Mama, ich höre dich. Alwin Meyer

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Mama, ich höre dich - Alwin Meyer


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›Schneller, die Suppe wird kalt. Die wartet schon auf euch.‹« – Yehuda Bacon: »Die Menschen waren doch sehr hungrig nach der oft tagelangen Fahrt.« – »Dann«, so die vom »Sonderkommando«, »fährt der SS-Mann fort: ›Merkt euch genau die Nummer und bindet schön die Schuhe zusammen, dass ihr nach der Dusche eure Sachen wiederfindet.‹« – Und »als sie entkleidet waren«, so Yehuda Bacon, »wurden sie weitergejagt in die Gaskammern«. – Später gingen sie noch auf das Dach des Krematoriums und »sahen dort einen Deckel«. – »Den hebt der SS-Mann an«, erklärten die Häftlinge des »Sonderkommandos« den Kindern und Jugendlichen, »und der SS-Mann schüttete rein das Giftgas Zyklon-B«. – Mit dem Rollwagen-Kommando« war Yehuda öfters im Krematorium Nummer III. »Wir mussten auch die Asche der Ermordeten und Verbrannten aufladen und mitnehmen. Die haben wir damals auf die vereisten Wege im Frauenlager gestreut.«

      Auschwitz-Birkenau Ende Januar 1945. Aus dem Lager konnten lediglich 521 Kinder, die 14 Jahre und jünger waren, befreit werden. Darunter waren auch Neugeborene und kleine Kinder.

      An der Rampe mussten sowohl die ins Lager eingelieferten als auch die zur Ermordung vorgesehenen Menschen ihre Koffer zurücklassen. In großen Magazinen, die sich insbesondere in einem Barackenkomplex in der Nähe des »Stammlagers« befanden, sowie in dreißig Baracken in Auschwitz-Birkenau, ließ die SS das geraubte Hab und Gut sortieren und aufbewahren. Von den Entrechteten wurden diese Magazine »Kanada« genannt, weil sie die gewaltige Masse der geraubten Güter als »Symbol des Reichtums« mit dem Land Kanada verbanden. Die SS bezeichnete diese Magazine als »Effektenkammern« oder »Effektenlager«. In der Regel hatten mehrere hundert Häftlinge diese Sklavenarbeit zu verrichten. Während die Anzahl der Transporte, vor allem mit Kindern, Frauen und Männern aus Ungarn, in den Monaten Mai bis Juni 1944 zunahm, bestand das »Kanada-Kommando« aus bis zu 2.000 Frauen und Männern.31

      Der Besitz der Ermordeten wurde an verschiedene Dienststellen der SS, der Wehrmacht wie auch an die deutsche Bevölkerung verteilt. Wertgegenstände, dazu zählten auch die den Ermordeten ausgebrochenen Goldzähne, wurden an die Deutsche Reichsbank weitergeleitet. Die abgeschnittenen Haare aus elf anderen Konzentrationslagern verkaufte die SS zum Preis von fünfzig Reichspfennigen pro Kilo zum Beispiel an eine Filzfabrik; aus ihnen wurden unter anderem Garn oder Haarfilzstrümpfe hergestellt. Bis Februar 1943 waren aus den Vernichtungslagern Auschwitz und Majdanek schon 824 Eisenbahnwaggons mit geraubten Textilien und Ledererzeugnissen verschickt worden.32 Und im Zeitraum vom 1. Dezember 1944 bis zum 15. Januar 1945 wurden 99.922 Stücke Kinder-, 192.652 Frauen- und 222.269 Männerbekleidung nach Nazi-Deutschland versandt.33

      Die in Auschwitz-Birkenau vorläufig am Leben gelassenen Menschen wurden von der Rampe überstellt in eine der sogenannten Saunas, die sich in mehreren Lagerabschnitten befanden, oder in die »Zentrale Sauna«, die im Nazijargon »Entwesungs- und Desinfektionsanlage« hieß. Diese befand sich in unmittelbarer Nähe der Massenvernichtungsanlagen im Bunker II sowie der Krematorien IV und V.34 – In den »Saunas« wurden die Menschen gezwungen, sich auszuziehen. Falls bei größeren Transporten der Platz nicht ausreichte, mussten sie sich draußen ihrer Kleidung entledigen, auch bei tiefen Minusgraden. Noch möglicherweise am Körper getragene Wertsachen und Geld wurden ihnen abgenommen. Alle Haare, auch die Schamhaare, wurden entfernt, oft mit stumpfen Scheren, was zu sehr schmerzhaften Verletzungen führte. Danach wurden sie mit zu kaltem oder zu heißem Wasser geduscht. Anschließend bekamen sie neue Bekleidung zugeteilt, die oft verschmutzt, verlaust, zu groß oder zu klein war. Schließlich bekamen die Verschleppten eine Nummer, meist in den linken Unterarm, eintätowiert.35 Diese Nummer ersetzte fortan den Namen. Für die »Herrenmenschen« waren sie keine Menschen mehr. Wurden sie von einem SS-Mann gerufen, mussten sie antreten, sechs Schritte vor ihm strammstehen und sich zum Beispiel wie folgt melden: »Häftling 20034 meldet sich gehorsam zur Stelle.«36

      Die »Entwesung« und »Desinfektion« der vorläufig am Leben gelassenen geschah in großer Eile. Befehle und Kanonaden von Beschimpfungen auf Deutsch prasselten auf die Häftlinge ein, die oft nichts verstehen konnten. Dabei wurden sie von der SS und den sogenannten Funktionshäftlingen geschlagen.37 Manchmal wurden in den »Saunas« erneute Selektionen durchgeführt und auch Schwangere, die bisher unentdeckt geblieben waren, in die Gaskammern geschickt.38

      Für Heinz Kounio, Vater Salvator, Mutter Hella und Schwester Erika schlossen sich am 12. März 1943 die Waggontüren in Thessaloniki. »Nach vielen rauen Tagen erreichten wir Auschwitz-Birkenau am 20. März.«

       Kinder aus vielen Ländern

      Ab 1940 wurden Kinder und Jugendliche aus vielen Ländern nach Auschwitz deportiert. Das geht aus Originaldokumenten der NS-Lagerbehörden hervor, illegal von Entrechteten angefertigten Abschriften von Meldungen und Listen, Vermerken und anderen Schreiben sowie zahlreichen Aussagen ehemaliger Häftlinge. Schon in einem ersten großen Transport aus dem polnischen Tarnów von Mitte Juni 1940 befand sich eine größere Anzahl von Oberschülern. Diese Jungen waren wahrscheinlich 15 Jahre oder älter. Die unvollständig erhalten gebliebenen Namenslisten enthalten nämlich nicht das genaue oder gar kein Geburtsdatum. In diesem Transport befanden sich auch Mitglieder einer Jugendgruppe, die illegal Flugblätter gegen die deutschen Besatzer verteilt und Nachrichten der alliierten Rundfunkstationen weitergegeben hatten.1

      Am 15. August 1942 trafen mit einem Transport aus dem in der Nähe von Kattowitz gelegenen Sosnowiec ungefähr 2.000 jüdische Kinder, Frauen und Männer in Auschwitz ein. Nach der Selektion bekamen 75 Frauen die Nummern 17147 bis 17221, und 27 Männer die Ziffern 59018 bis 59044 eintätowiert. Die anderen etwa 1.898 Menschen wurden in den Gaskammern getötet.2

      Am 28. Oktober 1942 kamen mit dem ersten Transport aus dem Lagerghetto Theresienstadt 1.866 Juden – Kinder, Frauen und Männer – im Lager an. Theresienstadt war, wie sich herausstellen sollte, für die meisten der dort inhaftierten rund 150.000 Menschen die Vorstufe zu ihrer Ermordung.3 Nach der Selektion wurden 215 Männer und 32 Frauen als Häftlinge in das Lager eingewiesen und mit den Nummern 71060 bis 71274 (Männer) beziehungsweise 23275 bis 23306 (Frauen) registriert. Die übrigen 1.619 Menschen wurden in den Gaskammern ermordet.4

      Ende November 1942 begann die deutsche Besatzungsmacht mit der Aussiedlung der polnischen Bevölkerung im Raum Zamość, im heutigen Südosten Polens. Etwa 110.000 Menschen, darunter rund 30.000 Kinder, mussten »deutschen Kolonialisten« weichen.5 – Mit zwei Transporten, am 13. und 16. Dezember 1942, trafen 718 Kinder, Frauen und Männer aus Zamość in Auschwitz ein. Am 5. Februar 1943 kam ein weiterer »Transport mit Polen und Juden, die aus der Region Zamość ausgesiedelt worden sind« ins Lager, heißt es im »Kalendarium der Ereignisse im Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau«: »Der Transport umfasst 1.000 Menschen. Nach der Selektion werden 282 Männer, die die Nummern 100096 bis 100337 erhalten, sowie 301 Frauen, die die Nummern 34289 bis 34589 erhalten, als Häftlinge in das Lager eingewiesen. Die übrigen 417 Menschen werden in den Gaskammern getötet.«6 Weitere Kinder aus den drei Transporten wurden am 21. Januar und 23. Februar 1943 »abgespritzt«. Die 41 Jungen waren acht, neun, 13 und bis zu 17 Jahre alt.7

      532 jüdische Kinder, Frauen und Männer aus Norwegen erreichten am 1. Dezember 1942 das Lager. Nach der Selektion wurden 186 Männer, die die Nummern 79064 bis 79249 erhielten, als Häftlinge in das Lager eingewiesen. Die anderen 346 Menschen wurden vergast.8 – Eine der Ermordeten war KATHE LASNIK, 15 Jahre jung. Fünf Tage zuvor war sie in Oslo verhaftet worden. Zusammen mit ihren Eltern Elias und Dora Lasnik und ihrer Schwester Anna hatte man sie im Hafen von Oslo auf das deutsche Truppentransportschiff »Donau« getrieben. Das brachte die Familie und die anderen Deportierten nach Stettin. Von dort ging es mit dem Zug nach Auschwitz.9

      In diesem Transport befand sich auch der bald 21-jährige


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