Seewölfe Paket 10. Roy Palmer

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Seewölfe Paket 10 - Roy Palmer


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um. Sein Blick fiel auf das zweite Beiboot der „Saint Vincent“, das festgezurrt und mit einem Stück gewachstem Segeltuch bedeckt auf der Backbordseite der Kuhl lag.

      „Rasch“, zischte er seinen Stammesbrüdern zu. „Wir müssen das Boot aussetzen und damit fliehen. Das Schiff können wir nie und nimmer aus der Lagune manövrieren, wir verstehen es nicht, mit so einem großen Segler umzugehen. Rasch, rasch.“

      Numil, Moho und die anderen jungen Männer eilten auf das Beiboot, eine Jolle, zu und lösten die Zurrings. Sie zerrten die Persenning herunter und schickten sich an, das Boot zunächst hoch- und dann außenbords zu hieven, um es anschließend an Backbord abfieren zu können – da wurden sie jäh in ihrer hastigen Tätigkeit gestört.

      Einer der vier Piraten von der Wachablösung, die beim Würfelspiel um einen wuchtigen Holztisch in der Mannschaftsmesse versammelt saßen, richtete sich plötzlich kerzengerade auf und wandte mit mißtrauischer Miene den Kopf.

      „Was war das?“ sagte er. „Still! Habt ihr das nicht gehört?“

      Sein Kumpan zur Rechten grinste und griff zur Muck, die bis zur Hälfte mit Rum gefüllt war. „Du glaubst doch wohl nicht, daß wir darauf hereinfallen, Henri. Hältst du uns wirklich für so dämlich?“

      „Ich erzähle keine Witze. Ich habe jemanden stöhnen hören.“

      „Stöhnen?“ wiederholte der, der ihm gegenübersaß. „Hölle und Teufel, du hörst und siehst wohl Gespenster, was?“

      „Nein.“ Henri stand auf. „Ich gehe nach oben und sehe nach, was los ist.“

      „Du hast zuviel Rum getrunken“, sagte der vierte. „Das ist es. He, wir sollten überhaupt mit der Sauferei aufhören, denn bald ist Wachwechsel. Masot und Grand Duc drehen uns die Hälse um, wenn sie uns stinkbesoffen bei der Mittelwache erwischen.“

      Henri rückte seinen Hocker beiseite und schritt auf das achtern befindliche Schott der Mannschaftsmesse zu. Er öffnete es, wandte sich dem Niedergang zu, der ihn nach oben, ein Deck höher, führte und zog dabei vorsorglich seine Pistole.

      „Er spinnt“, sagte der zweite Freibeuter in der Messe. Er hob die Muck an den Mund und nahm einen Schluck Rum. „Der Alkohol ist ihm wirklich zu Kopf gestiegen. Statt friedlich seine Freiwache abzusitzen, steckt er seine Nase in Angelegenheiten, die ihn nichts angehen.“

      Der dritte erhob sich aber auch und zückte wie Henri seine Pistole. „Mag sein, aber sicher ist sicher“, sagte er. „Ich gehe mit Henri rauf an Oberdeck und sehe nach dem Rechten.“

      Der vierte hob verwundert die Augenbrauen. „Verdammt, denkst du etwa, die Gefangenen …“

      „Ich denke gar nichts, ich finde nur, wir müssen ständig auf der Hut sein, ganz gleich, ob wir Wache haben oder nicht. Ihr zwei – kontrolliert mal das Kabelgatt und das Verlies der Weiber. Hölle, glotzt mich nicht so blöd an. Sie können da nicht raus, das weiß ich so gut wie ihr, aber Vorsicht ist immer noch besser als plötzlich überrascht zu werden, oder?“

      Damit war er beim Schott und stürmte Henri nach.

      Die beiden anderen verließen die Messe leicht schwankenden Schrittes in der entgegengesetzten Richtung und wandten sich dem Vordeck zu. Wenige Augenblicke später sollten sie die erschütternde Feststellung treffen, daß das Kabelgatt und auch der Gefängnisraum der jungen Frauen und Mädchen verlassen waren.

      Henri rannte ein Deck höher durch den Mittelgang der Hütte, stieß das Schott zur Kuhl auf – und sah die Polynesier, die an dem Beiboot hantierten. Er sah die reglos daliegenden Kumpane an der Steuerbordseite der Kuhl, sah Andai und Hauula und Mara, die verblüfft zu ihm herumfuhren – und dann brachte er seine Pistole in Anschlag auf die ausgebrochenen Gefangenen.

      Andai duckte sich tief und lief auf den Piraten zu.

      Henri stieß einen Fluch aus und krümmte den Zeigefinger um den Abzug der Pistole. Die Ladung zündete mit einem wahren Donnerhall. Schwer brach der Schuß, ein Feuerblitz stach auf Andai zu, und weißlicher Pulverqualm stieg zu den Rahen der „Saint Vincent“ auf.

      Fast im selben Augenblick fiel ein zweiter Schuß. Numil hatte die Muskete, die er auf der Kuhl erbeutet hatte, hochgerissen und mit dem Kolben gegen seine rechte Schulter gestemmt. Er stand hinter einem Backbordgeschütz und hatte geistesgegenwärtig auf den französischen Piraten gezielt. Jetzt raste die Musketenkugel auf Henri zu. Während Andai sich durch einen tigerhaften Satz nach links in Deckung warf, beging Henri den großen, folgenschweren Fehler, sich nicht um einen Zoll von seinem Platz im offenen Achterdecksschott wegzurühren.

      Die Kugel traf seine Brust und warf ihn zurück. Sein Körper prallte gegen den des nachdrängenden Piraten. Dieser Mann strauchelte und fiel, rapptelte sich aber flink wieder auf.

      „Henri“, stammelte er entgeistert. „Teufel, was …“

      Er sprach nicht weiter, denn er hatte jetzt den feuchten Fleck auf Henris Brust ertastet und spürte, daß jegliches Leben aus dem Leib des Kumpanen gewichen war.

      Mit einem mörderischen Fluch sprang er zum offenen Schott vor.

      Die anderen beiden Freibeuter aus der Mannschaftsmesse hatten sich derweil bis ins Vorschiff vorgearbeitet und trafen jetzt gerade Anstalten, dieses durch genau dasselbe Schott zu verlassen, das vorher auch die Insulaner benutzt hatten.

      Moho feuerte seine Muskete auf Henris Kumpan ab, der gerade in dem offenen Schott der Poop erschien. Es nutzte diesem Franzosen nichts mehr, daß er sich auf die Planken warf. Die Kugel traf seinen Kopf. Er hatte die Gefahr, der er sich hatte stellen wollen, unterschätzt.

      Hauula stieß einen Warnlaut aus.

      Die Männer von Hawaii fuhren daraufhin zum Vordeck herum. Buchstäblich im letzten Augenblick konnten sie sich hinter dem Beiboot und den Geschützen verstecken und sich so vor den Kugeln schützen, die die zwei Freibeuter vom Vordecksschott aus auf sie abfeuerten.

      Andai und ein anderer Insulaner rollten sich aus ihren Deckungen hervor und schossen aus zwei Pistolen, die sie vorher den Bordwachen abgenommen hatten, zurück, ehe die Piraten ihre leergeschossenen Musketen mit ihren Pistolen vertauschen konnten.

      Der eine Franzose brach getroffen zusammen und blieb halb auf dem Niedergang, halb auf den Planken der Kuhl liegen. Sein Mitstreiter schrie auf, warf sich herum und ergriff die Flucht.

      Zwei Polynesier hetzten ihm nach und waren im Vordeck verschwunden, bevor Andai sie daran hindern konnte.

      Andai blickte zu den Stammesbrüdern, die sich mit dem Beiboot beschäftigt hatten. „Schnell, hievt das Boot hoch!“ rief er ihnen zu. „Wir müssen fort, ehe die anderen Kerle über uns herfallen! Gegen sie können wir uns nicht behaupten!“

      Flüche in der Sprache der Freibeuter hallten vom Wasser der Lagune zu ihnen herüber.

      Mara, die einen Blick über das Steuerbordschanzkleid riskiert hatte, fuhr erschrocken zu den ihren herum und sagte: „Das Boot! Es ist uns jetzt sehr nahe!“

      „Andai“, stieß Hauula hervor. „Die Kanonen – sind sie nicht geladen?“

      „Ich weiß es nicht“, antwortete er. „Und keiner von uns kann mit diesen Geschützen umgehen.“

      Im Inneren des Schiffes krachte dumpf ein Pistolenschuß. Moho lief zum Vordecksschott, gefolgt von zwei anderen jungen Männern. Hauula hastete plötzlich auf das Kombüsenschott zu, das dicht daneben lag, riß es auf und tauchte in dem stockfinsteren Rechteck der Öffnung unter.

      Andai verfolgte es verstört und wußte nicht, ob er das Mädchen zurückholen oder gewähren lassen sollte. Er stand für einen Moment recht ratlos da, wandte sich dann aber den übrigen Männern und jungen Frauen zu, die jetzt mit vereinten Kräften das Beiboot der Galeone hochhievten, indem sie die Zugtaue Hand über Hand durchholten. Die Taue liefen durch Taljen, die an der Großrah und der Fockrah befestigt waren. Langsam hob sich die Jolle.

      Andai warf wieder einen Blick zum Vordeck und atmete auf, als er Moho und gleich darauf auch die anderen


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