe betten würde.

      Sein Grab!

      „Aufstehen und weitergraben, du Satansbraten!“ schrie Saint Cyr ihn an. „Bilde dir bloß nicht ein, du könntest jetzt faulenzen, weil Masot fort ist!“

      „Wird’s bald?“ rief Gugnot.

      Das Grollen, das jetzt von der Lagune herauftönte, schien geradewegs den Schlünden der Finsternis zu entspringen. In einer grausigen Vision sah Thomas all die Dämonen und Teufel, die Zerberusse und Schimären, die am Tag der großen Abrechnung wohl dem Jenseits entschlüpfen mußten, um auf Erden die Apokalypse herbeizuführen.

      „Das war eine von unseren Kanonen“, stieß Saint Cyr entsetzt hervor. Er drehte sich um, trat an den westlichen Rand der Lichtung und reckte in der Hoffnung, dort unten in der Lagune etwas Genaueres erkennen zu können, den Hals.

      Gugnot blickte von Thomas Federmann zu Saint Cyr und von dem Kumpanen zurück zu dem erschöpften Deutschen. Er wußte plötzlich nicht mehr, wie er sich verhalten sollte. Sollte er Federmann hochpeitschen – oder verlangte das Geschehen in der Inselbucht ihre volle Aufmerksamkeit? Wurden sie dort gebraucht?

      „Mist“, fluchte er. „Was wird hier gespielt? Was ist los, he? Was, Saint Cyr?“

      „Weiß ich das? Ich sage dir nur, das war eine unsrer Culverinen, da bin ich ganz sicher. Wessen Kanonen sollten hier wohl auch sonst in die Gegend feuern?“

      Thomas hockte immer noch schwitzend und entkräftet in der ausgehobenen Grube, aber sein Geist war jetzt wieder imstande, klare Gedanken zu fassen.

      Nein, du bist nicht verrückt, sagte er sich, noch hat die Stunde deines Unterganges nicht geschlagen. Noch hast du eine Chance.

      Er wandte den Kopf, öffnete die Augen und sah Saint Cyr und Gugnot dort drüben, keine drei Yards entfernt, am Rand der Lichtung. Blickten sie nicht über das Dickicht hinweg nach Westen – zum Inselstrand? Sie hatten ihm den Rücken zugekehrt.

      Er hielt den Atem an.

      Dann kroch er so vorsichtig wie möglich aus der Grube heraus.

      Er robbte von dem elenden, modrig riechenden Loch fort, fühlte, wie der Hauch des drohenden Todes von ihm abglitt und schöpfte neue Hoffnung. Ein unbändiger Lebenswille beseelte ihn plötzlich. Er ahnte, was auf der „Saint Vincent“ vorgefallen war.

      Er kroch weiter, immer weiter, und erreichte das schützende Gebüsch.

      Saint Cyr drehte sich um, um einen prüfenden Blick auf den Gefangenen zu werfen,


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