Die Ratten. Gerhart Hauptmann
Читать онлайн книгу.da hat, Sie sehen, dem wird gegeben, Frau John.
JOHN
(während er eingießt). Det is nich jesacht, det for Mauerpolier John sein Kind nich jesorcht wäre, meine Herrn! Aber ick rechen et mir an, meine Herrn. (Frau Direktor und Walburga ausgenommen, ergreifen alle die Gläser.) Wohlsein! – Mutter, nu komm, wir wolln ooch ma anstoßen. (Es geschieht, sie trinken.)
DIREKTOR HASSENREUTER
(im Ton der Rüge). Mama, du mußt selbstverständlich mittrinken.
JOHN
(nachdem er getrunken hat, aufgeräumt). Ick jeh’ nu ooch nich mehr nach Hamburg hin. D’r Meester mag ma’n andern hinschicken. Ick zerjle mir schonn mit’n Meester deswejen drei Dache rum. Ick muß mir nu wieder jleich mein Hut nehmen; hat mir wieder ma jejen sechs uffs Büro bestellt! Wenn er nich will, denn laßt er’t bleiben: det jeht nich, det’n Familienvater immer un ewich wech von seine Familie is. Ick ha’n Kollegen … et kost mir een Wort, da wer ick, wo se de Fundamente lejen, bei’t neue Reichstagsjebäude einjestellt. Zwölf Jahre bin ick bei meinen Meester! Et kann ja ooch ma woanders sind.
DIREKTOR HASSENREUTER
(klopft John ebenfalls auf die Schulter). Sessa! ganz Ihrer Ansicht, Herr Maurerpolier. [51]Unser Familienleben ist eine Sache, die man uns mit Geld und guten Worten nicht abkaufen kann.
(Kandidat Erich Spitta tritt ein. Sein Hut ist beschmutzt, sein Anzug trägt Schmutzflecken. Er ist ohne Schlips. Er sieht bleich und erregt aus und säubert mit dem Taschentuch seine Hände.)
SPITTA.
Verzeihung. Könnte ich mich bei Ihnen mal eben ’n bißchen säubern, Frau John?
DIREKTOR HASSENREUTER.
Ha ha ha! Um Gottes willen, was haben Sie denn angebahnt, guter Spitta?
SPITTA.
Ich habe nur eine Dame nach Hause begleitet, Herr Direktor, weiter nichts.
DIREKTOR HASSENREUTER
(der an einem allgemeinen Lachausbruch ob der Worte Spittas teilgenommen hat). Na hören Sie mal an! Und da setzen Sie noch hinzu: »weiter nichts«? Und verkünden es offen vor allen Leuten?
SPITTA
(verblüfft). Wieso nicht? Es handelte sich um eine gutgekleidete Dame, die ich hier im Hause auf der Treppe schon öfters gesehen hatte und die leider auf der Straße verunglückt ist.
DIREKTOR HASSENREUTER.
Ach, was Sie sagen: erzählen Sie mal, bester Spitta. Augenscheinlich hat die Dame Ihnen Flecke auf den Anzug und Schrammen auf die Hände gemacht.
SPITTA.
Ach nein. Das war wohl höchstens der Janhagel. Die Dame erlitt einen Anfall. Ein Schutzmann griff sie dabei so ungeschickt, daß sie auf den Straßendamm, und zwar dicht vor einem Paar Omnibuspferde, niederfiel. Ich konnte das absolut nicht mit ansehen, obgleich der Samariterdienst auf der Straße im allgemeinen, wie ich zugebe, unter der Würde gutgekleideter Leute ist.
[52](Frau John schiebt den Kinderwagen hinter den Verschlag und kommt wieder mit einem Waschbecken voll Wasser, das sie auf einen Stuhl setzt.)
DIREKTOR HASSENREUTER.
Gehörte die Dame vielleicht jener internationalen guten Gesellschaft an, die man je nachdem nur reglementiert oder auch kaserniert?
SPITTA.
Das war mir in diesem Falle ebenso gleichgültig, wie ich sagen muß, Herr Direktor, wie dem Omnibusgaul, der seinen linken Vorderhuf geschlagene fünf, sechs oder acht Minuten lang, um die Frau nicht zu treten, die unter ihm lag, in der Schwebe gehalten hat. (Spitta erhält eine Lachsalve zur Antwort.) Sie lachen! Für mich ist das Verhalten des Gauls nicht lächerlich. Ich konnte ganz gut verstehen, daß einige Leute ihm Bravo zuriefen, Beifall klatschten, andre eine Bäckerei stürmten und Semmeln herausholten, womit sie ihn fütterten.
FRAU JOHN
(fanatisch). I, hätt’ er man feste zujetreten! (Die Bemerkung der John löst wieder allgemeines Gelächter aus.) Und ieberhaupt, wat die Knobben is: die jehört öffentlich uff’n Schandarmenmarkt, öffentlich uff de Bank jeschnallt und jehörig mit Riemen durchjefuchtelt! Stockhiebe, det det Blut man so spritzt.
SPITTA.
Ich habe mir niemals eingebildet, daß das sogenannte Mittelalter eine überwundene Sache ist. Es ist noch nicht lange her. Man hat eine Witwe Mayer noch im Jahre achtzehnhundertundsiebenunddreißig hier in Berlin, auf dem Hausvogteiplatz, von unten herauf geradebrecht. (Er zieht Scherben einer Brille hervor.) Übrigens muß ich sofort zum Optiker.
JOHN
(zu Spitta). Entschuldijen Se man! Se haben die feine Dame doch hier am Flur jejenieber rinjebracht? Na ja! [53]Det hat Mutter ja jleich jemerkt, det det keen andrer Mensch wie de Knobben jewesen is, wo bekannt for is, det se Mädel mit zwölf uff de Jasse schickt, selber fortbleibt, trinkt und allerhand Kundschaft hat, um Kinder nich kümmert und, wo berauscht is und uffwachen dut, allens mit Fäuste und Schirme durchpriejelt.
DIREKTOR HASSENREUTER
(sich raffend und besinnend). Allons, meine Herren, wir müssen zum Unterricht. Es fehlt uns schon eine Viertelstunde. Meine Zeit ist gemessen. Unser Stundenschluß muß leider heute ganz pünktlich sein. Komm, Mama. Auf Wiedersehn, meine Herrschaften. (Der Direktor gibt seiner Frau den Arm und geht, gefolgt von Käferstein und Dr. Kegel, ab. Auch John nimmt seinen Kalabreser.)
JOHN
(zu seiner Frau). Adje, ick muß ooch zum Meester hin. (Auch John geht.)
SPITTA.
Könnten Sie mir mal einen Schlips leihen?
FRAU JOHN.
Ick will mal sehn, wat sich bei Paul in de Schublade vorfinden dut. (Sie öffnet den Tischschub und verfärbt sich.) Jesus! (Sie nimmt ein durch ein buntes Band zusammengehaltenes Büschelchen Kinderhaar aus der Schublade.) Da hab’ ick ja’n Büschelschen Haar jefunden, wo mein Jungeken, wo mein Adelbertchen schon in Sarch mit Vaters Papierschere abjeschnitten is. (Tiefe, kummervolle Traurigkeit zieht plötzlich über ihr Gesicht, das sich aber ebenso plötzlich wieder aufhellt.) Un nu liecht et doch wieder in Kinderwachen! (Sie geht mit eigentümlicher Fröhlichkeit, das Haarbüschel in der Hand den jungen Leuten vorweisend, zur Tür des Verschlages, wo der Kinderwagen, zwei Drittel sichtbar, sich befindet. Dort angelangt, hält sie das Haarbüschel an das [54]Kinderköpfchen.) Na nu kommt mal, kommt mal! (Sie winkt mit seltsamer Heimlichkeit Walburga und Spitta, die auch neben sie an den Kinderwagen treten.) Seht mal det Härchen und det! –? ob det nich detselbichte … ob det nich janz und jänzlich een und detselbichte Härchen is.
SPITTA.
Richtig! Bis auf die kleinste Nuance, Frau John.
FRAU JOHN.
Jut so! jut so! mehr wollt’ ick nich! (Sie ververschwindet mit dem Kinde hinter dem Verschlag.)
WALBURGA.
Findest du nicht, Erich, daß das Betragen der John eigentümlich ist?
SPITTA
(faßt Walburgas Hände und küßt sie scheu und inbrünstig). Ich weiß nicht, weiß nicht – … oder ich zähle heut nicht mit, weil ich alles von vornherein subjektiv düster gefärbt sehe. Hast du den Brief bekommen?
WALBURGA.
Jawohl. Aber ich konnte nicht herausfinden, warum du so lange nicht bei uns gewesen bist.
SPITTA.
Verzeih, Walburga, ich konnte nicht kommen.
WALBURGA.
Warum nicht?
SPITTA.
Weil ich innerlich zu zerrissen bin.
WALBURGA.
Du willst Schauspieler werden? Ist’s