Tambara und das Geheimnis von Kreta. Heike M. Major

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Tambara und das Geheimnis von Kreta - Heike M. Major


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immer wieder. Nach etlichen Gesprächen mit verschiedenen Konzernspitzen und Regierungsvertretern schien auch der Entdecker selber nicht mehr von der Notwendigkeit einer Veröffentlichung überzeugt. So zog er sich aus Tambara zurück, ohne je sein Geheimnis gelüftet zu haben.“

      Es klopfte.

      „Ja, bitte!“

      Die Griechin, die Reb an der Rezeption empfangen hatte, erschien in der Tür. Sie hatte ihr Kleid gegen einen gut sitzenden Hosenanzug ausgetauscht und wirkte jetzt dezent gestylt. Es war ein sehr eleganter Anzug aus einem edlen Stoff in Hellbeige, die Hose im Palazzo-Stil, ein gerade geschnittenes, bis zur Hüfte reichendes Oberteil mit rundem Ausschnitt, ärmellos, darunter ein schneeweißes Shirt mit kurzem Arm. Ihre Haare hatte sie zu einer straffen, glänzenden Rolle hochgesteckt, ein paar mahagonifarbene Strähnen durchbrachen das tiefe Schwarz der perfekt sitzenden Frisur. Ein Hauch von Schminke auf ihrer makellosen Haut ließ sie frisch und jugendlich aussehen.

      „Ich hoffe, ich komme nicht ungelegen“, entschuldigte sie sich. „Mein Name ist Eléni. Ich bin die Tochter des Besitzers und möchte Sie in unserem Hotel willkommen heißen. Normalerweise begrüßen wir die wenigen Gäste, die in unserem Hause Station machen, persönlich, nur heute hatte ich noch keine Gelegenheit dazu. Dies möchte ich jetzt nachholen.“

      Sie wirkte äußerst professionell und überreichte ihm einen Korb mit Früchten aus der Region, einem flachen Teller, dem passenden Besteck, einer kleinen Flasche Wein und einer großen Flasche Mineralwasser.

      „Herzlich willkommen also, und wenn Sie irgendwelche Wünsche oder Fragen haben, scheuen Sie sich nicht, mich anzusprechen.“

      Ihr Blick fiel auf den Artikel an der Computerwand. Sie registrierte die aufgeschlagene Seite und schaute ihren Gast fragend an.

      „Recherchen – für das Kreta-Projekt“, log Reb. „Aber ich habe noch nicht das Richtige gefunden.“

      Die Griechin schien betroffen, überlegte einen Moment und sagte dann leise, aber eindringlich: „Sie werden uns keine Schwierigkeiten bereiten, nicht wahr?“

       5

      „Nein, nein“, stöhnte Soul hinter der Scheibe in das Studiomikrofon. „Wir wollen keinen Hit kreieren, dies hier ist Jazz. Jazz bedeutet Emotion, Erregung, das spielt man mit Gefühl, verstehen Sie, Jaazzz, meine Herren, Jaaazzzzz!“

      „Woher sollen wir wissen, was Jazz ist“, entgegnete einer der Herren trocken.

      Die Studiomusiker im Aufnahmeraum schauten sie durch das Glas teilnahmslos an. Aber sie hatten recht. Woher sollten diese Leute, die in einer Welt aufgewachsen waren, in der ein Hit nach dem anderen produziert wurde und jeder Versuch, auch nur ansatzweise einen eigenen Stil zu kreieren, mit der Begründung „keine Aussicht auf Massenproduktion“ im Keim erstickt wurde, wissen, was Jazz war.

      „Entschuldigung, Sie haben recht“, lenkte Soul ein. „Machen wir Schluss für heute. Ich werde sehen, ob ich im Archiv einige alte Aufnahmen auftreiben kann, die Ihnen eine Vorstellung von dem vermitteln, was ich meine.“

      Erleichtert packten die Musiker ein. Auch Soul machte sich auf den Heimweg, wollte aber vorher noch kurz bei ihrer Mutter vorbeischauen. Ein wenig gedankenverloren schlenderte sie zu deren Arbeitsräumen hinüber. Ihre Mutter würde sicher ein passendes Stück zum Einhören in die entsprechende Stilrichtung finden. Als Professorin für Musik an der hiesigen Universität hatte sie Zugang zu wichtigen Quellen und in ihrer Freizeit fleißig Material für ihre Lieblingsmusik, den Soul und populären Jazz, gesammelt, was ihr nun, da die Vergangenheit immer mehr in den Blickpunkt der Öffentlichkeit rückte, einen bescheidenen Ruhm eingebracht hatte. Ihre Konzerte, in denen sie die alte Musik mit Unterstützung ihrer Tochter wiederaufleben ließ, fanden überall großen Anklang.

      Das Aufnahmestudio war leer, das Büro nebenan ebenfalls. Soul ging zu dem Obstteller hinüber, der im Büro auf dem Schreibtisch stand, und schnappte sich einen Tambara-Apfel. Sir W.I.T. fiel ihr ein, der Erfinder dieses Apfels, des einzigen Apfels, den es heutzutage noch zu kaufen gab. In einer Welt, in der nur das Beste überleben konnte und auch das Obst einem gentechnischen Optimierungsprozess unterzogen worden war, verkauften die Supermärkte von jeder Obstsorte mittlerweile nur noch die jeweils wirtschaftlich Einträglichste. So lagen auch jetzt auf dem Teller vor ihr noch zwei Chicotora-Bananen, eine Lianca-Birne und ein Petrochini-Pfirsich, prachtvolle Früchte, die aussahen wie von einem Maler idealtypisch auf die Leinwand gebannt.

      Sir W.I.T. hatte den jungen Leuten geholfen, ihre Eltern mitsamt den restlichen zweihundert Gefangenen aus dem Kornreservat zu befreien. Ohne seine Hilfe hätten sie es nie geschafft. Erst später erfuhr sie von seinem eigentlichen Motiv. Er hatte seine geschiedene Frau befreien wollen, für die er sich trotz Scheidung immer noch verantwortlich fühlte. In die Dankbarkeit, die sie für diesen Mann empfand, mischte sich regelmäßig ein Hauch von Zorn. Soul hegte ihm gegenüber, wie sie nicht gerne zugab, ein wenig mehr als nur freundschaftliche Gefühle, und auch er hatte, so schien es ihr zumindest, mehr als einmal Interesse an ihrer Person signalisiert, auch wenn er sie immer wieder für seine eigenen Zwecke einsetzte. Sie erinnerte sich noch gut, wie er sie bei der Erkundung der Naturschau im Kornreservat zu einem harmlosen Spaziergang eingeladen hatte und sich hinterher herausstellte, dass er eigentlich nur mit seinem Armband das Gelände hatte scannen wollen. Ein gemächlicher Rundgang zu zweit war schlichtweg unverdächtiger gewesen als eine Erkundungstour ohne weibliche Begleitung. Sie konnte ihn auch nie erreichen. Kaum hatte eine Mission ihren Abschluss gefunden, verschwand er jedes Mal spurlos von der Bildfläche. Seit der Befreiungsaktion im Kornreservat hatte sie ihn nur bei offiziellen Anlässen gesehen, ab und zu eine E-Mail mit ihm gewechselt. Von Zeit zu Zeit hielt sie im Net nach ihm Ausschau. Wie immer gab es zahlreiche Artikel über ihn, aber kein einziges Bild.

      Ganz in Gedanken wandte Soul sich dem Computer der Mutter zu.

      „Stichwort: Sir W.I.T.“, sprach sie in die Maschine. Sie orderte den letzten Artikel und traute ihren Augen nicht.

      „Nach neuesten Informationen bereist er gerade Kreta“, stand dort, „um sich an Ort und Stelle über das Renaturierungsprojekt zu informieren.“

      Soul spürte, wie ihr Herz zu pochen begann.

      „Kreta“, zischte sie. „Komme, was da wolle, aber ich muss nach Kreta!“

       6

      Reb erfuhr nicht, was die Griechin mit Schwierigkeiten meinte. Als er fragend aufhorchte, hatte sie sich höflich, aber bestimmt verabschiedet und das Zimmer verlassen. Nun war er wieder allein. Er wollte doch einmal sehen, was der Computer über diese Frau hergab. Mit einem Klick verließ er die Inselbibliothek und lud die offizielle Website des Hotels auf die Spiegelwand. Staunend begutachtete er die sich formierende Seite, die in ihrer professionellen Aufmachung auch in jede Großstadt gepasst hätte. Sie war zwar ein wenig schlichter gehalten als die (mit im Sekundentakt wechselnder Werbung bespickten) Domains der großen Konzerne und buhlte nicht um jeden Preis um die Aufmerksamkeit ihres Betrachters, wirkte aber genauso durchdacht und zielorientiert strukturiert. Reb schaltete auf die Personalseite um und betrachtete die Menschen, die in diesem Hotel arbeiteten: das Reinigungsteam, das Küchenpersonal, die Verwaltungsangestellten, den Hotelbesitzer, seine Tochter. Er klickte auf Eléni, die Griechin erschien im Großformat an der Spiegelwand.

      Reb vertiefte sich für einen Moment in diese Frauengestalt. Sie wirkte genauso nüchtern und perfekt wie der Rest der Seite. Ihre Haare waren zum Zeitpunkt der Aufnahme wohl noch nicht getönt, das Mahagonirot fehlte, stattdessen schimmerte ihre Frisur in einem warmen, tiefen Schwarzton. Der Hosenanzug war derselbe, ihre Haltung aufrecht, der Blick klar, die Gesichtszüge wirkten sehr ebenmäßig, geradezu klassisch. Reb konnte sie sich gut in einem altertümlichen Gewand vorstellen. Er suchte nach Seiten mit altgriechischer Kleidung und fand eine Frau auf den Werbeseiten des Hotels. Sie stand neben dem Namenszug und trug ein schlichtes, bis zum Boden reichendes Gewand, das an einer Seite schräg über die Achsel fiel und an der anderen Seite eine schöne Schulter mit makelloser Haut entblößte. Auf ihrer rechten Handfläche trug sie – dem Namen des Hotels entsprechend – einen


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