Seewölfe - Piraten der Weltmeere 269. Roy Palmer
Читать онлайн книгу.„Ja.“ Juan erhob sich. „Wir gehen gleich los, und du führst uns, Maria. Die Dunkelheit ist unser Schutz. Es ist nicht das erste Mal, daß wir so was tun. Natürlich teilen wir uns die Beute. Einverstanden?“
„In Ordnung“, entgegnete sie. „Von mir aus können wir noch die Nacht über zusammenbleiben, ein kleines Feuer anzünden und die Eier braten. Vielleicht auch ein Hühnchen, wenn wir Glück haben. Ich bin eine ganz gute Köchin.“
Die beiden Männer nickten, aber sie erschauerten doch bei dem Gedanken an die gräßliche Krankheit, von der sie befallen war.
Jedoch war der Hunger schlimmer als die Furcht, und so verließen sie zu dritt den Metato und rückten aus, um sich die ersehnte Nahrung zu verschaffen.
2.
In Damiette an der östlichen Mündung des Nils waren die Seewölfe gezwungen gewesen, sich zu trennen, denn als geschlossene Crew hätten sie die Heimreise nach England nicht antreten können. So hatte Philip Hasard Killigrew drei Gruppen gebildet. Die erste unterstand seinem Kommando, die zweite dem Befehl Ben Brightons, und die dritte wurde von Ferris Tucker angeführt.
Ferris Tucker, Edwin Carberry, Stenmark, der Kutscher, Blacky, Jeff Bowie, Bill und Luke Morgan waren gleich in Damiette an Bord einer französischen Galeone namens „Mercure“ gegangen, die mit Kurs auf ihren Heimathafen Brest ausgelaufen war.
Hasard und Ben waren mit ihren Gruppen an Bord der Beiboote der „Isabella VIII.“ noch bis nach Alexandria gesegelt. Hier hatten auch sie sich getrennt, und Ben Brighton, Pete Ballie, Al Conroy, Smoky, Sam Roskill, Bob Grey, Will Thorne und Old O’Flynn segelten seitdem an Bord einer Sambuke in westlicher Richtung an der nordafrikanischen Küste entlang, während der Seewolf selbst den Weg zur offenen See gewählt hatte.
Hasard, die Zwillinge, Dan O’Flynn, Big Old Shane, Gary Andrews, Batuti und Matt Davies hatten zunächst eine Feluke gesegelt, später hatten sie Uluch Alis Flaggschiff – ebenfalls eine Feluke – als Prise genommen. Auf Sardinien aber hatten sie die Feluke mit einer Einmast-Tartane vertauscht, und diese diente ihnen jetzt auf dem weiteren Kurs nach Westen als Fahrzeug.
Der Seewolf wußte seit dem Erlebnis auf der kleinen Insel Marittimo bei Sizilien einiges über das Schicksal der Ferris-Tucker-Gruppe, doch er ahnte nicht, daß Ferris und Ben mit den ihnen anvertrauten Männern bereits viel weiter westlich lagen als er selbst. Nur hoffen konnte er, daß sie sich bald wiedertrafen – doch diese Hoffnung sollte enttäuscht werden.
Zwei Gruppen der Seewölfe nahmen inzwischen also direkten Kurs auf Gibraltar – die von Ben Brighton mit der Sambuke und vier geborgenen Schatztruhen von dem Wrack der „San Marco“ an Bord und mit einem neuen Mann, nämlich Bens Bruder Roger Brighton, sowie die von Ferris Tucker auf der französischen Handels-Galeone „Mercure“.
Diese beiden Gruppen hatten ihr letztes zufälliges Zusammentreffen im Seegebiet um Malta gehabt, und zwar am 11. Juni 1592, als Bens Sambuke von den drei Feluken Muley Salahs umstellt worden, im letzten Moment aber von der Tucker-Gruppe mit der „Mercure“ herausgepaukt worden war. Beide Gruppen hatten sich nach kurzem Wiedersehen und einem gegenseitigen Erlebnisbericht wieder getrennt und waren erneut dem nach Westen verlaufenden Zielkurs gefolgt.
Ben Brightons Sambuke war schneller als die französische Galeone unter dem Kommando von Kapitän Delamotte. Infolgedessen stand er mit dem kleinen Schiff in dieser Nacht vom 20. auf den 21. Juni bereits südwestlich von Malaga, nur noch etwa fünfzig Meilen von Gibraltar entfernt. Die „Mercure“ jedoch befand sich zum selben Zeitpunkt erst südlich von Kap Gata, etwa auf der Höhe von Almeria, also ungefähr ein Etmal – eine Tagesreise – hinter der Sambuke.
Ben Brighton hatte sich während der letzten Tage so weit wie möglich an der spanischen Küste „entlanggemogelt“, um den nordafrikanischen Piraten aus dem Weg zu gehen, mit denen seine Männer und er eingehende Erfahrungen gesammelt hatten.
Bislang hatte seine Taktik den gewünschten Erfolg gezeitigt, und sie waren unbehelligt geblieben. Sobald sich voraus oder vom südwestlichen Sektor her etwas näherte oder in Sichtweite geriet, war er unverzüglich nach Norden ausgewichen, denn es war ratsam, sich mit Uluch Alis Galgenstricken nicht mehr anzulegen.
Jetzt aber waren die Männer an der Sambuke erschöpft, denn sie waren Tag und Nacht gesegelt – mit jeweils vierstündiger Wachablösung. Das zehrte auf die Dauer an Energien und Nerven, wenn man nur zwei Wachen zur Verfügung hatte. Und was die Ausgucks betraf: Wer vier Stunden ununterbrochen mit dem Kieker oder mit dem bloßen Auge die Kimm nach etwaigen Verfolgern absuchte und nadelfeine Mastspitzen zu erkennen trachtete, der wußte auch sehr wohl, was er getan hatte.
Doch bisher hatte es dank ihrer Aufmerksamkeit und ihrer Ausweichtaktik keine Unannehmlichkeiten mehr gegeben, und allein das zählte.
„Ärger kriegen wir im Mitelmeer nicht mehr“, sagte Old O’Flynn in dieser Nacht zu Ben Brighton. „Ich bin ja sonst ein alter Schwarzmaler, aber ich fühl’s in meinem Holzbein – bald sind wir im Atlantik und kriegen die Schatzkisten heil und sicher bis nach Plymouth rauf.“
„Langsam, langsam“, sagte Ben. „Man soll den Tag nicht vor dem Abend loben.“
„Wieso?“ fragte Pete Ballie grinsend. „Es ist doch schon stockdunkel, oder? Was soll uns denn jetzt noch passieren?“
„Ich will euren Optimismus nicht dämpfen“, entgegnete Ben. „Und ich verstehe sehr gut, wie euch zumute ist. Aber wir haben schon die unglaublichsten Sachen erlebt, das wißt ihr selbst. Laßt uns erst mal den morgigen Tag in Angriff nehmen und hinter uns bringen, dann könnten wir immer noch ‚Arwenack‘ schreien.“
„Da hast du wohl recht“, brummte der alte O’Flynn. „Und meistens gehe ich ja auch baden, wenn ich schon mal zuversichtlich bin. Hol’s der Henker, es ist schon ein Dreck, daß man nicht hinter die Kimm blicken kann.“
„Laß man, Donegal“, sagte Will Thorne, der ebenfalls mit zu dieser Wache gehörte. „Bislang ist alles klar gelaufen, und dabei bleibt es auch.“
Doch der vorsichtige, stets besonnene Ben Brighton sollte am Ende recht behalten – bald war es aus mit der Ruhe, schon am Tag, der auf diese Nacht folgte.
Das Gehöft lag nur schätzungsweise eine Meile von dem Metato entfernt, und zwar in östlicher Richtung. Juan und Baltasar gelangten zu der Überzeugung, daß Maria sie wohl doch nicht angelogen hatte. Alles schien zu stimmen.
Zu der Feststellung, daß die Kastanienröststube zu dem Bauernhof gehörte, brauchte man wahrhaftig keinen Scharfsinn. Juan dachte jedoch weiter und gelangte zu dem Schluß, daß es nach der vollzogenen Aktion auf jeden Fall ratsam war, nicht wieder in den Metato zurückzukehren, sondern sich tiefer in die Olivenhügel zurückzuziehen, um woanders unterzukriechen.
Stellte der Bauer nämlich frühzeitig fest, daß zweibeinige Marder in seinen Stallungen gewesen waren, dann suchte er mit Sicherheit zuerst die nähere Umgebung ab und sah garantiert in dem Häuschen nach dem Rechten.
Irgendwo anders würde es auch wieder verlassene Hütten geben, und so beschloß Juan bei sich, seine beiden Begleiter lieber zu einem längeren Marsch zu zwingen, um anschließend dann in Ruhe schmausen zu können, statt mit Angst im Nacken alles hastig herunterzuschlingen, nur um dem ewig mekkernden und jammernden Baltasar einen Gefallen zu tun.
Nachdem sie das Gehöft aus einem sicheren Versteck heraus einige Zeit lang beobachtet hatten, stand Juans simpler Plan fest. Einen Hund schien es nicht zu geben, sonst hätte man ihn hin und wieder bellen hören. Diese Gefahr war also von vornherein gebannt. Im Haus war alles ruhig, nirgends brannte Licht. Der Bauer und seine Familie schliefen mit Sicherheit den gerechten Schlaf der Arbeitsamen.
Die Hühner dösten in einem Verschlag, der an seiner Vorderseite von einem Zaun umgeben war. Von hinten konnte man in den kleinen Stall einsteigen, wenn man die Geschicklichkeit hatte, sich erstens lautlos zu bewegen und zweitens ein paar Latten zu lösen, die dann die erforderliche Lücke freigaben.
Juan